Violinsonate A-Dur, op. 47 ("Kreutzersonate") | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Violinsonate A-Dur, op. 47 ("Kreutzersonate")

Sonate A-Dur für Violine und Klavier, op. 47 („Kreutzersonate“)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 230

Satzbezeichnungen

1. Adagio sostenuto – Presto

2. Andante von Variazioni

3. Finale. Presto

Erläuterungen

Bei einer wohllöblichen K.K.Ober-Polizey-Direktion zu Wien ging am 9. Mai 1803 ein Gesuch des englischen Geigers George Bridgetower ein, „am künftigen Montag in dem allhiesigen K. K. Augarten eine Musikalische Akademie gegen Ertrag von 2 Gulden pro Billet zu seinem Vortheil“ geben zu dürfen. Stargast des Nachmittagskonzerts um 13 Uhr sollte kein Geringerer als Ludwig van Beethoven sein. Also spielten an einem Maimontag des Jahres 1803 in der großen Allee des „josephinisch blassen Augartens“, wie Heimito von Doderer den Vergnügungspark aus der Zeit Josephs II. nannte, der Mulatte Bridgetower an der Geige und der Compositeur Beethoven am Pianoforte eine neue Violinsonate des letzteren. Sie übertraf an Ausdehnung und Virtuosität alles bislang Dagewesene im Genre der Violinsonate, was Beethoven unter anderem dadurch anzeigte, dass er sie später dem französischen Violinvirtuosen Rodolphe Kreutzer widmete.

Die Premiere war eine kuriose Angelegenheit: Bridgetower spielte aus der erst am selben Morgen um 8 Uhr fertig gewordenen Geigenstimme, Beethoven aus einem fragmentarischen Klaviermanuskript, denn zum Ausschreiben des vollständigen Klavierparts hatte die Zeit nicht mehr gereicht. Ob es dies war oder ein anderer Begleitumstand, der die Wiener amüsierte – Carl Czerny jedenfalls berichtet, dass man Musiker und Werk bei der Uraufführung ausgelacht habe! Heute ist Beethovens Sonate in a-Moll bzw. A-Dur, die für Bridgetower komponiert wurde, ein Nonplusultra des Violinrepertoires. Bekannt geworden ist sie aber nicht unter dem Namen Georges Bridgetowers, für den sie geschrieben wurde, sondern unter dem Namen Rodolphe Kreutzers, dem Beethovens ie später widmete.

Beide Geiger, der Engländer Bridgetower und der Franzose Kreutzer, waren junge, aufstrebende Virtuosen wie Beethoven selbst Sie verkörperten idealtypisch die beiden Extreme des Virtuosen: der eine extravagant bis zum Exzess, der andere schlicht-natürlich, ohne viel Aufhebens von sich zu machen.

Der 24-jährige Mulatte Bridgetower, in Diensten des Prince of Wales stehend und für sein „extravagentes Spiel“ berühmt-berüchtigt, besuchte Wien 1803. Schnell war er die Sensation der Wiener Salons. In nur wenigen Tagen hatte er den Parcours der Mäzene absolviert – von Dietrichstein zu Lobkowitz, von Lichnowsky zu Fries, von Braun zu Esterházy. Hier nahm man seine „Extravaganz“ geduldig hin, ja schätzte sie, während das Publikum der Wiener Augarten-Konzerte sie wohl eher degoutant fand.

Die Wiener Tage verbrachte Bridgetower oft und gerne in der Gesellschaft Beethovens. Man verabredete sich in eleganten Kaffeehäusern auf dem Graben, schlenderte zur Gräfin Giucciardi und anderen Freunden zum Mittagessen und musizierte zusammen. Das Konzert Bridgetowers im Augarten verschaffte Beethoven die etwas kurzfristige Gelegenheit zur Vollendung einer Sonate für seinen Freund, was er angeblich in vier Tagen bewerkstelligte. Vielleicht kam es über den unnötigen Zeitdruck zum Zerwürfnis zwischen den beiden, vielleicht auch über eine Wiener Schönheit, die Komponist und Virtuose gleichermaßen anbeteten, wie Bridgetower später behauptete. Jedenfalls widmete Beethoven die Sonate bei ihrer Drucklegung dem Franzosen Rodolphe Kreutzer.

Auch er hatte in Wien schon für Furore gesorgt, gleichsam als kultureller Sympathieträger seines Landes in politisch explosiver Lage. 1798 war er im Gefolge des neuen französischen Gesandten, General Bernadotte, nach Wien gekommen. Nachdem Bernadotte an der französischen Botschaft die Trikolore hatte anbringen lassen, musste die Wiener Polizei den General vor der Lynchjustiz der aufgebrachten Bevölkerung bewahren. Sein Geiger Kreutzer dagegen feierte in Wien wahre Triumphe und trug nicht unwesentlich zur Glättung der frankophoben Stimmung bei.

Nach Beethovens Schilderung war Kreutzer das Gegenteil eines exzentrischen Virtuosen vom Schlage Bridgetower: „ein guter lieber Mensch, der mir bei seinem hiesigen Aufenthalt sehr viel Vergnügen gemacht. Seine Anspruchslosigkeit und Natürlichkeit ist mir lieber als alles Extérieur oder Intérieur aller Meister Virtuosen – da die Sonate für einen tüchtigen Geiger geschrieben ist, umso passender die Dedication an ihn.“

Für einen „tüchtigen Geiger geschrieben“ ist ein blanker Euphemismus, ist die Sonate in ihrer extremen Ausdehnung und Virtuosität doch ein kammermusikalisches Gegenstück zur ebenfalls 1803 vollendeten Eroica. So wie die Dritte Symphonie die Grenzen des bislang gültigen Begriffs von Sinfonie sprengte, so übertraf die Krutzer-Sonaten an Ausdehnung und Anspruch. Sonata per il Pianoforte ed un Violino obligato, scritta in uno stilo molto concertante quasi come d’un Concerto – „Violinsonate in einem überaus konzertierenden Stil, fast wie in einem Konzert“ lautet der Originaltitel.

Den überaus konzertanten Stil erfand er ausgehend vom Finale, dem zuerst vollendeten Satz des Werkes. Diese virtuose Tarantella war ursprünglich für die Sonate op. 30,1 komponiert worden, Beethoven hatte sie jedoch, da sie ihm zu den ersten Sätzen nicht zu passen schien, gegen nachkomponierte Variationen ausgetauscht. Der nun alleinstehende Satz verlangte nach Vervollständigung in einem ähnlich brillanten Stil, was die ersten Sätze vollendet einlösen.

Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung, in der der Geiger zunächst alleine einsetzt. Die harmonische Fülle, die man von einer Introduktion erwartet, wird nur durch Akkordgriffe auf dem Streichinstrument erzeugt, worauf das Klavier in weiter Lage antwortet. Der Dialog der beiden Instrumente entwickelt sich in äußerster Ruhe zum feierlichen Zwiegesang. Im folgenden Allegro dagegen überschlagen sich die Ereignisse: Der stürmische Anlauf des a-Moll-Hauptthemas leitet sofort zu einer heroischen Fermate in Dur über. Der stilo molto concertante wird nicht durch virtuose Passagen für die Instrumente eingelöst, sondern durch eine Fülle wild-bewegter Tremoli, Akkordbrechungen und anderer Affektfiguren. In der stürmischen, ja geradezu orchestralen Entladung dieser Gebärden bildet nur das lyrische Seitenthema eine Insel der Ruhe. Die Schlussgruppe bündelt als misanthropischer Tanz mit leicht ungarischem Akzent die rhythmische Energie des Satzes.

Der Mittelsatz besteht aus einem F-Dur-Thema mit Variationen, einer der großen, klanglich reich abschattierten Variationensätze Beethovens, in dem Klavier- und Violinklang zu immer neuen pastoralen Mischungen verschmelzen. Das Finale bezieht seine unbändige Kraft aus dem Tarantella-Rhythmus und aus der engen kontrapunktischen Verflechtung der beiden Instrumente.

Unser Arrangement für Streichquintett in der Besetzung mit zwei Celli wurde 1832 im Bonner Verlag Simrock publiziert und trägt keinen Bearbeiternamen. Auf geschickte Weise hat der Arrangeur die Klavierstimme auf die vier Unetsrtimmen verteilt, während die erste Geige weitgehend unangetastet blieb. Gedacht ist die Bearbeitung wohl für Kammermusikzirkel, in denen sich kein Pianist vom Schlage Beethovens, wohl aber einige „tüchtige“ Streicher fanden.