Trio c-Moll für Violine, Violoncello und Klavier, op. 66
Werkverzeichnisnummer: 2562
1. Allegro energico e con fuoco
2. Andante espressivo
3. Scherzo. Molto allegro quasi presto
4. Finale. Allegro appassionato
2019:
Das zweite Klaviertrio steht bis heute im Schatten des ersten Trios – zu Unrecht, wie nicht nur der Mendelssohn-Biograph Eric Werner fand. Es entstand im Frühjahr 1845 in Frankfurt, wenige Wochen vor dem B-Dur-Streichquintett. Vier Tage vor Weihnachten brachte es der Komponist im Leipziger Gewandhaus zur Uraufführung. Mit typischem Understatement meinte er, es sei für den Pianisten „ein bißchen eklig“ zu spielen, wovon die halsbrecherischen Passagen in den schnellen Sätzen beredtes Zeugnis ablegen.
Kompositionstechnisch ist es zweifellos das anspruchsvollere der beiden Werke. Insbesondere in seinen hoch bedeutenden Ecksätzen zeigt sich ein Stilwandel, den man auch in den anderen Kammermusiken aus Mendelssohns letzten Lebensjahren beobachten kann wie eben im B-Dur- Streichquintett oder im f-Moll-Streichquartett von 1847. Die melodischen Wendungen werden lakonischer, auch mürrischer. Die Musik scheut sich nicht mehr vor pathetischen Höhepunkten und dem langen Atem großer „Durchbrüche“ in der Entwicklung der Themen. Unmissverständlich kündigt sich hier die Spätromantik an, auch in der Harmonik, die Klischees vermeidet und nach neuen Wegen sucht, was immer wieder zu herrlichsten Vorhaltswendungen und breitesten harmonischen Steigerungen führt.
Der erste Satz ist wahrhaft ein „Allegro energico e con fuoco“, ein Allegro von düsterer Energie und brodelndem Feuer. Selten war Mendelssohn so hermetisch wie hier: Das düster verhängnisvolle c-Moll-Hauptthema drückt idem ganzen Satz seinen Stempel auf. Zu Beginn schraubt es sich in Klavieroktaven über leisen Streicherakkorden langsam nach oben, immer bedrohlicher werdend, bis es in knappen Fortissimo-Akkorden plötzlich abbricht – genau das Gegenteil eines lieblichen Mendelssohn-Themas. Die Streicher greifen den großen Bogen auf und lassen das Thema in einer Folge von verminderten Septakkorden dramatisch ausklingen. Das nervöse Drängen nimmt in der Überleitung noch zu, wenn das Klavier einen Klanggrund aus flirrenden Sechzehnteln unter ein flehendes Thema der Violine legt. Danach kehrt unerbittlich das Hauptthema wieder und wird zu dramatischer Wucht gesteigert, bevor sich mitten im Tremolo-Aufschwung der Streicher der Umschlag nach Dur einstellt: Das Seitenthema setzt nicht lieblich, sondern im Vollgefühl romantischen Überschwangs ein. Erst im Nachgang verleiht das Klavier dem Seitenthema den zarten Hauch eines Nocturne. Schon im Abgesang kehrt das düstere Drängen zurück und mit ihm das Hauptthema, das nun in gezacktem Staccato wiedererscheint. Das flehende Violinthema aus der Überleitung scheint die Exposition leise beenden zu wollen, doch noch einmal drängt sich das Hauptthema in den Vordergrund, das nun auch den Beginn der Durchführung dominiert, im Wechsel mit virtuosen Klavierpassagen. Endlich bringt das Cello wieder das lyrische Seitenthema ins Spiel, die Gefahr scheint gebannt. Doch unter dem seligen Singen der Streicher schwelt die Unruhe weiter und drängt schließlich wieder an die Oberfläche. Nach einem wilden Ausbruch gelingt eine zweite Beruhigung durch das Seitenthema, die unversehens in die Reprise mündet, von neuen Klavierklängen schön eingefärbt. Mendelssohns Genie zeigt sich immer wieder in seinen stark verkürzten Reprisen wie hier im neuen Kolorit des Hauptthemas, im direkten Übergang zum Seitenthema und in der stringenten Steigerung bis hin zur langen Coda. Diese beginnt mit virtuosen Klavierpassagen, wird dann aber ganz ruhig. Leise kehrt im Klavier das Hauptthema zurück, wozu die Streicher wundervolle neue Vorhalte spielen. Wieder steigert sich nach und nach die Erregung, bis der Satz seinen düsteren Höhepunkt erreicht: Das Hauptthema im Klavier trifft auf seine doppelte rhythmische Vergrößerung in den Streichern. Eine wilde Jagd beginnt, die unerbittlich dem Ende zustrebt, unterbrochen nur von einer letzten wehmütigen Erinnerung an das Seitenthema.
Nach diesem dramatischen Kopfsatz hat Mendelssohn das „Andante espressivo“ bewusst schlicht begonnen: als „Lied ohne Worte“ im Klavier. Die Es-Dur-Melodie im sanft schwingenden Neun-Achtel-Takt wird von den Streichern aufgegriffen und über dem leisen Wellenschlag des Klaviers in ein Natur-Idyll verwandelt – ein Sonntagsspaziergang in den sanften Hügeln des Taunus bei Bad Soden oder eine Kahnfahrt auf dem Main bei Frankfurt. Das Espressivo zeigt sich hier eher beiläufig in den zwischen Moll und Dur changierenden Harmonien. Jeder Versuch der Streicher, das zarte Dur-Thema nach Moll abzudunkeln, wird vorerst vereitelt. Dann aber bringt das Cello eine neue, traurige Mollweise ins Spiel, die von der Geige aufgegriffen und vom Klavier unversehens zu einem Appassionato-Ausbruch gesteigert wird. Über einer neuen, drängenden Begleitfigur des Klaviers schlägt der Ausdruck um in ein schmerzliches Duett der beiden Streicher. Wie Mendelssohn aus dieser Irritation den Rückweg zurück zur Innigkeit des Anfangs gefunden hat, ist schlicht meisterlich – zumal er in der Reprise die Schmerzenstöne des Mittelteils noch nachklingen.
Im Scherzo verschlägt einem schon der Anfang den Atem. Es ist kein Elfenreigen wie so oft bei Mendelssohn, sondern ein Hexenritt in g-Moll: wild flackernde Sechzehntel der Streicher, flinke Drehfiguren des Klaviers und plötzlich aufbrechende düstere Akkorde. Im Hauptteil wird diese Spukszene immer bedrohlicher, weshalb sich der nächtliche Wanderer im Trio gleichsam Mut ansingt, indem er durch den Geisterwald ein fröhliches Lied erschallen lässt. Doch natürlich kehren die gespenstischen Luftgeister noch einmal wieder. Am Ende kommt es, wie so oft in Mendelssohns Scherzi, zu einer pointierten Synthese der beiden Themen, deren Klang nun so luftig, hell und hoch wirkt, dass sich der Satz am Ende in Luft aufzulösen scheint.
Das seltsam mürrische Tanzthema des Finales offenbart seinen Sinn erst in der Durchführung, beim Eintritt eines feierlichen Es-Dur-Chorals im Klavier. Alle vorangehenden Moll-Komplikationen sind nur eine Vorbereitung auf diesen Choral. Es handelt sich um „Vor Deinen Thron tret’ ich hiermit“ aus dem Genfer Psalter von 1551. Zunächst noch von Motiven des Hauptthemas angefochten, wird der Choral bald auch von den Streichern in breitem Gesang aufgegriffen. Die restliche Entwicklung des Satzes, der zunächst wieder nach Moll zurückkehrt, zielt auf die Apotheose des Chorals ab, die im orchestralen Klang von Klavier und Streichern den Durchbruch nach C-Dur mit sich bringt. Dieses „per aspera ad astra“, durch die dunklen Schatten von c-Moll hin zum triumphalen Eintritt von C-Dur, gehörte seit Beethovens Fünfter Sinfonie zur Rhetorik von c-Moll-Werken hinzu. Johannes Brahms hat die Idee für das Finale seines c-Moll-Klavierquartetts Opus 60 übernommen und dabei auf zwei Momente aus Mendelssohns c-Moll-Trio zurückgegriffen: auf das Hauptthema des ersten Satzes und auf die Choral-Idee des Finales. Es war ihm äußerst unangenehm, wenn man ihn auf diese Mendelssohn-Anklänge ansprach.
-
2006: Felix Mendelssohn war zwar von seinem Berliner Jugendfreund und Mentor Eduard Rietz zum tüchtigen Geiger ausgebildet worden. Dennoch ist er später ausschließlich als Pianist aufgetreten – einer der besten seiner Zeit, dem Robert Schumann „zauberische Frische des Anschlags“ und höchste Delikatesse der Nuancen nachrühmte. Das frühe Studium der Geige und das Musizieren mit seinem Cello spielenden Bruder Paul weckten in Felix jedoch das feine Verständnis für die Möglichkeiten der Streicher, wie er schon mit 16 Jahren in seinem Oktett unter Beweis stellte. Später drohten „Klaviertrios und was man so die echte Kammermusik nennt“ neben seinen zahllosen „Liedern ohne Worte“ zu verblassen. Deshalb beschloss der Komponist 1839, sich wieder verstärkt dem Genre zuzuwenden. Seinem wieder erwachten Interesse an der Kammermusik verdanken wir seine späten Streichquartette und Klaviertrios, die Cellosonaten und das 2. Streichquintett.
Das 2. Klaviertrio c-Moll Opus 66 ist unter diesen Werken vielleicht das am wenigsten populäre, auch bedingt durch die übergroße Beliebtheit seines Vorgängers in d-Moll. Dabei ist es kompositionstechnisch zweifellos das anspruchsvollere der beiden Trios. In seinen hoch dramatischen Ecksätzen kündigt sich ein Stilwandel an, den man in Mendelssohns letzten Lebensjahren beobachten kann. Der Komponist deutete dies mit viel Understatement an, indem er meinte, das Trio sei für den Pianisten „ein bißchen eklig“ zu spielen.
Der erste Satz (Allegro energico e con fuoco) beruht in weiten Teilen auf einem drängenden Moll-Motiv, das zu Beginn vom Klavier in Oktaven vorgestellt wird. Sein melancholisch-grüblerischer Charakter kontrastiert aufs wirkungsvollste mit dem melodisch aufblühenden Seitenthema in Es-Dur. Im Verlauf des Satzes werden die beiden Themen in dramatischer Weise gegeneinander ausgespielt, wobei es zu zwei langen Steigerungen kommt. Ganz am Ende kehrt noch einmal, als eine Art schmerzlicher Abgesang, das Seitenthema wieder.
Das Andante ist nach dem dramatischen Kopfsatz bewusst schlicht gehalten, wofür sich Mendelssohn den Vorwurf der Sentimentalität gefallen lassen musste. Dabei durchläuft der Satz eine erstaunliche Entwicklung. Zunächst ist er nicht mehr als ein „Lied ohne Worte“, in dem Klavier und Streicher einander im Liedvortrag ablösen. Im eingestreuten Mollteil jedoch gewinnt er zunehmend an Spannung, was in einer Coda aus wunderschönen Vorhalten gipfelt.
Auch im Scherzo triumphiert das Niveau des Komponisten über die zeitgenössische Salonmusik. Im Hauptteil herrscht der Ton einer Spukszene, die Assoziationen an den „Sommernachtstraum“ weckt. Sie wird von einem sanften G-Dur-Trio unterbrochen. Am Ende kommt es zur pointierten Synthese der beiden Themen, mit der sich der Satz buchstäblich in Luft auflöst.
Das seltsam verhaltene Tanzthema des Finales offenbart seinen Sinn erst in der Durchführung, beim Eintritt des feierlichen Chorals „Vor Deinen Thron tret ich hiermit“ aus dem Genfer Psalter. Zunächst noch von Motiven des Hauptthemas angefochten, wird der Choral bald von den Streichern in breitem Gesang aufgegriffen. Die gesamte Entwicklung des Satzes zielt auf die Apotheose dieses Chorals und den triumphierenden Eintritt von C-Dur ab. Brahms hat diese Idee (und so manches Andere) aus Mendelssohns c-Moll-Trio in seinem c-Moll-Klavierquartett aufgegriffen!
Nirgends sonst als in den idyllischen Hügeln des Taunusstädtchen Bad Soden hätte der stressgeplagte Komponist Felix Mendelssohn Mitte der 1840er Jahre die Muße gefunden, ein Meisterwerk wie sein 2. Klaviertrio zu vollenden. Aufgerieben zwischen Leipzig, Berlin und London, fand er in jenen Jahren nur in und um Frankfurt, der Heimatstadt seiner Frau Cécile, private Ruhe und Entspannung. „Ohne Frack, ohne Klavier, ohne Visiten-Karten, ohne Wagen und Pferde, aber auf Eseln, mit Feldblumen, mit Notenpapier und Zeichenbuch, mit Cecile und den Kindern, doppelt wohl“ hat er die Ferien des Jahres 1845 verbracht – „sans Reise, sans Musikfest, sans everything“, wie er an seine Schwester Rebecca schrieb.
In dieser wohlig-heiteren Atmosphäre entstand das c-Moll-Trio, op. 66, das hinter der notorischen Popularität des ersten in d-Moll, op. 49, immer hat zurückstehen müssen – zu Unrecht, wie nicht erst der Mendelssohn-Biograph Eric Werner fand. Es ist kompositionstechnisch zweifellos das anspruchsvollere der beiden Trios. Insbesondere in seinen hoch bedeutenden Ecksätzen kündigt sich ein Stilwandel an, den man auch in den anderen Kammermusiken aus Mendelssohns letzten Lebensjahren beobachten kann (im 2. Streichquintett und f-Moll-Streichquartett): Die melodischen Wendungen werden lakonischer, zugleich scheut sich die Musik nicht mehr, wie noch beim „mittleren“ Mendelssohn, vor pathetischen Höhepunkten und dem langen Atem großer „Durchbrüche“ in der Entwicklung der Themen. Unmissverständlich kündigt sich hier die Spätromantik an, auch in der Harmonik, die Klischees vermeidet und nach neuen Wegen sucht, was immer wieder zu herrlichsten Vorhaltswendungen und breitesten harmonischen Entwicklungen führt.
Der erste Satz beruht in weiten Teilen auf dem drängenden Moll-Motiv, das zu Beginn vom Klavier in Oktaven vorgestellt wird. Sein melancholisch-grüblerischer Charakter kontrastiert aufs wirkungsvollste mit dem melodisch aufblühenden Seitenthema in Es-Dur. Im Verlauf des Satzes werden die beiden Themen in dramatischer Weise gegeneinander ausgespielt, wobei es zu zwei der erwähnten langen Steigerungen kommt: vor der Reprise des Hauptthemas, die sich aus dem träumerisch gespielten Seitenthema entwickelt, und in der Coda, auf deren Höhepunkt das Hauptthema im Klavier mit seiner eigenen Vergrößerung in doppelten Notenwerten in den Streichern zusammentrifft. Ganz am Ende kehrt noch einmal, als eine Art schmerzlicher Abgesang, das Seitenthema wieder. Mit der ihm üblichen Neigung zur Untertreibung meinte Mendelssohn, das Trio sei für den Pianisten „ein bißchen eklig“ zu spielen. Im ersten Satz enthält besonders die Durchführung Herausforderungen, wenn das Klavier mit halsbrecherischen Passagen die Themenzitate der Streicher unterbricht.
Das Andante hat Mendelssohn nach diesem dramatischen Kopfsatz bewusst schlicht gehalten, wofür er sich den Vorwurf der Sentimentalität hat gefallen lassen müssen. Dabei durchläuft der Satz eine erstaunliche Entwicklung. Zunächst ist er nicht mehr als ein Lied ohne Worte, in dem Klavier und Streicher einander im „Liedvortrag“ abwechseln. Im eingestreuten Mollteil jedoch gewinnt er zunehmend an Spannung, was in einer Coda aus wunderschönen Vorhalten gipfelt.
Auch im Scherzo triumphiert das Niveau des Komponisten über gelegentliche Anklänge an Salonmusik. Im Hauptteil herrscht der Ton einer atemlos-grotesken Spukszene, die Assoziationen an das Scherzo aus dem Sommernachtstraum aufkommen lässt. Sie wird von einem sanften G-Dur-Trio kurzzeitig unterbrochen. Am Ende kommte es, wie so oft in Mendelssohns Scherzi, zu einer pointierten Synthese der beiden Themen, die den Satz buchstäblich in der Luft zerstieben läßt.
Das seltsam verhaltene Tanzthema des Finales offenbart seinen Sinn erst in der Durchführung, beim Eintritt eines feierlichen Es-Dur-Chorals im Klavier. Es ist die Melodie des Chorals Vor Deinen Thron tret ich hiermit aus dem Genfer Psalter von 1551. Zunächst noch von Motiven des Hauptthemas angefochten, wird der Choral bald auch von den Streichern in breitem Gesang aufgegriffen. Die restliche Entwicklung des Satzes, der zunächst wieder nach Moll zurückkehrt, zielt auf die Apotheose des Chorals ab, die den Durchbruch nach C-Dur mit sich bringt. Dieses „per aspera ad astra“ mit dem triumphierenden Eintritt von C-Dur gehörte seit Beethovens 5. Symphonie zur Rhetorik von c-Moll-Werken hinzu. Brahms hat diese Idee Mendelssohns (und so manches andere aus dessen 2. KLaviertrio) in seinem c-Moll-Klavierquartett aufgegriffen.
2003:
FELIX MENDELSSOHN
Klaviertrio Nr. 2 c-Moll, op. 66
Nirgends sonst als in den idyllischen Hügeln des Taunus bei Bad Soden hat der stressgeplagte Felix Mendelssohn Mitte der 1840er Jahre die Muße gefunden, ein Meisterwerk wie sein 2. Klaviertrio zu vollenden. Aufgerieben zwischen Leipzig, Berlin und London, fand er in jenen Jahren nur in und um Frankfurt, der Heimatstadt seiner Frau Cécile, private Ruhe und Entspannung. „Ohne Frack, ohne Klavier, ohne Visiten-Karten, ohne Wagen und Pferde, aber auf Eseln, mit Feldblumen, mit Notenpapier und Zeichenbuch, mit Cecile und den Kindern, doppelt wohl“ hat er die Ferien des Jahres 1845 verbracht – „sans Reise, sans Musikfest, sans everything“, wie er an seine Schwester Rebecca schrieb.
In dieser wohlig-heiteren Atmosphäre entstand das c-Moll-Trio, op. 66, das hinter der notorischen Popularität des ersten in d-Moll, op. 49, immer hat zurückstehen müssen – zu Unrecht, wie nicht erst der Mendelssohn-Biograph Eric Werner bemerkte. Es ist kompositionstechnisch zweifellos das anspruchsvollere der beiden Trios. Insbesondere in seinen hoch bedeutenden Ecksätzen kündigt sich ein Stilwandel an, den man auch in den anderen Kammermusiken aus Mendelssohns letzten Lebensjahren beobachten kann (im 2. Streichquintett und f-Moll-Streichquartett): Die melodischen Wendungen werden lakonischer, zugleich scheut sich die Musik nicht mehr, wie noch beim „mittleren“ Mendelssohn, vor pathetischen Höhepunkten und dem langen Atem großer „Durchbrüche“ in der Entwicklung der Themen. Unmissverständlich kündigt sich hier die Spätromantik an, auch in der Harmonik, die Klischees vermeidet und nach neuen Wegen sucht, was immer wieder zu herrlichsten Vorhaltswendungen und breitesten harmonischen Entwicklungen führt.
Der erste Satz (Allegro energico e con fuoco) beruht in weiten Teilen auf dem drängenden Moll-Motiv, das zu Beginn vom Klavier in Oktaven vorgestellt wird. Sein melancholisch-grüblerischer Charakter kontrastiert aufs wirkungsvollste mit dem melodisch aufblühenden Seitenthema in Es-Dur. Im Verlauf des Satzes werden die beiden Themen in dramatischer Weise gegeneinander ausgespielt, wobei es zu zwei der erwähnten langen Steigerungen kommt: vor der Reprise des Hauptthemas, die sich aus dem träumerisch gespielten Seitenthema entwickelt, und in der Coda, auf deren Höhepunkt das Hauptthema im Klavier mit seiner eigenen Vergrößerung in doppelten Notenwerten in den Streichern zusammentrifft. Ganz am Ende kehrt noch einmal, als eine Art schmerzlicher Abgesang, das Seitenthema wieder. Mit der ihm üblichen Neigung zur Untertreibung meinte Mendelssohn, das Trio sei für den Pianisten „ein bißchen eklig“ zu spielen. Im ersten Satz enthält besonders die Durchführung Herausforderungen, wenn das Klavier mit halsbrecherischen Passagen die Themenzitate der Streicher unterbricht.
Das Andante hat Mendelssohn nach diesem dramatischen Kopfsatz bewusst schlicht gehalten, wofür er sich den Vorwurf der Sentimentalität hat gefallen lassen müssen. Dabei durchläuft der Satz eine erstaunliche Entwicklung. Zunächst ist er nicht mehr als ein Lied ohne Worte, in dem Klavier und Streicher einander im „Liedvortrag“ abwechseln. Im eingestreuten Mollteil jedoch gewinnt er zunehmend an Spannung, was in einer Coda aus wunderschönen Vorhalten gipfelt.
Auch im Scherzo triumphiert das Niveau des Komponisten über gelegentliche Anklänge an Salonmusik. Im Hauptteil herrscht der Ton einer atemlos-grotesken Spukszene, die Assoziationen an das Scherzo aus dem Sommernachtstraum aufkommen lässt. Sie wird von einem sanften G-Dur-Trio kurzzeitig unterbrochen. Am Ende kommt es, wie so oft in Mendelssohns Scherzi, zu einer pointierten Synthese der beiden Themen, mit der sich der Satz buchstäblich in Luft auflöst.
Das seltsam verhaltene Tanzthema des Finales offenbart seinen Sinn erst in der Durchführung, beim Eintritt eines feierlichen Es-Dur-Themas im Klavier. Es ist die Melodie des Chorals Vor Deinen Thron tret ich hiermit aus dem Genfer Psalter von 1551. Zunächst noch von Motiven des Hauptthemas angefochten, wird der Choral bald auch von den Streichern in breitem Gesang aufgegriffen. Die restliche Entwicklung des Satzes, der zunächst wieder nach Moll zurückkehrt, zielt auf die Apotheose des Chorals ab, die den Durchbruch nach C-Dur mit sich bringt. Dieses „per aspera ad astra“ mit dem triumphierenden Eintritt von C-Dur gehörte seit Beethovens Fünfter Symphonie zur Rhetorik von c-Moll-Werken. Brahms hat diese Idee Mendelssohns (und so manches andere aus dessen 2. Klaviertrio) in seinem c-Moll-Klavierquartett aufgegriffen.