"Bauernkantate", BWV 212 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johann Sebastian Bach

"Bauernkantate", BWV 212

Cantate burlesque, BWV 212, „Bauernkantate“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2260

Satzbezeichnungen

1. (Sinfonia)

2. Aria (Duett) Mer hahn en neue Overkeet

3. Recitativo

4. Aria Ach, es schmeckt doch gar zu gut

5. Recitativo

6. Aria Ach Herr Schösser, geht nicht gar so schlimm

7. Recitativo

8. Aria Unser trefflicher lieber Kammerherr

9. Recitativo
10. Aria Das ist galant
1
1. Recitativo
1
2. Aria Fünfzig Taler bares Geld
1
3. Recitativo
1
4. Aria Kleinzschocher müsse so zart und süße
1
5. Recitativo
1
6. Aria Es nehme zehntausend Dukaten
1
7. Recitativo
1
8. Aria Gib Schöne viel Söhne
1
9. Recitativo
20. Aria Dein Wachstum sei feste und lache vor Lust
2
1. Recitativo
2
2. Aria Und dass ihrs alle wisst
2
3. Recitativo
2
4. Coro (Duett) Wir gehn nun wo der Tudelsack

Erläuterungen

In Bachs Bauernkantate geht es um den Gegensatz zwischen Volksmusik und Kunstmusik, Stadt und Land, vor allem aber um einige pikante Details aus dem Leben eines Leipziger Gönners von Bach, des Kammerherrn Carl Heinrich von Dieskau. Dieser gab die Kantate zur Feier seines 36. Geburtstags und zur Übernahme der Herrschaft in den Gütern Kleinzschocher, Knauthain und Cospuden bei Leipzig in Auftrag.
Die Situation war ein wenig unserem Konzert vergleichbar. Eine erlauchte Gesellschaft fand sich im Hochsommer (30. August 1742) in einem barocken Adelsgebäude ein, um von professionellen Musikern eine Kantate über das Leben, Lieben und Musizieren der Bauern aufgeführt zu bekommen.
Der Aufführungsort war zwar „nur“ ein ritterlicher Gutshof und kein kurfürstliches Schloss, doch er lag ähnlich wie Schloss Engers vor den Toren einer Großstadt, nämlich Leipzigs, hatte ein beliebtes Ausflugslokal, den Grauen Wolf, gleich nebenan und war an diesem Sommertag eine ähnlich festliche (und heiße) Kulisse für die Uraufführung von Bachs liebenswertester Kantate.
Der Anlass war die Huldigung des Guts Kleinzschocher an seine „neue Overkeet“ (sprich: Obrigkeit), den besagten Kammerherrn. Bach und sein Textdichter Picander, der als Einnehmer der Kreis-, Land- und Stadt-Tranksteuer Dieskau unterstellt war, haben das Ereignis in einem vergnüglichen kleinen Drama per musica für ein Bauernpaar reflektiert – nicht ohne ironische Seitenhiebe auf fast alle Anwesende.
Alles, was es darüber zu sagen gibt, hat der Bachforscher Martin Petzoldt in seinem Reiseführer Bachstätten beschrieben: „Der Text der Cantate en burlesque lässt ein bäuerisches Liebespaar agieren, das im ersten Duett (Satz 1) – vereinzelt auch später noch – in obersächsischer Mundart sich hören lässt. Danach werden in der Abfolge von 11 Rezitativ-Arien-Paaren Themen abgewickelt, die von allgemeinem Interesse sein dürften.
Der Pfarrer gilt, im Unterschied zu seinem Vorgänger, als Gegner des Tanzens: ‚Der Pfarr‘ mag immer büse tun…‘.; der neue Gutsherr und seine Frau dagegen erhalten gute Beurteilungen ‚Unser Herr schilt nicht‘, ‚Der Herr ist gut‘, ‚unser Herr ist der beste‘… Der Herr schützt seine Untertanen vor Söldnerwerbung (Satz 9), wie vor ‚caducken Schocken‘, d.h. fälligen Zusatzsteuern.
Den Bewohnern der mit Kleinzschocher rivalisierenden Ritterguts-Orte Knauthain und Cospuden weist Picander nach, dass sie keinen Deut besser sind (Satz 10). Die ‚gnädge Frau ist nicht ein prinkel stolz‘ (Satz 11), bezieht sich auf die Gutsherrin, Friederica Augusta Rudolphina. Sie war nach dem Tod ihres ersten Mannes eine zweite Ehe mit Carl Heinrich von Dieskau eingegangen.
Als Gegenstück zum neuen Gutsherrn wird neben dem Pfarrer auch der Amtsschösser Johann Wilhelm Müller charakterisiert. Er ist ein rechter ‚Schwefelsmann‘, der – ehe man sichs versieht – Verzugszinsen in Höhe eines ‚Neu-Schocks‘ verhängt (Satz 5) und auch sonst mit den Leuten ‚schlimm‘ (Satz 6) umgeht, ähnlich wie der Advokat Gottlieb Christoph Ludwig und der Steuer-Revisor (Satz 3).
Picanders Ironie trifft sie alle, wie auch den geehrten neuen Kammerherrn, der ‚zehntausend Dukaten … alle Tage‘ einnehme, er möge sich nur auf seine Bemühungen hin ein ‚Gläschen Wein‘ gönnen (Satz 16). Nur vom Geld zu reden ist am Ende ‚liederlich‘; angesichts der anwesenden ‚hübschen Leute‘ (Satz 17) wünsche man der gnädigen Frau männlichen Nachwuchs, der bei den Dieskaus bislang ausgeblieben war: ‚Gib Schöne, viel Söhne von artger Gestalt, und zieh sie fein alt; das wünschet sich Zschocher und Knauthain fein bald!‘ (Satz 18).
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts ist über Kleinzschocher zu hören: ‚Zu großer Töchtersegen ist eine verhängnisvolle Gabe, dies erfuhr auch Carl Heinrich von Dieskau.‘
Am Ende unserer Kantate erreicht das Pärchen endlich die Schenke zum Trinken und zum Tanzen: ‚Wir gehn nun, wo der Tudelsack in unsrer Schenke brummt‘ (Satz 24)“.
Musikalisch hat die Kantate ihre eigene Dramaturgie. Nachdem die Bauern die geschilderten lokalen Hintergründe in diversen Volksmelodien besungen haben (50 Taler bares Geld als Mazurka, Unser lieber Kammerherr als Follia usw.), zwingen sich beide, „was Städtisches zu singen“.
Mieckes Arie Kleinzschocher müsse so zart und süße wie lauter Mandelbäume sein ist ein höfisches Menuett mit obligater Traversflöte; Bach übernahm sie aus einer Huldigungskantate für August den Starken von 1731.
Der Bauer hat größere Schwierigkeiten, den rechten Ton zu treffen und bleibt in seiner Arie Dein Wachstum sei feste bei einem recht derben Ariengesang stehen, den Bach ursprünglich in seinem „Drama per musica“ Der Streit zwischen Phoebus und Pan benutzt hatte, um die simple Arienmusik seiner Zeit durch den Kakao zu ziehen.
Am Ende kehren unsere beiden Bauern doch wieder zur Volksmusik zurück, um sich im Schlusschor zu den Klängen des „Tudelsack“ schon auf die Atmosphäre im Gasthof Zum grauen Wolf einzustimmen.