Sonate G-Dur für Violine und Klavier, op. 30,3
Werkverzeichnisnummer: 229
1. Allegro assai
2. Tempo di Minuetto, ma molto moderato e grazioso
3. Allegrio vivace
Es war der französische Komponist Vincent d’Indy, der meinte, Beethoven habe nicht nur eine Pastorale geschrieben, sondern deren „zehn, zwölf, zwanzig“, nämlich in seinen Sonaten und Kammermusiken. Zu diesen versteckten Pastoralen rechnete er auch die Violinsonate G-Dur, op. 30,3 – erstaunlicherweise, muss man sagen, denn das Werk entspricht mit seinem berstenden Humor und seinen burschikosen Themen durchaus nicht dem Idealbild eines von Naturstimmungen beseelten Tongedichts. Eher schon war hier der Humorist Beethoven am Werk, der diese G-Dur-Sonate aus der gleichen Quelle schöpfte wie die wenig später komponierte Klaviersonate in der gleichen Tonart, op. 31,1. Beide Sonaten entstanden 1802 im Rahmen von Dreierzyklen, mit denen Beethoven erklärtermaßen stilistisches Neuland betreten wollte.
Im Falle der beiden G-Dur-Werke tat er dies durch Überspitzung bis hin zum skurrilen Humor, nicht durch pastorale Stimmungen. Die G-Dur-Violinsonate beginnt mit einem Capriccio aus kapriziösen Einfällen: erst kreisende Sechzehntel, dann eine „Rakete“, wie man damals einen hochfahrenden Dreiklang nannte, schließlich zwei Klavierseufzer und ein kurzer Vorschlag der Violine bilden den zerfahrenen Hauptgedanken – mehr cholerische Geste als Thema. Die Fortspinnung interessiert sich hauptsächlich für die rhythmischen Impulse dieses Anfangs, wobei das rollende Kopfmotiv immer wieder unversehens in den melodischen Zusammenhang hineinfährt. Spannungspausen sind die Folge, aus denen sich erst nach drei Anläufen das Seitenthema in d-Moll bildet. Dieses gibt sich fast ebenso nervös wie das Hauptthema. Erst in der Schlussgruppe stellt sich, wenn überhaupt, pastorale Ruhe ein. Die Durchführung benutzt eine Trillerfigur vom Ende der Exposition und das rollende Anfangsmotiv zu einem Schlagabtausch von kaum zu bändigender Energie, der bis zum stürmischen Ende des Satzes anhält.
Als langsamer Satz folgt ein Tempo di Menuetto in Es-Dur, ein Pendant zum Menuett in der Es-Dur-Klaviersonate, op. 31,3. In beiden Fällen suchte Beethoven nach einer schlichten Alternative zum Pathos des „großen“ Adagio. Manches lyrische Menuett aus den Violinsonaten Mozarts hat dafür Pate gestanden, worauf schon der Zusatz grazioso hinweist. Unwillkürlich nähern sich die gesanglichen Tanzmelodien, die Violine und Klavier einander zuspielen, in ihrem Gestus dem Ländler an.
Nach dem Wiener Tanzboden scheint auch das Finale zu schielen, ein Perpetuum mobile über ein Contretanz-Thema, das im ganzen Satz fast ununterbrochen wiederholt wird. Dieses Thema ist in sich raffiniert gebaut: Eine Tanzmelodie der Geige erhebt sich über einer Art Galopp in der rechten Hand des Klaviers. Die beiden Motive bilden, wie sich im Laufe des Satzes herausstellt, einen doppelter Kontrapunkt. Dabei beharrt das Thema mit humorvoll gemeinter Sturheit auf der Grundtonart. Umso witziger ist der Schluss: Nach einer Fermate auf dem Dominantseptakkord von G-Dur setzt das Thema überraschend in Es-Dur und im Piano neu an, um sich danach in rastloser Bewegung und dauerndem Crescendo bis zum Fortissimo zu steigern. Dabei wandert der Sechzehntelkontrapunkt in die tiefste Lage des Klaviers mit einem auf schwacher Zeit obstinat wiederholten tiefen G als Widerhaken. Es ist der angemessene „Showdown“ für ein „whirlwind finale“, ein Wirbelwind-Finale, wie Melvin Berger diesen Satz genannt hat.