Der Herbst (L’Autunno), Musik für 5 Spieler von Blasinstrumenten (1977)
Werkverzeichnisnummer: 2230
1. Moderato
2. Allegretto
3. Allegramente – Malincolia
4. Vivace
5. Quia respexit humilitatem ancillae suae
Vor einigen Jahren konnte man Hans Werner Henze bei Boulevard Bio im angeregten Gespräch mit Alfred Biolek sehen. Verschlossen wie stets wirkte der in Italien lebende Maestro, blühte dann aber talk-gewandt auf, als er sich mit dem Schlagerstar Sascha über die gemeinsame Heimat Ost-Westfalen austauschte.
Es ist sicher berechtigt, Henze als den bedeutendsten deutschen Komponisten der Gegenwart zu apostrophieren, obwohl sich selbst Biolek schwer damit tat, mehr über das Geschäft des Komponierens von Henze zu erfahren. Zu wenig lässt sich darüber für ein breites Publikum sagen, zu sehr werden hier spezifische Vokabeln und ästhetische Betrachtungsweisen der Neuen Musik vorausgesetzt.
So hat auch Henzes zweites Bläserquintett L’autunno (Der Herbst) von 1977 die unterschiedlichsten Deutungen erfahren. Habakuk Traber bezog den Titel auf ein „geflügeltes Wort“ der Linken im Deutschland der ausgehenden siebziger Jahre und verstand das Quintett als „politische Allegorie“, Matthias Henke gemahnte das Werk an „all die ambivalenten Stimmungen der dritten Jahreszeit, ohne sich der platten Illustration zu bedienen“.
Henze selbst gab eine ergreifend schlichte Erklärung für Werk und Titel, die die zitierten Deutungen im Grunde entkräftet:
„Es ist eine Programmusik, deren Zeichensprache und Gesten sich auf die alten Traditionen kontrapunktischer Musik besonnen haben. Erinnerungen – flüchtige und deutlichere – sind in den Strukturen vorhanden, wie immer bei Kammermusik bleibt die ganz direkte Rede ausgeschlossen, und es braucht ein besonders stilles Hinhören und eine gewisse geduldige Geruhsamkeit, um die Zeichen zu entschlüsseln und die Zusammenhänge herzustellen. Einen einzigen Hinweis möchte ich geben. Der Herbst, von dem in diesem Stück die Rede ist, kommt ausschließlich aus der Vorstellungswelt der Trakl’schen Poesie.“
Das Quintett gliedert sich in fünf Sätze, in denen die Besetzung zwischen hohen, mittleren und tiefen Registern wechselt; aufeinanderfolgende Sätze werden durch Solokadenzen verbunden:
1. Satz Moderato: tiefes Register (Altflöte statt normaler Querflöte, Oboe d’amore statt Oboe, Horn mit Dämpfer), Bewegung in drei Anläufen beschleunigend bis zum Vivace.
- Kadenz der Klarinette -
2. Satz Allegretto: eine „Walzerpersiflage“ (Traber) der fünf Standardinstrumente mit einem langen Solo des Horns (ad libitum zu ersetzen durch Wagnertuba)
- Hornkadenz (allegramente) -
3. Satz Malincolia (Melancholie): langsamer Satz der fünf Standardinstrumente in dichtem Kontrapunkt.
- Fagottkadenz (allegretto) -
4. Satz Vivace: Scherzo mit ständig wechselnder Besetzung (hohes Register mit Piccolo und Es-Klarinette, mittleres Register mit großer Flöte und B-Klarinette, tiefes Register mit Bassklarinette und Kontrafagott).
- Kadenz des Kontrafagotts -
5. Satz Quia respexit humilitatem ancillae suae (Der die Niedrigkeit seiner Magd angesehen): Der Titel spielt auf die gleichnamige Sopranarie aus dem Magnificat von Johann Sebastian Bach an, deren Oboenstimme unverändert zitiert wird. Dazu steuern die anderen Instrumente dissonierende Kontrapunkte bei, die das Bachzitat überlagern bzw. unterbrechen.