“Soirée de Vienne” Nr. 6 für Klavier solo
Werkverzeichnisnummer: 2540
FRANZ LISZT war in den Salons des Virtuosenzeitalters der unangefochtene Herrscher auf dem Pianoforte. Von seinem Charisma gibt es so viele Beschreibungen, daß es schwer fällt, eine herauszugreifen. Wir geben Heinrich Heine den Vorzug, der sich außer für das Auftreten Liszts auch für dessen weitgestreute geistige Neigungen interessierte: “Daß ein so unruhiger Kopf, der von allen Nöthen und Doktrinen der Zeit in die Wirre getrieben wird, der das Bedürfnis fühlt, sich um alle Bedürfnisse der Menschheit zu bekümmern, und gern die Nase in alle Töpfe steckt, worin der liebe Gott die Zukunft kocht: daß Franz Liszt kein stiller Klavierspieler für ruhige Staatsbürger und gemüthliche Schlafmützen seyn kann, das versteht sich von selbst. Wenn er am Fortepiano sitzt und sich mehrmals das Haar über die Stirne zurückgestrichen hat, und zu improvisiren beginnt, dann stürmt er nicht selten allzutoll über die elfenbeinernen Tasten, und es erklingt eine Wildnis von himmelhohen Gedanken, wozwischen hie und da die süßesten Blumen ihren Duft verbreiten, daß man zugleich beängstigt und beseligt wird, aber doch noch mehr beängstigt.”
Diese wie auch alle anderen Beschreibungen von Liszts Spiel beziehen unwillkürlich das Faszinosum der im Augenblick entstehenden Musik, der Improvisation, mit ein, in der sich die romantische Künstlerseele am unmittelbarsten aussprach. Liszts Fantasie entzündete sich an den unterschiedlichsten Vorlagen, so daß Heine witzeln konnte, er habe ihn spielen hören, “ich weiß nicht mehr was, aber ich möchte darauf schwören, er variierte einige Themen aus der Apokalypse.” Liszts Themenfundus reichte von Wagner bis zu Verdi, von Bach bis zu Berlioz, das Spektrum seiner Bearbeitungen von der ausladenden Opernparaphrase bis zur konzentrierten “Transcription”. Er sah sich selbst als Schöpfer dieses Genres der Klaviermusik an: “Das Wort Transcription ward von mir zum 1sten Mal gebraucht, desgleichen Reminiscences, Paraphrase, Illustration, Partition du Piano”.
Seine beliebtesten und erfolgereichsten Bearbeitungen waren seine Schubert-Transkriptionen, mit denen er nicht nur in Wien frenetischen Beifall auslöste. Sie bestehen einerseits aus Klavierübertragungen berühmter Lieder (Erlkönig, Winterreise etc.), zum anderen aus Bearbeitungen von Klaviertänzen Schuberts, die Liszt besonders liebte. Um 1852 faßte er diese zu einem Zyklus in mehreren Heften, den Soirées de Vienne, zusammen, die er auch Valses caprices d’après Schubert nannte. Ferrucio Busoni bemerkte, Liszt sei mit diesen intimen Werken direkt zum Herzen der Zuhörer vorgestoßen, während er sie sonst eher mit seinem Spiel überwältigt habe.