„Un moto di Gioia“, Ersatzarie aus Le nozze di Figaro, KV 579
Werkverzeichnisnummer: 2430
MOZART war ein intimer Kenner der Gesangskunst und hat manchem Solisten durch seinen Gesangsunterricht zu einer erfolgreichen Karriere verholfen. Seine geniale Einschätzung von Stimmen kam ihm im Opernmetier des späten 18. Jahrhunderts allenthalben zugute. Denn der Zwang zur Anpassung an die Stimmen ging damals so weit, daß bei der Wiederaufnahme einer Oper Arien gegen neue ausgestauscht werden mußten, wenn eine Partie nicht mehr von der ursprünglichen Sängerin verkörpert wurde.
Dies war unter anderem bei der Wiederaufnahme von Le nozze die Figaro am Wiener Burgtheater 1789 der Fall. Die erste Susanna, Nancy Storace, war von der Sopranistin Ferrarese del Bene abgelöst worden, für die Mozart wenig später die Partie der Fiordiligi in Così fan tutte komponieren sollte. Im Figaro forderte sie Ersatzstücke für die Rosenarie und Susannas Arie im zweiten Akt. Mozart schrieb anstelle der letzteren die walzerartige Arie Un moto di gioia, wobei er sich über die Wirkung dieses Stücks im Munde der zum Tragischen neigenden Primadonna keinerlei Illusionen hingab: „Das Ariettchen, so ich für die Ferrarese gemacht habe, glaub‘ ich soll gefallen, wenn anders sie fähig ist, es naiv vorzutragen, woran ich aber sehr zweifle.“
2005 RheinVokal
Lilien, Rasierzeug und Pariser Heiterkeit – ein Streifzug durch die Opernwelt
„Susanna“ ist hebräisch und heißt übersetzt „die Lilie“. Die Dienerin Susanna in Lorenzo da Pontes Libretto zur Hochzeit des Figaro hat allerdings so gar nichts Lilienhaftes; weit eher träfe eine robuste Rosensorte ihren Charakter: viel Charme und genauso viele Dornen, die sie mit klarem Kopf, mit Witz und Würde zur Verteidigung ihrer Rechte einsetzt. Graf Almaviva, in dessen Haus Susanna angestellt ist, will an ihr das längst überholte „jus primae noctis“ wiederbeleben – jenes Recht, das dem adligen Herrn die Entjungferung seiner Untergebenen zugesteht. Mit List und Geschick inszeniert Susanna ein Verwirrspiel.
Schon in den ersten Takten der Ouvertüre zu Le nozze di Figaro hat Wolfgang Amadeus Mozart mit brodelnder Melodik angedeutet, dass es Turbulenzen geben wird. Im zweiten Akt gibt sich Susanna noch bedenkenlos einem erotischen Verkleidungsspaß mit Cherubino hin. Für diese Szene schrieb Mozart auf Verlangen der neuen Wiener Primadonna Ferrarese del Bene 1789 eine Ersatzarie, die hier gesungene „Un moto di gioia“ im Walzertakt. Die Ferrarese, im Jahr darauf seine Fiordiligi in Così fan tutte, inklinierte zum pathetischen Stil, weshalb Mozart an ihrer Interpretation der neckischen kleinen Arie von vornherein Zweifel anmeldete: „Das Ariettchen so ich für die Ferraresi gemacht habe, glaub‘ ich soll gefallen, wenn anders sie fähig ist es naiv vorzutragen, woran ich aber sehr zweifle.“
Als der Graf Susanna im Duett „Crudel! Perché finora“ zum Rendezvous bittet, gibt sie vor zu kommen. Statt dessen schickt sie aber die Gräfin – in Verkleidung. Der Graf bemerkt den Trick und rast vor Wut – das Orchester, das seine Arie „Vedrò mentre io sospiro“ mit aufgeregten Figuren begleitet, spiegelt seinen Seelenzustand wider.
Das genaue Gegenstück zu diesem Wutausbruch ist Susannas wunderbare „Rosenarie“: Mit ihrem wiegenden Siciliano-Rhythmus und der Holzbläserbegleitung entwirft sie das Bild einer friedlichen Natur, eines Paradieses – die musikalische Utopie einer Welt, in der die Menschen ohne Standesunterschiede leben. Am Ende siegen dank Susanna (gerade noch) Glück, Treue und beinahe-lilienhafte Reinheit.
Mozarts Zauberflöte steht ganz oben auf der Hitliste der Opernhäuser und beim Publikum. Wir sprechen heute ganz selbstverständlich von Mozarts Stück. Auf dem Theaterzettel der Uraufführung von 1791 ist Mozarts Name indessen verschwindend klein gedruckt; dagegen ist der Name des Librettisten Emanuel Schikaneder so groß geschrieben, als sei die Oper allein von ihm. Schikaneder war ein Multitalent – ein hervorragender Schauspieler, Sänger, Regisseur, Ausstattungskünstler, Dichter und Theaterleiter. In seinem Libretto vermischte er verschiedene Märchenstoffe, Passagen eines französischen Romans und Gedankengut der Freimaurer zu einer reizvollen und bühnenwirksamen Mixtur. Die Rolle des liebenswerten Aufschneiders Papageno schrieb er sich selbst auf den Leib.
Das Libretto zu Gioacchino Rossinis Barbier von Sevilla speist sich aus der selben Quelle wie dasjenige zu Mozarts Figaro, einer Schauspieltrilogie des französischen Dichters Pierre Augustin Caron de Beaumarchais aus dem späteren 18. Jahrhundert. Etliche Komponisten und Librettisten der Zeit entdeckten Beaumarchais-Dramen für sich. Rossini war noch jung, aber schon namhaft, als er seinen Barbier innerhalb weniger Tage komponierte – mit der Absicht, damit ein Konkurrenzwerk des Komponisten Giovanni Paisiello vom Spielplan zu verdrängen, dem ebenfalls der Barbier-Stoff zugrunde lag. Die Uraufführung am 10. Februar 1816 war ein grandioser Misserfolg: Die Anhänger Paisiellos füllten das Theater und machten keinen Hehl daraus, was sie von Rossinis Werk hielten: Sie buhten, pfiffen und zischten es aus. Dennoch: Das Publikum erkannte bald die Schönheit und den Witz der Musik. Und vielleicht hat der Skandal Rossini letztlich sogar genützt: Mit dem Barbier wurde er in ganz Europa berühmt. Im Wiener Kärntnertor-Theater etwa spielte man 1822 eine ganze Saison lang nichts als Rossini. Die Barbier-Ouvertüre hat der Pragmatiker Rossini kurzerhand aus einem älteren Werk übernommen: aus seiner Oper Aureliano in Palmira. In der Arie „Largo al factotum“ lässt der Friseur Figaro einen musikalischen Stoßseufzer los, dass er Mädchen für alles sei, und zwar für die ganze Stadt: Hier jemanden rasieren, dort jemandem die Haare schneiden, dort einen kleinen Liebesbrief überbringen – das alles von Rossini in jenem virtuos-witzigen Plauderton komponiert, der ihn unsterblich machen sollte.
Charles Gounod war von Hause aus Kirchenmusiker. Seit seiner Jugend faszinierte ihn Goethes Faust, und so bat er die beiden Theaterdichter Jules Barbier und Michel Carré, die Tragödie zu einem Opernlibretto umzuschmieden. Die Librettisten strichen beherzt die philosophischen Passagen des Faust heraus und stellten die Gretchen-Tragödie ins Zentrum. Der Operntext schildert, wie Faust sich in Margarethe verliebt, ihr näher kommt und sie wieder verlässt, als Margarethe ein Kind von ihm erwartet, das sie in ihrer Verzweiflung tötet, wie die Kindsmörderin dem Kerker entkommt und schließlich in verklärter Gestalt zum Himmel schwebt. Zwei verschiedene Fassungen existieren von dieser Oper: Die erste enthält gesprochene Dialoge, in der zweiten Fassung ist der komplette Text in Musik gesetzt. Erst in die zweite Fassung hat Gounod die Cavatine von Margarethes Bruder Valentin Avant de quitter ces lieux aufgenommen, ein demütiges Gebet um den Schutz seiner Schwester.
Ein Wechselbad der Gefühle spiegelt die Musik in der „Juwelenarie“ wider: Zunächst ist Margarethe misstrauisch und eher gleichgültig gegenüber dem Schmuckkästchen, das Faust als Geschenk vor ihrer Tür deponiert hat. Als sie dann aber die Ohrringe, Ketten und Armbänder anlegt und einen Blick in den Spiegel wirft, bricht sie in Entzücken aus und wünscht sich, Faust könne sie mit diesem Schmuck in all ihrer Pracht sehen.
Das Autorenduo Michel Carré und Jules Barbier lieferte auch den textlichen „Rohstoff“ für Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen: Ursprünglich ein Sprechtheater-Stück, verwandelte es Carré in ein Opernlibretto. Die Oper ist eines der bedeutendsten Werke Offenbachs und gleichzeitig sein letztes. Die Uraufführung in der Pariser Opéra comique am 10. Februar 1881 erlebte der Komponist nicht mehr; von einigen Teilen der Oper hinterließ er nur ein Klavierparticell, gleichsam eine Schwarz-Weiß-Version der Musik, die ein Kollege instrumentierte. In der Arie Les oiseaux dans la charmille singt die schöne Olympia von der Liebe; ihr Verehrer lauscht entzückt. Die Musik verrät mit ihren abgehackten Phrasen und Floskeln, was der gute Mann erst später bemerkt: Olympia ist eine Aufziehpuppe!
Gaîté Parisienne – „Pariser Heiterkeit“ – nannte der Komponist Manuel Rosenthal seine Ballettmusik für das Ballett von Monte Carlo, in der er Melodien von Offenbach verarbeitete. Alles ist hier lebendig und spritzig, heiter und graziös. Die Uraufführung 1938 versetzte das Publikum in schiere Freudentaumel, und bis heute hat die Begeisterung nicht nachgelassen. Doris Blaich