Préludes II | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Claude Debussy

Préludes II

Préludes II

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2443

Satzbezeichnungen

1. Brouillards
2. Feuilles Mortes
3. La Puerta del Vino
4.’Les Fées sont d’exquises danseuses’
5. Bruyères
6. Général Lavine-excentric
7. Le terrasse des audiences du clair de lune
8. Ondine
9. Hommage à S. Pickwick Esq. P.P.M.P.C.
10. Canope
11. Les tierces alternés
12. Feux d’artifices

Erläuterungen

Mit seinen Préludes, zwei Zyklen von je zwölf Klavierstücken, die 1910 bzw. 1910-13 entstanden, knüpfte Claude Debussy nur zum Teil an die große Tradition des Klavierpräludiums bei Bach und Chopin an. Mindestens ebenso bedeutsam waren für ihn, den „Musicien français“, wie er sich emphatisch nannte, die Préludes der französischen Cembalomeister, eines Louis und François Couperin, eines Clérambault und Rameau. In ihrer freien, poetischen Gestaltung und ihrer Formlosigkeit bis hin zur totalen rhythmischen und harmonischen Freiheit gewährten diese alten Préludes eben jenen Raum fürs Assoziative und Poetische, den auch Debussy in seinen Préludes anstrebte. Die Titel der Stücke hat der Komponist denn auch lediglich als Nachgedanken in Klammern an den Schluss der Préludes gestellt.

Die Préludes haben, so schrieb Heinrich Strobel in seiner Debussy-Biographie, „mehr als irgendein anderes Werk die Ansicht bestärkt, daß Debussy impressionistische Musik schrieb. Vergessen wir nicht: er setzt die Titel an den Schluß der Stücke. Er will nicht, daß man gleich ein bestimmtes Bild vor Augen habe. Er will vielmehr nach dem Hören eine Bestätigung geben. Aber dies ist vielleicht ein äußerliches Mittel. Wichtiger ist, dass diese Stücke von einer konstruktiven Konsequenz sind, die durchaus den Images für Orchester und Jeux gleichkommt. Nicht die Farbe, sondern die klangliche Konstruktion, die Melodik und die Rhythmik bestimmen ihre Gestalt.“ Was Debussy jungen Pianisten sagte, die seine Musik spielen wollten, steht gleichsam als Motto über der gesamten pianistischen Alchemie der Préludes: „Vor allem muss man vergessen, dass das Klavier Hämmer hat!“

Zum Stil und der pianistischen Seite der Préludes sei noch einmal Strobel zitiert: „Die Préludes sind mit jener letzten Wissenschaft von der harmonischen Chemie komponiert, die Debussy so oft zitiert. Aber sie haben fast alle eine gewisse Künstlichkeit, die sie deutlich von früheren Werken dieser Art unterscheidet. Es muss auch ein Wort über Debussy als Pianisten gesagt werden. Gewiss war er kein vollendeter Virtuose im Sinne berühmter Tastenhelden. Sein Spiel hatte einen unnachahmlichen Zauber, der allen unvergessen blieb, die es einmal hören durften. Debussy war ein ‚charmeur am Klavier‘, sagt Maurice Emmanuel. Er erweckte die vielfältigen Klänge des Orchesters auf den Tasten. Sein Anschlag war von einer Zartheit ohnegleichen und von einem schier unbegrenzten Reichtum an Nuancen. Er wusste mit seinem Legato die fremdartigsten Akkorde auf die natürlichste Weise miteinander zu verbinden. Er war ein Meister in der Behandlung des Pedals. Er hasste alle übertriebenen Betonungen und jenes Hervorheben der Melodie … Er hüllte alles in einen weichen, wollüstigen Klang.“ (Strobel)

Die Titel hat Debussy jeweils nur am Ende jedes Stücks in Klammern hinzugefügt, um einer rein tonmalerischen Deutung Vorschub zu leisten. Hier kurz den zwölf Préludes des zweiten Bandes:

Brouillards (Nebel): Antithese schwarze gegen weiße Tasten; eine „Klangchemie, deren Prozesse die traditionellen Bildungen von Musik ersetzt“ (Dieter Schnebel); erst ein „Prozess des Verfließens“, dann eine „melodische Gestalt: Der ungeheure Abstand von vier Oktaven trennt die beiden Hände, Symbol unendlicher Weite, kontrastierend mit dem äußersten Dichtegrad, den die kleinsten Teile vorher erreichen.“ (Werner Oehlmann)

Feuilles mortes (Herbstlaub): Eine Art Nonenakkord, „vieldeutig und verwandlungsfähig, gewinnt Symbolkraft für die schillernde Fäulnis, für das absterbende Leben.“ (Oehlmann) Lent et mélancholique („langsam und melancholisch“) hat Debussy den Satz überschrieben.

La puerta del vino (Das Tor des Weins) ist der Name des ältesten Tors der Alhambra in Granada – eines der Meisterwerke maurischer Baukunst in Spanien, zugleich ein Ort geheimnisvoller Mythen und Erzählungen. Auch durch Debussys spanisches Klavierstück zieht sich geheimnisvoll eine Art Flamenco-Melodie, die zum Symbol für eine leidenschaftliche Liebesgeschichte wird: Der Satz ist im Duktus einer Habanera zu spielen (wie die Habanera in Bizets Carmen), freilich „avec des brusques oppositions d’extrême violence et de passionnée douceur“ („mit dem brüsken Gegensatz zwischen extremer Gewalt und leidenschaftlicher Süßigkeit“).

Les Fées sont d’exquises danseuses (Die Feen sind tanzende Skizzen) beschreibt in flirrenden Zweiunddreißigsteln und zarten Tanzrhythmen einen Feenreigen, nicht im Stile Mendelssohns, sondern mediterran schillernd und mysteriös, wobei auch das Horn des Feenkönigs Oberon aus der berühmten Ouvertüre von Carl Maria von Weber hineingeheimnist ist.

Bruyères (Heidekraut) ist eine Idylle in As-Dur, die mit einem ruhigen, einstimmigen Thema angebt und sich immer mehr mit leuchtendem Violett anfüllt – wie Erika auf der Heide.

Général Lavine-excentric beschreibt „im Stil und in der Bewegung eines Cake-Walk“ den exzentrischen General Lavine, der offenbar dem Nachtleben des mondänen Paris zuspricht und sich zu den Klängen eines frühen „Ragtime“ aufs Parkett wagt. Es ist die Atmosphäre der Minstrel, der damaligen Shows farbiger Musiker, die Debussy hier in schrillen Trompetenklängen beschwor.

Le terrasse des audiences du clair de lune (Die Terrasse für die Zuschauer des Mondlichts) zeugt von der um 1910 anhebenden Begeisterung der Franzosen für die indische Musik, wie sie besonders Ravels Freund Maurice Delage von seinen Indienreisen mit nach Frankreich brachte. Debussy fand den seltsamen Titel des Stücks in einem Indien-Reiseführer und schrieb ein Stück Klavier-Exotik in den schönsten „fernöstlichen“ Akkorden.

Ondine ist zugleich eine Wellenstudie und ein Feenscherzo, Debussys Antwort auf Ravels furiose Darstellung der Wassernymphe Undine.

Hommage à S. Pickwick Esq. P.P.M.P.C. ist vor allem eine Hommage an Charles Dickens und dessen Roman The Pickwicks. Unverkennbar hören wir im Bass zu Beginn das „God save the Queen“, angestimmt von den ehrwürdigen Mitliedern des Perpetual Member Pickwick Club (P.M.P.C.), von dem Dickens’ London-Roman erzählt. Die englische Hymne taucht in der Mitte noch einmal beinahe enstellt auf.

Canope beginnt très calme et doucement triste (sehr ruhig und auf süße Weise traurig), mit einem feierlichen Gesang im dorischen Kirchenton. Debussy liebte seine beiden Kanopen, altägyptische Graburnen, mit denen er seinen Kamin zierte. Das Klavierstück offenbart, wie in der Betrachtung der Kanope die Riten der Antike in die Gegenwart hineinragen.

Les tierces alternés beruht, wie der Titel schon sagt, auf dem Alternieren von Terzen, mal ruhiger, mal im rasend schnellen Wechsel der beiden Hände. Dennoch müssen die Terzen „ganz leicht détaché, aber ohne Trockenheit“ gespielt werden.

Feux d’artifice, „Feuerwerk“, lautet programmatisch der Titel des Finalstückes – ein Feuerwerk an Farben und Lichteffekten, nicht ein Feuerwerk von „Knallkörpern“, bleibt Debussy doch auch hier weitgehend im Piano-Bereich – so als ob man ein Feuerwerk aus sehr weiter Ferne beobachten würde, ohne es zu hören. Der Zyklus schließt mit einem Fernklang (de très loin), immer leiser und langsamer werdend.