Sinfonietta für Bläserquintett, Streichquartett und Kontrabass, op. 1
Werkverzeichnisnummer: 2426
1. Poco presto ed agitato
2. Variations. Andante lento
3. Tarantella. Presto vivace
BENJAMIN BRITTEN stellte als erst 19jähriger Student des Royal College of Music im Januar 1933 in den Londoner Macnaghten-Lemare-Konzerten der Öffentlichkeit sein Opus I vor: die Sinfonietta für Bläserquintett, Streichquartett und Kontrabaß. Es war ein Werk jenes Genres, das aus sinfonischer Form und solistischer Besetzung eine neue Einheit zu formen versuchte – eine Synthese aus Sinfonik und Kammermusik. Der Archetypus dieser Gattung, Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 aus dem Jahre 1906, hatte auch auf den jungen Britten einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt, doch standen 1932, wie es Peter Evans formulierte, “noch andere Modelle für einen solchen Aufmarsch üppiger Solo-Klangfarben zur Verfügung, insbesondere Hindemiths Kammermusiken, op. 24 und op. 36, die einen kunstvollen kontrapunktischen Satz in mechanisierte, vom barocken Concerto entlehnte Strukturen verwandelten. Britten fand, bedingt durch seine Ausbildung bei Frank Bridge und seine Prägung durch die gesamte englische Tradition der Spätromantik, die flotte Gangart und barocke Symmetrie von Hindemiths Manier wenig attraktiv. Sein Ehrgeiz war es vielmehr, neue Ausdrucksmöglichkeiten in jener subtileren, wahrhaft symphonischen Thematik zu suchen, die sich statt mit eindeutigen Definitionen mit der Energie kleiner motivischer Einheiten beschäftigt… Es wird immer noch zu wenig erkannt, wie konsequent Britten auf die vereinheitlichende Kraft motivischer Ableitungen vertraute.” (Peter Evans, The Music of Benjamin Britten)
Das Opus I des Komponisten ist dafür ein Musterbeispiel. Die drei Sätze des ca. viertelstündigen Werkes gehen attacca ineinander über und sind durch mehr oder weniger offenkundige motivische Beziehungen miteinander verbunden. Der Kopfsatz in Sonatenfom entwickelt sich – wie andere Frühwerke Brittens (Phantasy-Quartet) – aus einem rhapsodisch wirkenden Geflecht arabesker Linien heraus. Es handelt sich dabei um das Hauptthema in der Klarinette, kontrapunktiert von Umkehrungen der anderen Holzbläser und einer Hornmelodie. In den Streichern kristallisiert sich dazu eine Art Marschrhythmus heraus, der aber vor dem Seitenthema plötzlich abbricht. Eingebettet in Zitate aus dem ersten Thema und einen weichen, triolischen Klang erklingt in der Flöte das zweite Thema, das eine freie Umkehrung des ersten darstellt, aber lyrisch-pastoralen Charakter hat, was Soli für Violine und Violoncello noch unterstreichen. Durchführung und Reprise bilden insofern eine Einheit, als sich letztere auf einem Streicher-Ostinato entfaltet, der in der Durchführung beginnt. Im nunmehr deutlich hervortretenden Marschrhythmus werden Haupt- und Seitenthema monumental miteinander kombiniert.
Ein Zitat aus dem Seitenthema leitet zum langsamen Mittelsatz über. Er hat die Form freier Variationen, allerdings in deutlicher Dreiteiligkeit. Das Variationenthema hat Britten in das suggestive Klanggewand eines hohen Geigenduetts gekleidet. Die Oberstimme mit ihren fallenden Intervallen (Terz, Quint, Sept) wird vom Kontrapunkt der Unterstimme in der Weise begleitet, daß beide eine Kette von Sekundvorhalten bilden. Dieses für die englische Musik der Zeit typische harmonische Mittel verleiht dem Satz seine elegische Aura, die an die Musik von Brittens Lehrer Frank Bridge erinnert. Nachdem das Thema im Mittelteil des Satzes in Varianten aufgefächert und mit den Themen des ersten Satzes kombiniert wurde, kehrt es in der Originalgestalt als Horn-Fagott-Duo wieder, grundiert von einer ätherischen Klangfläche des Ensembles. Brittens Fähigkeit, durch Instrumentation eine Aura zu kreieren, tritt hier bereits eindrucksvoll zu Tage.
In die Ruhe dieses Klangs bricht die Bratsche mit dem nervösen Tarantella-Thema des Finales ein, in dessen Strudel nach und nach alle Instrumente hineingerissen werden. Unregelmäßige Akkordschläge und ein im Pizzicato vorgestelltes Seitenthema bilden Kontrapunkte zur Tarantella, die auf einen hektischen Höhepunkt zustrebt. Ein Hornruf und ein kurzes Fagottsolo setzen danach einen Ruhepunkt vor der Reprise, die zugleich die Reprise des gesamten Werkes ist: Zum Tarantellathema treten nacheinander das Seiten-thema des ersten Satzes (Flöte), das Thema des zweiten (Horn) und das Hauptthema des ersten (Unterstimmen) hinzu. Akkordschläge beenden den Satz.
Peter Evans faßte die Bedeutung dieses Frühwerks folgendermaßen zusammen: “Brittens frühreife Beherrschung einer strukturellen Kompositionsart, wie sie diese Partitur zeigt, ist für einen jungen englischen Komponisten der 30er Jahre eine viel überraschendere Qualität als etwa melodischer Charme oder rhythmische Energie; viele der hier zu beobachtenden Verfahren sollten später für den reifen Stil des Komponisten typisch werden. Zwar ist von seiner lyrischen Ausdruckskraft hier noch wenig zu spüren, zumal sich Britten dem warmen, klaren Klang spartanisch verweigerte und von seiner Meisterschaft im Orchestrieren lediglich jenen Teil anklingen ließ, den er später in den Kammeropern ausschöpfen sollte. Doch was klassische motivisch-thematische Arbeit anbelangt, sind alle Zeichen künftiger Meisterschaft in seinem Opus I schon zu finden.”