Quartett Es-Dur für Klavier, Klarinette, Horn und Fagott
Werkverzeichnisnummer: 259
1. Introduzione. Adagio – Allegro ma non troppo
2. Adagio
3. Finale. Allegro
„Herr Frans Berwald, der bei seinem ersten Auftreten als Violinist und auch später als Komponist beim Publikum die Hoffnung erweckte, daß er durch Fleiß und Studium einmal ein ausgezeichneter Künstler werden würde, schien solcher Hoffnung nicht entsprechen zu wollen, sondern sich auf Abwege zu verirren. Dieses Urteil wird sowohl von den Kennern wie auch von den anderen Zuhörern im Besitz einiger musikalischer Bildung abgegeben, welche bei seinem letzten Konzert mit den späteren Werken von Herm Berwald bekanntgemacht wurden. Herr Berwald trat bei dieser Gelegenheit mit drei verschiedenen Arten von Kompositionen auf: einem Konzert, einer Symphonie und einem Quartett für Pianoforte und Blasinstrumente. Es scheint, als hätte Herr Berwald, nach Originalität jagend und nur bestrebt, mit großen Effekten zu imponieren, absichtlich alles Melodiöse aus seinen Kompositionen verbannt; denn wie soll man sonst diese ewigen Modulationen aus einer Tonart in die andere erklären, die einen so abstoßenden Eindruck machten und der Aufmerksamkeit keinen Augenblick Ruhe gönnten? Sobald eine Melodie anfing sich zu entfalten, wurde sie schnell unterbrochen, und das Ohr wurde unaufhörlich von den schmerzhaftesten Dissonanzen gemartert, was auf die Dauer fast unerträglich wurde. … Am unbegreiflichsten von allem war indessen das Quartett, in dem die Blasinstrumente völlig gegen ihre Natur verwendet wurden; denn anstatt zu singen, wurden sie nur zu sonderbaren Rouladen gezwungen usw….“
Mit dieser herben Kritik sah sich der schwedische Geiger und Komponist Franz Berwald konfrontiert, als er am 3. März 1821 im großen Börsen-Saal in Stockholm ein Programm mit eigenen Kompositionen vorstellte. Der damals 25jährige hatte mit solcherart Ablehnung auf seine neuesten Kompositionen gerechnet. Wie er in einer Entgegnung auf die Kritik der Zeitung Argus bekannte, hatte er selbst „den weniger vorteilhaften Eindruck vorausgesehen, den diese Werke, in einem ganz eigenen Stil geschrieben, hinterlassen würden. Der Rezensent sollte aber bedenken, daß alle Versuche, die sich auf einem weniger gewöhnlichen System gründen, einer neuartigen Behandlungsweise der Instrumentierung und ihrer Verwendung, anfangs immer auf vielfache Schwierigkeiten stoßen würden.“ Diese Äußerungen aus Berwalds öffentlicher Verteidigung verraten den hohen Anspruch eines Avantgarde-Komponisten der Romantik, der nicht nur in der Instrumentierung, sondern auch in Harmonik und thematischer Anlage nach neuen „Systemen“ suchte.
Bei dem Klavierquartett Es-Dur unseres Programms handelt es sich um das verfemte Quartett für Pianoforte und Blasinstrumente, das Berwald 1819 komponiert hatte und selbst als sein Opus I empfand. Das „weniger gewöhnliche System“ seiner Musik läßt sich an diesem Werk exemplarisch ablesen. Da ist zum einen die Instrumentierung, die nur äußerlich an die berühmten Quintette für Klavier und Bläser von Mozart und Beethoven anknüpft. In Wahrheit verläßt der Bläsersatz hier – wie es der Rezensent von Argus richtig empfand – die Wege traditioneller Bläser-Gesanglichkeit, um neuartige, quasi-sinfonische Klangfarbenverschmelzungen zu erreichen, in die auch das Klavier konsequent miteinbezogen wird. Mindestens ebenso ungewöhnlich wirkt die Harmonik, die bei einem klassizistisch geschulten Publikum um 1820 durchaus die beschriebenen Schockwirkungen ausgelöst haben dürfte. Nach einer siebentaktigen langsamen Einleitung in es-Moll benötigt das Hauptthema des Kopfsatzes nicht weniger als 30 Takte, bevor es eine stabile Kadenz in der Grundtonart erreicht hat. Die Vermeidung von klaren Kadenzen ist in einer fast schon Wagnerischen Weise zum Prinzip erhoben, was den musikalischen Zusammenhang beim ersten Hören kaum verständlich werden läßt. Hinzu kommt eine in Einzelgesten aufgelöste Melodik , an der ständig alle Instrumente beteiligt sind, wie man es exemplarisch an den Vorhaltsmotiven des Hauptthemas hören kann. Es ist verständlich, daß eine solch fragmentarische Melodik gar nicht mehr als solche empfunden wurde. Eine manchmal skurrile Rhythmik, eigenwillige Arabesken (die der Kritiker „Rouladen“ nannte) und ausgeschriebene Rubati verschleiern den Zusammenhang zusätzlich, so daß die Sonatenform des ersten Satzes kaum deutlich wird, umso mehr aber Berwalds höchst origineller Stil, der in der Musik seiner Zeit ohne Parallelen ist. Das gilt in gleicher Weise für das kurze, pathetische Adagio und das gesangliche Finale, ebenfalls in Sonatenform.
Noch einige Worte zum Komponisten selbst: Erst im Jahre 1946 – 150 Jahre, nachdem er geboren wurde – begann man Franz Berwald als den größten schwedischen Komponisten wiederzuentdecken. Die Renaissance seiner Musik ist bis heute nicht abgeschlossen, und auch in Deutschland kennt man die hoch bedeutenden Sinfonien des Romantikers weit weniger als etwa in England, wo sie zum Repertoire gehören. Villa Musica stellt den Komponisten im Rahmen des Saisonschwerpunkts Musik aus Nordeuropa mit seinen kammermusikalischen Hauptwerken und einem Vortrag von Walter Lessing (am 29. März in der Villa Musica) vor.