Duo D-Dur für Violine und Violoncello
Werkverzeichnisnummer: 2317
1. Allegretto spirituoso
2. Vivace
3. Grave
4. Allegro assai
Luigi Boccherini kann nur unter Vorbehalt als Komponist der D-Dur-Sonate gelten, die unser Programm eröffnet. In dem kaum überschaubaren Schaffen des in Lucca geborenen, später in Madrid ansässigen Cellisten gilt die Sonate für Violine und Basso continuo, die nur in einer einzigen Quelle in Parma überliefert ist, als zweifelhaftes Werk. Neuerdings wird der berühmte Mailänder Früh-Sinfoniker Giuseppe Sammartini als Komponist angeführt. Dies würde die für Boccherini ungewöhnlich konservative Form der viersätzigen Kirchensonate erklären, die bei dem älteren Sammartini häufiger vorkommt. Das barocke Modell wird hier gleichsam mit galantem Inhalt gefüllt, wie schon das einleitende Allegretto zeigt. Die Ausführung des Basso continuo mit solistischem Baßinstrument war übrigens durchaus zeitüblich.
2007:
Luigi Boccherini
Duo D-Dur
Luigi Boccherini wurde 1743 in eine toskanische Musikerfamilie hineingeboren. Der Vater spielte als “überzähliger Kontrabassist” in der Kirchenmusik seiner Heimatstadt Lucca und war folglich arm, die Kinder gezwungen, sich anderswo Lohn und Brot zu suchen. Luigis ältester Bruder Giangastone wurde Librettist in Wien (für Salieri und Haydn), die Schwester Maria Primaballerina (in Gluck-Balletten), eine zweite Schwester Riccarda Sängerin in Florenz. Luigi wählte als Jüngster das Cello und die Laufbahn des reisenden Virtuosen. Mit 13 Jahren gab er sein Konzert-Debüt, wobei seine Brillanz ebenso bewundert wurde wie seine Cellokonzerte, die “in einem völlig neuen Stil” geschrieben waren.
Aus dem Wien Glucks, wo er sich um 1760 für längere Zeit aufhielt, drängte ihn die Cellisten-Konkurrenz heraus. In den italienischen Metropolen jener Zeit konnte man als Instrumentalvirtuose wenig Staat machen. Also beschloss er, wie so viele Virtuosen nach Paris zu gehen, wo er freilich nie ankommen sollte: Luigi und sein Freund, der Geiger Manfredi, bogen von Südfrankreich nach Spanien ab. Dort fanden sie am Hof des Infanten Don Luis Lohn und Brot. Wie für Schillers Don Carlos begannen für sie “die schönen Tage von Aranjuez”, in denen Luigi Boccherini allmählich zu einer europäischen Berühmtheit heranreifte.
Mit 23 komponierte er sein erstes Streichquartett, mit 26 seine erste Sinfonie. Er wurde zum ersten europäischen Komponisten, dem man Unsummen für Kammermusik bezahlte. 12000 spanische Realos flossen pro Jahr aus Madrid für ganze 18 Streich-quintette, die er zu komponieren hatte, 1000 Taler aus Berlin vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. für zwölf Kammermusiken jährlich. Ein Mozart hätte von solchen Summen nur träumen können. Boccherini musizierte mit Casanova und stand mit Haydn im Briefverkehr. Virtuosen wie Viotti und Rode liebten seine Werke, und die Verleger verkauften sie in Rekordauflagen.
All dies änderte sich schlagartig nach seinem Tod, als die heroische Epoche Napoleons über seine spielerischen Klangexperimente hinwegging. Was übrig blieb, waren minimale Ausschnitte von zweifelhafter Berühmtheit: jenes Menuett aus dem E-Dur-Streichquintett, op. 13,5, das ein Verleger 1874 aufs Schild der “Klassikhits” hob; eine “Sinfonia divina”, die 1934 aus seinen “besten” Sinfoniesätzen zusammengestellt wurde (dazu gehörte übrigens der langsame Satz unserer A-Dur-Sinfonie), schließlich ein ebenso beliebtes Quintettpasticcio in C und ein Cellokonzert im Grützmacher-Arrangement. Erst moderne Editionen und historisch genauere Interpreten haben diese rudimentäre Sicht auf Boccherini einer neuen Entdeckerfreude weichen lassen.
Boccherinis Musik ist ein Laboratorium des Klangs, in dem sich Fenster zum Spanien seiner Zeit auftun. Er hat die folkloristischen Anregungen seiner Wahlheimat durchaus aufgegriffen, wie schon der Fandango zeigt, ohne sie jedoch zu einer spanischen Nationalmusik weiterzuentwickeln, wie sie erst hundert Jahre nach seinem Tode entstand. Boccherini blieb in seinen in Paris verlegten und in ganz Europa beliebten Werken jenem gesamteuropäischen Stil treu, den wir allzu einschränkend die “Wiener Klassik” zu nennen pflegen. Seine Musik vertritt jedoch gegenüber der “motivisch-thematischen Arbeit” Haydns und Mozarts oder, wie die Zeitgenossen gesagt hätten, der “deutschen Gründlichkeit” eher die Gesanglichkeit und die Klangfantasie des Südens. In ihrer spezifischen Verbindung aus italienischer Gesanglichkeit, frühklassischem Stil und spanischen Folklorismen setzt sie in gewisser Weise die Cembalosonaten Domenico Scarlattis fort, der ebenso lange am spanischen Hof wirkte wie Boccherini. Wie sein neapolitanischer Vorgänger sich fast ganz auf den Klang des Cembalos beschränkte, so widmete sich auch Boccherini mit größter Vorliebe den Streichern.
Das hier gespielte Duo D-Dur gehört zu jenen bereits erwähnten wirkungsvollen Arrangements aus mehreren Vorlagen, mit denen Boccherinis Namen im 19. Jahrhundert überlebte. In diesem Fall besorgte Paul
Bazelaire die Bearbeitung.