Walzer Nr. 1- 16 für Klavier zu zwei Händen, op. 39 (Fassung des Komponisten für Klavier zu zwei Händen)
Werkverzeichnisnummer: 2536
“KATTERMÄNGS” nannte Johannes Brahms mit hanseatischem Einschlag ein zu seiner Zeit unverzichtbares Musikgenre: die Klaviermusik “à quatre mains”. Vierhändig wurde damals alles gespielt, was man noch nicht in den CD-Spieler stopfen konnte: Sinfonien und Streichquartette, Opern und Oratorien, Walzer und andere Tänze. Das Wenigste war original, das meiste Arrangement, wobei Brahms für viele seiner Werke die nötigen Bearbeitungen selbst vornahm, weil ihm die Kollegen im “Kattermängs”-Genre nicht sauber genug arbeiteten.
Auch Eduard Hanslick, der Wiener Kritiker-Papst der Epoche, nahm das Vierhändig-Spielen ernst – von Berufs wegen. Statt sich wie heute die Partituren beim Verlag zu besorgen, lernte man Neue Musik damals am heimischen Klavier kennen. Beim Durchspielen der Klavierauszüge feilte Beckmesser eben dasselbe, um sich wieder einmal entrüstet über Wagner, lobend über Brahms zu äußern. Freilich gingen die Reize des Vierhändigspielens über bloße Werkkritik hinaus. Als Brahms im April 1866 seinem Freund Hanslick seine Walzer, op. 39, für Klavier zu vier Händen widmete, gab er dafür folgende Gründe an: “Soeben den Titel zu vierhändigen Walzern schreibend … kam mir ganz wie von selbst Dein Name mit hinein. Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund, ich fühlte die Notwendigkeit, Dir es zuzuschreiben.” Derlei schloß demnach immer auch den Reiz des keineswegs nur musikalisch Schönen ein, wovon auch das zweihändige Arrangement der Walzer zeugt, das Brahms – wieder einmal – selbst besorgte. Er veröffentlichte es in zwei unterschiedlich schwierigen Fassungen, “eine für vernünftige Hände und eine – vielleicht für schönere.” Lars Vogt spielt natürlich die erstere. Die 16 kurzen Walzer sind – ohne eigene Satzbezeichnungen – durchaus zyklisch gedacht.
Im Schaffen von Johannes Brahms taucht der Walzer immer wieder auf – sozusagen gebrochen, im Wiederschein des mild glimmenden Lichts der brahhmsschen Melancholie. Daneben aber war die Gattung für den Hanseaten – wie die ungarische Musik – ein Jungbrunnen, in dem er unverblümt gute Laune an den Tag legte, wie es etwa seine “Lieberslieder-Walzer” verraten. Das gleiche gilt für die Klavierwalzer, op. 39, die Brahms zunächst für Klavier zu vier Händen schrieb, dann aber auch eigenhändig für zwei Hände umarbeitete. Sein Kritikerfreund Eduard Hanslick stellte angesichts dieser Serie die (gespielt) ungläubige Frage: “Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer? Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien. Die Kaiserstadt hat Beethoven zwar nicht zum Tanzen, aber doch zum Tänzeschreiben gebracht, Schumann zu einem ‘Faschingsschwank’ verleitet, sie hätte vielleicht Bach selber in eine ländlerische Todsünde verstrickt.”
Mit diesen brillantem Einstieg begann Hanslick seine Rezension der Walzer, op. 39, von Brahms. Sie verdanken ihre Entstehung dem typisch wienerischen Milieu geselligen Musizierens und Hanslicks eigenem Anteil daran. Es war nämlich der Kritiker als leidenschaftlicher Quatre mains-Spieler bekannt, wie ja überhaupt Wien als die europäische Hauptstadt des vierhändigen Klavierspiels bezeichnet werden darf. Mit maliziösem Humor ließ Brahms das Wienerische seiner Walzer und Hanslicks Rolle dabei durchblicken, als er im April 1866 dem Kritikerfreund vorschlug, ihm das neue Opus zu widmen: “Soeben den Titel zu vierhändigen Walzern schreibend, die nächstens erscheinen sollen, kam mir ganz wie von selbst dein Name mit hinein. Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund und was nicht. Kurz, ich fühlte die Notwendigkeit, Dir es zuzuschreiben. .. Es sind zwei Hefte kleiner unschuldiger Walzer in Schubertscher Form – willst du sie nicht und lieber Deinen Namen auf einem gehörigen, viersätzigen Stück, ‘befiehl, ich folge’.”
Hanslick bedankte sich auf seine Weise: mit eben jener Kritik. Sie ist im Ton nicht minder humoristisch als die Grußadresse des Freundes, im Inhalt jedoch eine treffende Charakterisierung des Opus: “Auch die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthalts, und wahrlich von süßester Art. Nicht umsonst hat dieser feine Organismus sich Jahr und Tag der leichten, wohligen Luft Österreichs ausgesetzt – seine Walzer wissen nachträglich davon zu erzählen. Fern von Wien müssen ihm doch die Straußschen Walzer und Schuberts Ländler, unsere Gstanzel und Jodler, selbst Farkas’ Zigeunermusik nachgeklungen haben, dazu die hübschen Mädchen, der feurige Wein, die waldgrünen Höhen und was sonst noch.
Wer Anteil nimmt an der Entwicklung dieses echten und tiefen, bisweilen vielleicht einseitigen Talentes, der wird die Walzer als glückliches Zeichen einer verjüngten und erfrischten Empfänglichkeit begrüßen, als eine Art Bekehrung zu dem poetischen Hafisglauben Haydns, Mozarts und Schuberts! Welch reizende, liebenswürdige Klänge!
Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisiert. Trotzdem stört darin keinerlei künstelnde Affektation, kein raffiniertes, den Total-Eindruck überqualmendes Detail – überall herrscht eine schlichte Unbefangenheit, wie wir sie in diesem Grade kaum selbst erwartet hätten. Die Walzer, sechzehn an der Zahl, wollen in keiner Weise großtun, sie sind durchwegs kurz und haben weder Einleitung noch Finale. Der Charakter der einzelnen Tänze nähert sich bald dem schwunghaften Wiener Walzer, häufiger dem behäbig wiegenden Ländler, mitunter tönt aus der Ferne ein Anklang an Schumann oder Schubert. Gegen Ende des Heftes klingt es wie Sporengeklirr, erst leise und wie probirend, dann immer entschiedener und feuriger – wir sind ohne Frage auf ungarischem Boden.”
Der Brahms-Biograph Max Kalbeck hat Hanslick insofern ergänzt, als er nachwies, dass die Walzer tatsächlich auf wienerischem Boden entstanden, nämlich im Januar 1865, kurz vor der durch den Tod seiner Mutter erzwungenen Abreise des Komponisten aus der Donaumetropole. Erst 1866 ließ sich Brahms endgültig in Wien nieder.