"Spanisches Liederspiel", op. 74 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Robert Schumann

"Spanisches Liederspiel", op. 74

„Spanisches Liederspiel“ nach Emanuel Geibel. Ein Zyklus von Gesängen aus dem Spanischen für eine und mehrere Singstimmen mit Begleitung des Pianoforte, op. 74

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2397

Satzbezeichnungen

1. Erste Begegnung (Del rosal vengo)

2. Intermezzo (Si dormis doncella)

3. Liebesgram (Alguna vez)

4. In der Nacht (Todos duermem corazon)

5. Es ist verraten (Se de amor esa pasion)

6. Melancholie (Quien viese aquel dia)

7. Geständnis (Mis amores tanto os amo)

8. Botschaft

9. Ich bin geliebt (Dirà cuanto dijere)

Erläuterungen

Robert Schumann täuschte sich selten so gründlich über den Erfolg eines Werkes wie im Falle des Spanischen Liederspiels, op. 74. „Ich glaube, es werden dies meine Lieder sein, die sich vielleicht am weitesten verbreiten“, schrieb er 1849 an Carl Reinecke in völliger Fehleinschätzung des populären Gehalts einerseits der Dichtungen, andererseits des Werkes selbst. Denn so beliebt die „heiteren, reizenden Dichtungen“ eines Emanuel Geibel auch immer waren – seine Übersetzungen altspanischer Lyrik nahmen unter Schumanns Händen einen Bedeutungsgehalt an, der ihre Heiterkeit in bedenklichen Ernst verkehrte. Und die zyklische Einheit von Schumanns Musik legte sich so zwingend über das Ganze, dass es den Charakter einer gefälligen Sammlung von Liedern, Duetten und Quartetten verlor.

Dem Komponisten ging es dabei um nichts Geringeres, als eine neue Gattung des Liederzyklus zu schaffen: das „Liederspiel“, zusammengesetzt aus aufeinander bezogenen Ensembles und Sololiedern. Schumann bekannte selbst, das Liederspiel sei „in der Form etwas Originelles glaub ich, das Ganze vom heitersten Effekt“.

In der Rezeption ist dann aber die Liederreihe bis heute in ihre Einzelteile zerpflückt worden, wobei nur einzelne Sololieder (Melancholie) und wenige Duette Eingang ins Repertoire fanden. Wie auch im Falle der Nachfolgezyklen – Minnespiel, op. 101, und Spanische Liebeslieder, op. 138 – blieb Schumanns Vorstellung von einer sich zum musikalisch organisierten Spiel versammelnden Gruppe von Sängern eine Utopie. Brahms hat dem später – sehr widerstrebend – durch alternative Chorbesetzung vorgebeugt, was seinen Liederspielen die Tür zu den Gesangvereinen öffnete.

Die zyklische Einheit des Spanischen Liederspiels entsteht aus der Zusammenstellung der Gedichte, die eine Geschichte zu suggerieren scheinen. Es ist die Geschichte zweier Liebender, die aber erst im vierten Stück – dem Sopran-Tenor-Duett In der Nacht – zueinander finden. In den drei einleitenden Duetten sprechen die Frauen und Männer zunächst getrennt voneinander über die Liebe: zuerst die Frauen neugierig-aufgeregt in dem Duett Erste Begegnung, dann die Männer mit sanguinischem Tatendrang in dem Intermezzo. Darauf antworten wieder die Frauen in einer mit Todessehnsucht vermischten Melancholie, dem Duett Liebesgram.

Wenn nach diesem Vorspann die beiden Verliebten ihren Nachtgesang anstimmen, ist es nicht ein schwärmerisches Liebesduett üblicher Manier, sondern ein Duett der Vereinzelung: beide sehnen sich nach dem bzw. der andern, ohne Erfüllung zu erhoffen. Während in den ersten Duetten Parallelführung in Terzen vorherrscht, verlaufen hier die Linien im großen kantablen Bogen unabhängig voneinander. Schumann schrieb hier zweifellos eines der schönsten Duette des 19. Jahrhunderts, das gleichwohl fast unbekannt geblieben ist.

In den beiden Sologesängen des Zyklus – Melancholie und Geständnis – wird der typisch Schumannsche Gedanke einer unerfüllbaren Liebe vertieft: sie sehnt sich nach dem Tod, nachdem sie „nur Qual für Liebe“ empfangen hat, er wagt aus lauter Liebe nicht, auch nur den Wunsch nach Erfüllung zu äußern. Die „Heiterkeit“ Geibels wird hier endgültig in romantischer Weise gebrochen und streift in dem Sopranlied Melancholie fast das Pathos des späteren italienischen Verismo, wie der Pianist Graham Johson mit Recht bemerkte.

Die Funktion der beiden Quartette Nr. 5 und Nr. 9 wird am besten aus der harmonischen und rhythmischen Anlage deutlich. In Nr. 1 bis 4 steigt man von a-Moll ausgehend in die für Schumann so typische subdominantische Region, über F-Dur nach g-Moll, hinab. Das erste Quartett Es ist verraten fängt diese Bewegung in B-Dur, der Tonart des Neapolitaners von a-Moll, auf und verwendet zum ersten Mal einen dezidiert spanischen Rhythmus: den Bolero – ein passender Hindergrund für die schelmische Botschaft des Quartetts. In den folgenden Nummern bis zu Nr. 8, dem Duett Botschaft, wird der Durchbruch nach Dur und in dominantische Regionen bewältigt erreicht, setzt das Schlussquartett in A-Dur den strahlenden Schlusspunkt. Dies geschieht in der Form eines Wechselstrophenliedes im schnellen Zweiertakt mit beschwingtem Refrain – ein fast zu heiteres Ende für die melancholische Liederreihe.