"Quella Pace gradita" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Alessandro Scarlatti

"Quella Pace gradita"

Cantata “Quella Pace gradita”

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2383

Satzbezeichnungen

1. Sinfonia (Andante – Andante)

2. Recitativo

3. Aria Crudel tiranno Amor (Adagio)

4. Recitativo

5. Aria Care selve (Andante)

6. Recitativo

7. Aria Teco, mesto tortorella (Adagio)

Erläuterungen

Wir sind gewohnt, Barockmusik mit den Namen Bach, Händel und Vivaldi zu verbinden. Eher ungewohnt ist es, ein ganzes Konzert dem Namen “Scarlatti” zu widmen, noch dazu verbunden mit dem Vornamen “Alessandro” statt des ungleich berühmteren “Domenico”. Domenico Scarlatti, der wie Bach und Händel 1685 geboren und durch seine über 500 Cembalosonaten unsterblich wurde, war jedoch zu seiner Zeit nur der Sohn eines viel berühmteren Vaters. Alessandro Scarlatti und nicht etwa sein Sohn galt als der angesehenste italienische Komponist des Spätbarock. Er war der Schöpfer der spätbarocken Oper, der italienischen Kantate und des Oratoriums in jener Form, in der diese Gattungen von Händel u. a. aufgegriffen wurden. In Fragen der Harmonie und des Kontrapunkts war er eine unumstößliche Autorität, was er des öfteren in öffentlichen Auseinandersetzungen um musiktheoretische Fragen zur Geltung gebracht. Vor allem aber war er der vollendete Repräsentant der italienischen Gesellschaft des Spätbarock mit ihrem zwischen Schäferidylle und tief empfundener Religiosität schwankenden Ausdrucksbedürfnis. SCARLATTI war Sizilianer, wirkte aber als Kosmopolit in allen Teilen des politisch zerstrittenen Italien. In Palermo geboren, kam er schon als Kind nach Rom, wo er bereits mit 19 Jahren im Dienst der Königin Christina von Schweden berühmt wurde. Mit gerade 23 wurde er Hofkapellmeister in Neapel, dem damals spanisch beherrschten Zentrum Süditaliens, in dem er der Barockoper ihre letzte und endgültige Form gab. Die glanzvolle Serie seiner neapolitanischen Opern, die von Oratorien für römische Kurienkardinäle begleitet wurde, ging nach 1700 in den Wirren des Spanischen Erbfolgekrieges unter. Der Krieg verschlug Alessandro und seine beiden heranwachsenden Söhne Domenico und Pietro 1703 wieder nach Rom. Dort bekleidete der Vater rasch wechselnde Stellen im Dienst der Kirche und protegierte nach Kräften seine Söhne, die beide Komponisten wurden. Zugleich komponierte er im Auftrag des Großherzogs der Toskana für Florenz und einige, allerdings wenig erfolgreiche Werke für Venedig. In Rom traf er auch mit dem jungen Händel zusammen, was in der Karwoche 1708 zu einer glanzvollen Doppelaufführung von Scarlattis Passionsoratorium und Händels Auferstehungsoratorium führte.
Wieder in Neapel, das nun nicht mehr spanisch, sondern österreichisch regiert war, setzte Scarlatti ab 1709 sein Opernschaffen fort, geriet aber zunehmend unter den Druck eines sich wandelnden Zeitgeschmacks, wie man es auch im Spätwerk Bachs beobachten kann. Ab 1715 lebte er als graue Eminenz des italienischen Musiklebens teils in Rom, teils in Neapel, wo er 1725 hochangesehen starb.
ARKADIEN, das sagenumwobene Land der Schäfer und Schäferinnen, ist der geistige Ort, an dem diese drei kleinen Szenen spielen. In Scarlattis Wahlheimat Rom war dieses Arkadien nicht ein Mythos, sondern eine Realität. 1690 hatten sich Adlige, Staatsmänner und Kurienkardinäle zur “Akademie der Arkadier” zusammengeschlossen, einer Art gelehrtem Club, in dem sie unter antikisierenden Schäfer-Pseudonymen ihren musischen Neigungen fröhnten. Nach und nach wurden die bedeutendsten Literaten und Komponisten Italiens in die Arcadia aufgenommen, so auch Scarlatti 1706. Seine zahllosen Kantaten mit arkadischem Inhalt stehen mehr oder weniger direkt mit der Accademia in Zusammenhang.
DER SÜSSE FRIEDEN, den die erste Kantate besingt, ist die idealisierte Einsamkeit des Hirten, die in der Dichtung stets nur einen Feind hat: den Liebesgott Amor. “Crudel tiranno Amore”, der grausame Tyrann Amor, verwirrt die Hirten, entreißt sie ihrer friedfertigen Idylle und stürzt sie in das Wohl und Wehe der unerfüllten Liebe. Der Held unserer Kantate (es ist ein Schäfer, keine Schäferin) zieht sich nach langen Leidensjahren zurück in die Einsamkeit. Dort findet er Ruhe im Schatten der Bäume und beim Gesang des traurigen Täubchens.
Scarlatti hat die eindrucksvollen Metaphern der drei Arien in fein abgestufte musikalische Affekte gekleidet – nicht krass und pathetisch, wie in seinen Opernarien, sondern gleichsam in Pastelltönen, wie man es von der Pastorale erwartete. So kommt das Leid der Liebe in der ersten Arie zwar in etlichen durezze (den typischen Vorhaltsharmonien des italienischen Barock) zum Ausdruck, doch die Arie steht in Dur und wird nur von Solovioline und Baß begleitet. In dem Cellosolo der zweiten Arie (ein damals hochmoderner Effekt) scheint Scarlatti eher die überstandenen Leiden als die wiedergefundene Ruhe des Hirten abgebildet zu haben; ein sogenanntes Ritornello für alle Instrumente bildet den klangvollen Abschluß. Die Stimme der traurigen Taube in der Schlußarie fällt natürlich der Flöte zu, zu der sich die Violine gesellt, die allerdings über (statt unter) der Flöte eingesetzt wird. Dieser eigenwillige Klangeffekt ist ein treffendes Bild für den bosco frondoso, den undurchdringlichen Wald, in den sich der Hirte zurückzieht. Dessen rauhe Schönheit scheint auch die einleitende Sinfonia mit ihren altertümlichen Imitationen zu beschreiben.