Streichsextett Es-Dur, nach KV 364 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Streichsextett Es-Dur, nach KV 364

Sextett Es-Dur für 2 Violinen, 2 Violen und 2 Violoncelli, nach KV 364

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2560

Satzbezeichnungen

1. Allegro maestoso

2. Andante

3. Presto

Erläuterungen

Wolfgang Amadeus Mozart hat bekanntlich kein Streichsextett geschrieben. Die ersten Werke dieser Gattung waren zwar bereits 1777 von Luigi Boccherini veröffentlicht worden, allerdings in Paris. In Wien beherrschte das Streichquartett den Kammermusik-Markt so vollständig, dass es Mozart anfänglich sogar schwerfiel, sich mit seinen herrlichen Streichquintetten zu behaupten. An eine Sextettbesetzung mit je zwei Geigen, Bratschen und Celli war in der kaiserlichen Hauptstadt vorerst nicht zu denken. Erst als das virtuose Cellospiel in Wien im frühen 19. Jahrhundert zu den Metropolen London und Paris aufschloss, wurden auch Sextette und Quintette mit zwei Celli interessant. Dadurch kam im Jahre 1807 ein anonymer Wiener Bearbeiter auf die Idee, ein Orchesterwerk Mozarts für Streichsextett zu arrangieren: die Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester, KV 364.

Unter dem großspurigen Titel Grande Sestetto concertante erfreute sich dieses Arrangement einer gewissen Beliebtheit, konnte man auf diese Weise doch eines der schönsten Werke Mozarts wenigstens in solistischer Besetzung musizieren, während das Original aus den Konzertsälen längst verschwunden war. Dabei hat es sich der anonyme Bearbeiter mit KV 364 schwerer gemacht, als man vermuten könnte. Die einfachste Form der Bearbeitung wäre gewesen, die beiden Solostimmen der Vorlage unverändert beizubehalten und sie der Violine I bzw. Viola I des Streichsextetts anzuvertrauen. Die restlichen vier Instrumente hätten dann als Ersatz für das Orchester fungiert. In Wirklichkeit sind die beiden Solostimmen auf alle sechs Instrumente gleichmäßig verteilt, so dass statt eines Gegenüber echte Kammermusik entsteht. Themen, die bei Mozart in einer Stimme liegen, werden auf zwei Instrumente verteilt, etwa, indem der Vordersatz von der ersten Bratsche, der Nachsatz vom ersten Cello gespielt wird. Auf diese Weise kommt es zu „durchbrochener Arbeit“, eine für die Zeit Beethovens typische Errungenschaft in Orchester- wie Kammermusik der Klassik.

Bei der Reduzierung des groß besetzten Originals auf ein Sextett kam dem Bearbeiter auch das Genre der Sinfonia concertante entgegen. Mozart hat in seiner großartigen Es-Dur-Concertante KV 364 die beiden Streichersolisten nicht einfach virtuos in den Vordergrund gestellt, während das Orchester begleitet. Vielmehr findet ein konzertanter Schlagabtausch auf vielen Ebenen statt: zwischen den Bläsern und Streichern im Orchester, zwischen diesen beiden Gruppen und den Solisten sowie unter den beiden Solisten, denen jeweils eine Orchestergruppe zugeordnet wird. All dies ist in der Sextettfassung umgebaut in einen beständigen Dialog unter sechs Streichinstrumenten, wobei man am ehesten noch die üppige Farbenpracht von Mozarts Orchester vermisst.

Der Charakter des Werkes ist durch den majestätischen Gehalt der Tonart Es-Dur bestimmt, wie er sich in vielen Es-Dur-Werken Mozarts niederschlägt, angefangen von der Londoner Sinfonie des Neunjährigen (KV 16) bis hin zum großen Es-Dur-Klavierkonzert (KV 482) und zur Sinfonie Nr. 39. Auch in der Sinfonia concertante von 1779 macht der erste Satz seiner Überschrift Allegro maestoso alle Ehre: Er beginnt mit vollen Akkorden im punktierten Rhythmus, um anschließend in Wellenbewegungen und Dreiklangsbrechungen die Grundtonart großzügig zu umschreiben. Am Ende der langen Orchestereinleitung steigert sich die Dynamik zu einem prachtvollen Crescendo. Danach wird vor den beiden Solisten quasi der rote Teppich ausgerollt: Nach harmonischem Pendeln der Unterstimmen setzen sie wie aus dem Nichts mit einem Es in Oktaven ein, gefolgt von einer herrlichen Kantilene. Die kräftigen Akkorde des „Orchesters“ geben danach den Impuls zum Weitermachen in vielfältigem Konzertieren, aber auch mit sehr individuellen Cantabile-Momenten wie etwa zu Beginn der Durchführung. Die fast nahtlose Verschmelzung der Solopartien erreicht ihren Höhepunkt in der Kadenz, die Mozart deshalb ausschreiben musste, weil zwei Solisten schwerlich übereinstimmend improvisieren können. Im Sextett ist auch dieser Abschnitt auf alle sechs Instrumente verteilt.

Als Mittelsatz folgt ein schwermütiges Andante in c-Moll – ganz so wie in den Es-Dur-Klavierkonzerten KV 271 und 482. Seine sanft klagende Melodie im Dreiertakt erhebt sich über einem Klanggrund der Mittelstimmen, wie in Opernarien von Christoph Willibald Gluck, die sich Mozart hier offenkundig zum Vorbild nahm. 1778 hatte er in Paris Glucks große Opern gesehen: Alceste, Orphée, Iphigénie en Aulide. Die tragisch gestimmten Mollarien dieser Werke haben im Andante seiner Sinfonia concertante Spuren hinterlassen. Die beiden Soloinstrumente führen ein inniges Zwiegespräch voller Trennungsschmerz, wie ein Opernliebespaar im tränenreichen Abschiedsduett. Häufig bewegt sich die „Deklamation“ der Instrumente an der Grenze zum Rezitativ, zum Sprechgesang. Die eigenartige Wehmut dieses Satzes, besonders seines Nachspiels, kann man schwer in Worte fassen. Auch hier hat Mozart die Kadenz eigens ausgeschrieben, und auch hier wurde sie vom Sextett-Bearbeiter auf alle sechs Instrumente aufgeteilt.

Nach dem trief traurigen Ende des Andante führt der Beginn des Rondo fast behutsam wieder zur Lebensfreude zurück, die erst später in Mozartschen Übermut umschlägt. Das Rondothema im Rhythmus eines Contretanzes setzt leise ein und wird nach und nach gesteigert. Virtuose Triolenpassagen verleihen ihm am Ende mitreißenden Schwung.