Sonate für Klarinette und Klavier
Werkverzeichnisnummer: 256
1. Grazioso, un poco più mosso
2. Andantino – Vivace e leggiero
Den Schöpfer der West Side Story, der Mass und großer sinfonischer Werke mit programmatischen Titeln wird man kaum mit Kammermusik, noch dazu einer Duosonate der üblichen Form in Verbindung bringen. Bernsteins 1941/42 komponierte Klarinettensonate gehört denn auch in den Bereich seines Frühwerks, wenn er selbst auch der Meinung war, dies sei sein erstes “reifes Werk”. Als Musikstudent der Harvard University setzte sich Bernstein Ende der 30er Jahre intensiv mit der klassischen Sonatenkomposition auseinander. In rascher Folge schrieb er damals vier kammermusikalische Werke, “die die strenge Forderung der Form im Titel tragen und dabei, entgegen den späteren Symphonien, ohne programmatische Momente oder literarische Anspielungen auskommen” (Vera Baur): ein Klaviertrio (1937), eine Klaviersonate (1938), die Violin- (1939) und die Klarinettensonate.
Die Beschäftigung mit der großen Tradition der Sonate zeigt sich in dem Klarinettenwerk “in einem gewichtigen Kopfsatz in Sonatensatzform und einem weiteren Satz, dessen Aufteilung in langsame Einleitung und schwungvollen Hauptteil auf die übliche Folge des langsamen Mittelsatzes und abschließenden Rondos anspielt. In Hindemithscher Spielfreudigkeit präsentiert der erste Satz zwei Themen, von denen das zweite, statt des sonst üblichen lyrischen Innehaltens, sogar eine leichte Beschleunigung der Gangart bringt. Nach einem weitgehend freien Durchführungsteil tritt eine auf das erste Thema verkürzte Reprise in Erscheinung, während die Wiederkehr des zweiten Themas der ritardierenden Schlußcoda vorbehalten bleibt.
Im zweiten Satz wird man mit 26 Takten Andantino-Einleitung zunächst auf einen langsamen Satz eingestimmt, dann aber schnell von den jazzigen Rhythmen des Vivace e leggiero in die Sphäre des überschwenglichen Schlußsatzes fortgerissen. Dreiteilig angelegt, zeigt dieser seine Besonderheit in einem die pulsierenden Außenteile extrem kontrastierenden Mittelteil, der mit verhalten lyrischem Aussingen der Klarinette den zu kurz gekommenen langsamen Satz nachholen zu wollen scheint.”
Obwohl der Werkkatalog Leonard Bernsteins annähernd 100 Kompositionen verzeichnet, sind es nur ganz wenige Stücke, die in das Bewußtsein des Publikums vorgedrungen sind, darunter – neben dem Erfolgsmusical West Side Story – der ein oder andere Song eines weiteren Broadway-Musicals, die liebenswerten Chichester-Psalms und die schwungvoll-optimistische Ouvertüre zu der Operette Candide. Daß sein kompositorisches Schaffen als Ganzes darüber hinaus vergleichsweise wenig Beachtung gefunden hat, mag angesichts der nahezu uneingeschränkten Popularität, der sich Bernstein als Dirigent erfreute, verwundern, hat aber verständliche Gründe auch in diesem Schaffen selbst. Jenseits klar definierbarer Kompositionsströmungen verschrieb sich Bernstein einem Stilpluralismus, der nicht nur die Grenzen zwischen E- und U-Musik verwischte, sondern z. T. auch die herkömmlichen Gattungsbegriffe außer Kraft setzte und damit einer Gesamtschau die gängigen Verständniskategorien entziehen mochte. Dennoch ist ein Großteil seiner Kompositionen, so unterschiedlichen musikalischen Idiomen oder formalen Bestimmungen sie im einzelnen auch folgten, aus einer gemeinsamen Quelle genährt, die die extreme Vielfältigkeit seiner Musiksprache letzlich nicht, wie oft behauptet, als eklektizistisches Kunterbunt, sondern vielmehr als eine homogene künstlerische Kundgabe ganz eigener Ausprägung erscheinen läßt.
Die gemeinsame Quelle des Bernsteinschen Schaffens war das Bedürfnis, mit seinen Werken zentrale gesellschaftliche Probleme des Jahrhunderts zu berühren und in dieser Tendenz zugleich jedermann verständlich zu werden. Daraus resultierte zunächst Bernsteins deutliche Bevorzugung dramatischer Formen, in denen sich der jeweilige Gegenstand für ihn am anschaulichsten und unmittelbarsten darstellen ließ. Insofern können die Ballette, Musicals und Opern als das eigentliche Zentrum seines Schaffens angesehen werden. Daß er zur Verdeutlichung seiner programmatischen Absichten aber auch abstrakt-musikalische Formen immer wieder mit dramatischen Elementen durchsetzte, hat er selbst anläßlich einer Ausgabe der 2. Symphonie nach H. W. Audens Versepos The Age of Anxiety eingestanden: “Ich habe den Verdacht, daß jedes Werk, das ich schreibe, für welches Medium auch immer, in Wirklichkeit in irgendeiner Weise Theatermusik ist”. Deutliche Annäherung an dramatische Elemente zeigt auch Bernsteins 3. Symphonie, in der die dreimalige Vertonung des jüdischen Kaddish-Gebetes von den gesprochenen Monologen eines mit seinem Gott hadernden Gläubigen begleitet wird und damit Züge des Melodramas annimmt.
Neben dieser latent dramatisierenden Tendenz zahlreicher seiner Werke ist es die Bemühung um eine verständliche und publikumsnahe Musiksprache, die ein weiteres gattungsübergreifendes Charakteristikum des Bernsteinschen Schaffens darstellt. Ihr ist nicht nur die weitgehende Wahrung der Tonalität zuzurechnen, sondern vor allem die Adaption jeglicher Form von Musik breitester Aktzeptanz, vom Jazz, über die amerikanische Popmusik, die Hollywood-Filmmusik, die südamerikanische Folklore bis hin zu den beliebten Tanzformen der europäischen Kunstmusik. Dabei ging es Bernstein niemals um die Befriedigung eines oberflächlichen Publikumsbedürfnisses, sondern stets darum, der besonderen Botschaft eines Werkes größtmögliche Plastizität und Lebensnähe zu verleihen. Kennzeichnend hierfür ist sein lebenslängliches Ringen um die große amerikanische Oper, die ein ernstes Thema behandeln, zugleich aber jedermann verständlich sein sollte und der er sich mit Werken wie Trouble in Tahiti, A Quiet Place und Songfest auf je unterschiedliche Weise annäherte. Das damit verfolgte Ziel dürfte er aber dennoch nicht im Bereich der eigentlichen Oper erreicht haben, sondern vielmehr mit seinem Musical West Side Story, das mit der Integration von Gesellschaftskritik und einer trotz unmittelbarer Eingängigkeit differenzierten Tonsprache weit jenseits der vorwiegenden Unterhaltungsideologie gängiger Broadway-Stücke liegt
Insofern als die religiöse oder politische Bekenntnismusik den weitaus größten Teil von Bernsteins Schaffen einnimmt und alle weiteren Werke, wenn nicht einem weltanschaulichen, so doch einem anderen, zumeist literarischen Programm folgen (Serenade, Dybuck), muß der heute abend gespielten Klarinettensonate eine Sonderstellung zugesprochen werden. 1941-42 komponiert und von Bernstein selbst als erstes reifes Werk bezeichnet, gehört sie einer Werkgruppe an, die in engem Zusammenhang mit seinem Musikstudium an Harvard University steht und seine Auseinandersetzung mit der klassischen Sonatenkomposition markiert. In unmittelbarer Folge entstehen während dieser Zeit die einzigen Werke Bernsteins, die die strenge Forderung der Form im Titel tragen und dabei, entgegen den späteren Symphonien, ohne programmatische Momente oder literarische Anspielungen auskommen: ein Klaviertrio (1937), eine Klaviersonate (1938), eine Violinsonate (1939) und die Klarinettensonate von 1942.
Die übliche Sonatenanlage zeigt sich hier in einem gewichtigen Kopfsatz in Sonatensatzform und einem weiteren Satz, dessen Aufteilung in langsame Einleitung und schwungvollen Hauptteil auf die übliche Folge des langsamen Mittelsatzes und abschließenden Rondos anspielt. In Hindemithscher Spielfreudigkeit präsentiert der erste Satz zwei Themen, von denen das zweite, statt des sonst üblichen lyrischen Innehaltens, sogar eine leichte Beschleunigung der Gangart bringt. Nach einem weitgehend freien Durchführungsteil tritt eine auf das erste Thema verkürzte Reprise in Erscheinung, während die Wiederkehr des zweiten Themas der ritardierenden Schlußcoda vorbehalten bleibt. Im zweiten Satz wird man mit 26 Takten Andantino-Einleitung zunächst auf einen langsamen Satz eingestimmt, dann aber schnell von den jazzigen Rhythmen des Vivace e leggiero in die
Sphäre des überschwenglichen Schlußsatzes fortgerissen. Dreiteilig angelegt, zeigt dieser seine Besonderheit in einem die pulsierenden Außenteile extrem kontrastierenden Mittelteil, der mit verhalten lyrischem Aussingen der Klarinette den zu kurz gekommenen langsamen Satz nachholen zu wollen scheint.