Sonate A-Dur für Klavier, D 959
Werkverzeichnisnummer: 2477
1. Allegro
2. Andantino
3. Scherzo. Allegro vivace – Trio
4. Rondo. Allegretto
“Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen.” Franz Grillparzers Grabinschrift für Franz Schubert spiegelt nicht nur den Respekt der Musikwelt vor einem jung verstorbenen Genie allgemein, sondern auch die Situation in Schuberts letztem Lebensjahr im Besonderen wider. 1828 hatte sich der Wiener Compositeur Franz Schubert gerade angeschickt, eine weithin anerkannte musikalische Größe seiner Heimatstadt zu werden. Er zog, zunehmend auch “im Auslande”, sprich: in Deutschland und England, die Aufmerksamkeit der Musikverlage, der Fachpresse und des Publikums auf sich. Der Mainzer Schott-Verlag ersuchte ihn um Werke, die führende deutsche Musikzeitschrift widmete ihm begeisterte Rezensionen, und in Wien erlebten seine größeren Instrumentalwerke, nicht mehr nur seine Lieder, erfolgreiche Aufführungen. Als Schubert am 19. November 1828 im Alter von 31 Jahren starb, begrub die “Tonkunst” die schöne Hoffnung, in ihm den Nachfolger Beethovens begrüßen zu dürfen – nicht mehr und nicht weniger.
Die letzten drei Klaviersonaten, vollendet im August 1828, sind jene Werke, in denen sich Schuberts Rolle als Nachfolger der Klassiker am deutlichsten bekundet, zugleich aber auch der ureigene, tief persönliche Ton des Komponisten am klarsten ausspricht. Der besondere Rang dieses Zyklus als eines kompositorischen Vermächtnisses wurde schon 1838 von Robert Schumann in einem Artikel über “Franz Schubert’s letzte Compositionen” angesprochen. Für Schumann waren sie dort angesiedelt, “wo die Phantasie durch das traurige ‘Allerletzte’ nun einmal vom Gedanken des nahen Scheidens erfüllt ist”. Die erhaltenen Skizzen beweisen allerdings, dass sich Schubert ungewöhnlich lange mit diesen Sonaten beschäftigte, sie also schon skizziert hatte, lange bevor im September 1828 erste Anzeichen seiner Todeskrankheit auftraten. Tod und Trauer, wie sie aus den Mittelsätzen und den Durchführungspartien dieser Werke zu sprechen scheinen, gehörten vielmehr seit seiner Jugend zu seinen bevorzugten Themen, die nicht unmittelbar mit dem eigenen Schicksal verknüpft waren. Außerdem sollte man die Züge zum Grotesken und Doppelbödigen in diesen späten Werken nicht verkennen.
Die letzten drei Sonaten sind dennoch eine Art kompositorisches Vermächtnis, nämlich die Krönung von Schuberts lebenslanger Auseinandersetzung mit der Gattung “Klaviersonate”. Dem Musikkritiker Schumann erschienen sie “auffallend anders als seine andern (Sonaten), namentlich durch viel größere Einfachheit der Erfindung, durch ein freiwilliges Resignieren auf glänzende Neuheit … Als könne es gar kein Ende haben, nie verlegen um die Folge, immer musikalisch und gesangreich rieselt es von Seite zu Seite weiter, hier und da durch einzelne heftigere Regungen unterbrochen, die sich aber schnell wieder beruhigen.” Schumann verkannte erstaunlicherweise die Gebrochenheit in vielen Passgen dieser scheinbar so eingängigen Werke.
So könnte man die A-Dur-Sonate als die klangschönste und “pianistischste” der drei bezeichnen. Es “ist wohl keine Sonate in der ganzen Satzweise so reich und sorgfältig, pianistisch so feinsinnig durchgestaltet wie diese.” (Klaus Wolters) Schon der Beginn mit seinen dominanten Oktaven in der linken Hand und der fast barocken Rhythmik zeigt ausgesprochen kraftvolles, an Beethoven gemahnendes Profil. “Der herrische Effekt weicht jedoch rasch einem einfachen, bezaubernden Seitenthema, das Schubert zum Hauptmotiv des Satzes erhob” (Melvin Berger), wobei die Melodik gelegentlich zitathaft frühere Liedkompositionen streift. Wesentlich ist jedoch in diesem Satz, wie im folgenden Andantino, der Einbruch eines düster-fatalistischen Tons in die scheinbar so lichte Umgebung.
Das fis-Moll-Andantino wurde als ein Vorläufer der Nocturnes von Chopin, als “Klagelied” und als “Lamento” bezeichnet. In den ruhigen Fluß der Außenteile bricht freilich im Mittelteil ein rhapsodisches Rezitativ ein, wie es Chopin so nie geschrieben hätte und das kompromißlos bis zu einer Art Zusammenbruch gesteigert wird. Danach kehrt der Beginn, noch melancholischer, variiert wieder.
In Scherzo und Finale tritt die Hintergründigkeit des Musizierens deutlich zutage: in ersterem durch die grotesken, E. T. A. Hofmann streifenden Züge, in letzterem durch ein erschreckendes Spiel mit Generalpausen, die ganz am Ende des Rondothema fast zusammenhanglos erscheinen lassen.