Sextett D-Dur für Klavier und Streicher, op. 110
Werkverzeichnisnummer: 2355
1. Allegro vivace
2. Adagio
3. Minuetto. Agitato – Trio
4. Allegro vivace
FELIX MENDELSSOHN war während seines ersten Besuches in London 1829 nahe daran, „ein Gesellschaftsmöbel zu werden“, so zumindest sahen es seine Berliner Freunde. Der Bankiersohn aus Preußen wurde vom englischen Hochadel herumgereicht, amüsierte sich über dessen Eigenarten („Der Herzog von Devonshire nahm meine Visite entgegen, … mit einem tauben Herzog französisch schreiend! ihm Hofgeschichten aus Berlin mittheilend!“) und absolvierte mit Bravour seine Auftritte als Pianist im Salon. Den Philharmonischen Konzerten, „mit denen London europaweit eine Vorreiterrolle im Bereich des organisierten öffentlichen Konzertbetriebs spielte“ (Arnd Richter), gab er fast nebenbei die Ehre. Denn vom Musikgeschmack der Engländer hatte der junge Deutsche damals noch keine hohe Meinung: „Im Allgemeinen ist alles da, was durch äußere Mittel, Einstudiren, Geld, Berechnung und dergl. hervorgebracht werden kann; so z. B. gute Stellung des Orchesters, Egalität und Kraft in den Saiteninstrumenten, sehr viel Geigen, gutes präcises Blech; alles Geistige fehlt; es ist kein Vorgeiger da, keine zarte Oboe, Clarinette od. Fagott, alles roh und plump; keine Lebhaftigkeit, sondern nur Schnelligkeit, kein Respect vor dem Kunstwerk .. sie beten Beethoven an und kürzen ihn, sie beten Mozart an und langweilen sich dabei, sie beten Haydn an und hetzen ihn zu Tode.“ In den folgenden Jahren sollte Mendelssohn Gelegenheit haben, als Dirigent selbst zur Kultivierung des Londoner Musikgeschmacks beizutragen. – Etwas von der Salonatmosphäre des ersten Londoner Aufenthaltes vermittelt sein Sextett für Klavier und Streicher. Das 1824 komponierte Stück wurde erst posthum als op. 110 gedruckt. Es ist nicht bekannt, ob es Mendelssohn in London gespielt hat; als Virtuosenstück für einen jungen Pianisten war es jedoch bestens geeignet. „Im Grunde ist es ein Miniatur-Konzert für Klavier, dem die fünf Instrumente gegenübergestellt sind.“ (Eric Werner) Deshalb kann man hier eher Anklänge an Mendelssohns Klavierkonzerte als an seine Kammermusik finden. Die noch unpersönliche Melodik ist von Weber und Hummel inspiriert, während die Form schon Eigenarten des reifen Komponisten vorwegnimmt. So ist das sogenannte Menuett eines jener brillanten Scherzi, wie sie Mendelssohn später so oft verwenden sollte; geradezu dramatisch wirkt seine Wiederkehr im Finale.
2003
FELIX MENDELSSOHN
Sextett D-Dur, op. posth. 110
Weniger dem Kunstanspruch der Sonntagsmusiken als ihrer Salon-atmosphäre ist das Sextett für Klavier und Streicher des jungen Mendelssohn verpflichtet. Das 1824 komponierte Stück wurde erst posthum als Opus 110 gedruckt. Der selbstkritische Meister zählte es offenbar nicht zu seinen Frühwerken von dauerhafter Bedeutung. Sicher hinderte ihn aber auch die exotische Besetzung an der Publikation, denn das Sextett erweitert die Instrumentierung von Schuberts Forellenquintett (Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass) noch um eine zweite Bratsche. Für diese Idee gab es ein prominentes Vorbild, an dem sich auch Schubert orientiert hatte: Johann Nepomuk Hummels Klavierquintette mit Kontrabass. Sie setzten den Standard frühromantisch-virtuoser Klavierkammermusik um 1820, dem sich der junge Mendelssohn hier anpasste.
Sein Sextett ist „ein Miniatur-Konzert für Klavier, dem die fünf Instrumente gegenübergestellt sind“ (Eric Werner) – ein Konzert in hummelscher Manier. In mancher Wendung darf man auch an Carl Maria von Weber denken, dessen Freischütz bekanntlich 1821 in Berlin uraufgeführt worden war. Das Fis-Dur-Andante gemahnt an einen weiteren Protagonisten der Frühromantik: an Louis Spohr. Mit der elfenhaften Leichtigkeit des Menuetts dagegen malte der junge Mendelssohn ganz neue, poetisch-frische Farbtöne in die Salons seiner Wahlheimat Berlin.