"Filen mio caro bene" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Alessandro Scarlatti

"Filen mio caro bene"

Cantata: „Filen mio caro bene“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2385

Satzbezeichnungen

1. Introduzione

2. Recitativo

3. Aria. Chiedi pur ai monti, ai sassi

4. Recitativo

5. Aria: Che ti sembra, son fedele?

Erläuterungen

Wir sind gewohnt, Barockmusik mit den Namen Bach, Händel und Vivaldi zu verbinden. Eher ungewohnt ist es, ein ganzes Konzert dem Namen „Scarlatti“ zu widmen, noch dazu verbunden mit dem Vornamen „Alessandro“ statt des ungleich berühmteren „Domenico“. Domenico Scarlatti, der wie Bach und Händel 1685 geboren und durch seine über 500 Cembalosonaten unsterblich wurde, war jedoch zu seiner Zeit nur der Sohn eines viel berühmteren Vaters. Alessandro Scarlatti und nicht etwa sein Sohn galt als der angesehenste italienische Komponist des Spätbarock. Er war der Schöpfer der spätbarocken Oper, der italienischen Kantate und des Oratoriums in jener Form, in der diese Gattungen von Händel u. a. aufgegriffen wurden. In Fragen der Harmonie und des Kontrapunkts war er eine unumstößliche Autorität, was er des öfteren in öffentlichen Auseinandersetzungen um musiktheoretische Fragen zur Geltung gebracht. Vor allem aber war er der vollendete Repräsentant der italienischen Gesellschaft des Spätbarock mit ihrem zwischen Schäferidylle und tief empfundener Religiosität schwankenden Ausdrucksbedürfnis. SCARLATTI war Sizilianer, wirkte aber als Kosmopolit in allen Teilen des politisch zerstrittenen Italien. In Palermo geboren, kam er schon als Kind nach Rom, wo er bereits mit 19 Jahren im Dienst der Königin Christina von Schweden berühmt wurde. Mit gerade 23 wurde er Hofkapellmeister in Neapel, dem damals spanisch beherrschten Zentrum Süditaliens, in dem er der Barockoper ihre letzte und endgültige Form gab. Die glanzvolle Serie seiner neapolitanischen Opern, die von Oratorien für römische Kurienkardinäle begleitet wurde, ging nach 1700 in den Wirren des Spanischen Erbfolgekrieges unter. Der Krieg verschlug Alessandro und seine beiden heranwachsenden Söhne Domenico und Pietro 1703 wieder nach Rom. Dort bekleidete der Vater rasch wechselnde Stellen im Dienst der Kirche und protegierte nach Kräften seine Söhne, die beide Komponisten wurden. Zugleich komponierte er im Auftrag des Großherzogs der Toskana für Florenz und einige, allerdings wenig erfolgreiche Werke für Venedig. In Rom traf er auch mit dem jungen Händel zusammen, was in der Karwoche 1708 zu einer glanzvollen Doppelaufführung von Scarlattis Passionsoratorium und Händels Auferstehungsoratorium führte.
Wieder in Neapel, das nun nicht mehr spanisch, sondern österreichisch regiert war, setzte Scarlatti ab 1709 sein Opernschaffen fort, geriet aber zunehmend unter den Druck eines sich wandelnden Zeitgeschmacks, wie man es auch im Spätwerk Bachs beobachten kann. Ab 1715 lebte er als graue Eminenz des italienischen Musiklebens teils in Rom, teils in Neapel, wo er 1725 hochangesehen starb.
PHYLLIS und Phylenos, die barocken Idealschäfer, sind in der dritten Kantate bereits ein Paar, freilich kein glückliches. Phyllis versucht Phylenos von ihrer Treue zu überzeugen, wozu sie zwei Rezitative, zwei Arien und eine Unmenge barocker Metaphern benötigt, was ihre Treueschwüre nicht glaubwürdiger macht. Daß dieses Stück in unserer Aufführung von einem Mann gesungen wird, hätte Zuhörer des 18. Jahrhunderts ebensowenig erstaunt wie die Ausführung der ersten Kantate durch eine Frau.
Geschlechtertausch war eines der beliebtesten Gesellschaftsspiele des Barock und in Rom pure Notwendigkeit. Denn seit der Papst das Auftreten von Frauen auf der Bühne verboten hatte, mußten sämtliche Frauenrollen in den römischen Opern von Kastraten gesungen werden. (Mancher ausländische Liebhaber täuschte sich durchaus über das Geschlecht seines angebeteten Opernstars!) Ebenso gab es Sängerinnen, die auf Hosenrollen spezialisiert waren.
IN DIESEM UMFELD kam den Treueschwüren der Phyllis eine besondere Pikanterie zu, was man Scarlattis affektgeladener, durchweg ernster Vertonung aber nicht anhört. Er steht auf Phyllis‘ Seite und läßt (nach der zweiteiligen Sinfonia) schon das einleitende Rezitativ durch rhetorische Wendungen als verzweifelten Treueschwur einer ungerecht Angeklagten erscheinen. Für die erste Arie schrieb Scarlatti weit ausschwingende Adagio-Bögen, in denen Flöte und Alt dialogisieren. Die Flöte verkörpert hier das Echo, dessen Antwort auf die Gretchenfrage nach Phyllis‘ Treue von Scarlatti mehrmals herausgehoben wird: sì – „ja“.
DIESES „JA“ steht auch in der zweiten Arie im Mittelpunkt: Phyllis möchte ein „sì“ von ihrem Geliebten hören, der von ihrer Treue immer noch nicht überzeugt zu sein scheint. Also bietet die Musik die anrührende Atmosphäre eines Siciliano auf, eine jener typischen 6/8-Melodien des Barock, die wohl deshalb „sizilianisch“ heißen, weil sie eine Spezialität des Sizilianers Scarlatti waren. In dieser Arie musizieren Violinen und Flöte zusammen, nachdem sie in der ersten Arie getrennt voneinander agierten.