"Et Respice finem" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jürg Baur

"Et Respice finem"

„Et Respice finem“ für Streichquartett (1993)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2391

Satzbezeichnungen

1. Torso

2. Recitativo

3. Gioco

4. Notturno

5. Movimento

6. Lamento

7. Finale estatico

Erläuterungen

JÜRG BAUR zählt zu den prominenten Komponisten der Bundesrepublik. Schüler von Philipp Jarnach und 1965 Direktor des Schumann-Konservatoriums seiner Heimatstadt Düsseldorf, war er 1971-1990 als Nachfolger Bernd Alois Zimmermanns Professor an der Kölner Musikhochschule. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1957 den Robert Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf, 1960 und 1968 ein Rom-Stipendium der Villa Massimo, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen für sein Gesamtwerk, 1994 den Musikpreis Duisburg und zuletzt den Ehrenring der Schubert-Gesellschaft für sein neustes Orchesterwerk Frammenti. In Erinnerung an Franz Schubert. Orchesterwerke bildeten insgesamt einen Schwerpunkt seiner Arbeit in den letzten Jahren, wobei die Sinfonischen Metamorphosen über Gesualdo breiteste Rezeption in allen großen europäischen Städten erfuhren. Daneben sind zu nennen: Romeo und Julia und Musik mit Robert Schumann. In seiner Kammermusik standen zuletzt Streichquartette und Bläserquintette im Vordergrund.

„Quidquid agis prudenter agas et respice finem“ – „Was immer du tust, handle klug und bedenke das Ende (bzw. den Ausgang).“
So lautet jenes Zitat des römischen Dichters Horaz, dessen Schlußvers Jürg Baur seinem Streichquartett Et respice finem von 1993 zugrundelegte. Über das von Horaz Gemeinte hinaus versteht der 78jährige Komponist dieses Motto als Bekenntnis zum unabwendbaren Ende des eigenen Lebens. Der Gedanke einer persönlichen „Endzeit“ schließt das Gedenken an verstorbene Freunde mit ein, läßt aber auch längst vergangene Erlebnisse wieder lebendig werden. Jürg Baur war als junger Kriegsgefangener der Russen unmittelbar nach der Befreiung der jüdischen Häftlinge im KZ Auschwitz interniert – eine scheinbar hoffnungslose Situation, die er erst viel später in seinen Stücken verarbeitete, so auch in dem Streichquartett Et respice finem. Diese Rückschau ist natürlich nicht als Anklage zu verstehen, sondern als Besinnung auf das Auf und Ab im Leben. Die Erinnerungen „legten eine Form, Struktur und Satztechnik nahe, die sich auf das Wesentliche reduziert, nämlich auf prägnante, variierte Motive und auf poetische Stimmungen“, so der Komponist. 7 Sätze von zum Teil aphoristischer Kürze sind symmetrisch um die Mittelachse des 4. Satzes angeordnet. Es entsprechen sich also der 1. und 7., der 2. und 6. sowie der 3. und 5. Satz, wie an folgender Übersicht klar wird:

1. TORSO: mit Beethovenzitat
2. RECITATIVO: epigrammähnliches Intermezzo mit expressiven Themen als Musik der Rückbesinnung
3. GIOCO: motorisch geprägt; scherzoähnlich
4. NOTTURNO: Abendstimmung
5. MOVIMENTO: wie 3.
6. LAMENTO: wie 2.
7. FINALE: mit Verdizitat

Im1. Satz erscheint ein Zitat aus dem Adagio von Beethovens Streichquartett op. 59, 1, im 7. ein Zitat aus der berühmten Schlußfuge des Falstaff von Verdi. Die Überzeugung, daß das ganze Leben nur ein Scherz sei, wie sie Verdi in seiner Oper zum Ausdruck brachte, setzt auch den Schlußakzent in Baurs Quartett: Aufbegehren gegen die Abschiedsstimnmung oder einen geheimnnisvoller, hintergründiger Spaß?