"La Tempesta di Mare", Concerto F-Dur, RV 98 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonio Vivaldi

"La Tempesta di Mare", Concerto F-Dur, RV 98

Concerto F-Dur, für Flöte, Oboe, Fagott, Violine, Streichquartett und Cembalo, RV 98, „La Tempesta di Mare“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2224

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Largo

3. Presto

Erläuterungen

Das Kammerkonzert La tempesta di mare (Der Seesturm) ist ein adäquates Symbol für Antonio Vivaldis stürmischen Aufstieg und sein jähes Ende in den Wirren des vom Krieg bedrohten Wien. Kaum ein Musikfreund dürfte auf Anhieb wissen, dass Vivaldi in Wien starb, 1741, mitten in den fatalen Anfängen des Österreichischen Erbfolgekrieges, der Maria Theresia beinahe ihre Erblande gekostet hätte. Vivaldi wurde in einem Armengrab auf dem Spittaler Gottesacker zu Wien beigesetzt, ein biographischer Umstand, der an Mozarts Ende erinnern könnte und hier erst einmal vor den Stücken erläutert sei.
Noch 1728 hatte Vivaldi auf der Höhe seines Ruhms gestanden. 50.000 Dukaten pro Jahr soll er verdient haben, und Kaiser Karl VI. höchstpersönlich gewährte ihm in Triest Audienz. Die Wiener Hofchargen munkelten, der Kaiser habe mit dem venezianischen Musiker in zwei Tagen mehr gesprochen als mit seinen Ministern in zwei Jahren, was zu dem gutherzigen, musikbesessenen Habsburger passen würde. Vivaldi dedizierte ihm dafür ein Opus mit 12 Concerti (La Cetra, Opus 9) und versicherte sich dadurch der kaiserlichen Gnade – für die Zukunft.

10 Jahre später wollte er auf diesen Stein bauen. Ein übereifriger Kirchenfürst aus Padua hatte dafür gesorgt, dass die Situation in Venedig eskaliert war, weil Vivaldi seit Jahren mit der Primadonna Anna Girò und deren Schwester das Haus teilte. Für einen geweihten Priester, der Vivaldi ja war, bedeutete die unterstellte wilde Ehe einen handfesten Skandal. Also machte er sich auf gen Norden und traf 1740 in Wien ein. Der Kaiser aber, dem er so viel verdankte, starb, kurz nachdem er die Residenz erreicht hatte. Friedrich II. von Preußen fiel in Schlesien ein, und die Tagesereignisse überrollten den Wiener Hof. Für einen 62jährigen italienischen Komponisten und Geiger hatte keiner mehr Zeit oder Interesse.

Unser Vivaldi-Stück gehört nicht in diese traurige späte Phase von Vivaldis Leben, sondern in seine glanzvollsten Tage. Es ist den meisten Hörern sicher in der Fassung als Konzert für Querflöte und Streicher vertraut, ursprünglich gehörte es aber zu einer keineswegs kleinen Gruppe von Konzerten Vivaldis, die man als Concerti da Camera bezeichnet, weil sie auf ein „Ripieno“, also ein Streichorchester, verzichten und für jede Stimme nur ein solistisches Instrument vorsehen. Die Klangkombinationen in dieser Werkgruppe sind so farbig wie die oft tonmalerischen Effekte. So beschäftigt La tempesta di mare in der hier gespielten Urfassung zusätzlich zur Flöte noch eine solistische Oboe, ein Fagott und eine Solovioline neben dem Streichquartett mit Cembalo. Alle diese Instrumente werden im ersten Satz in den Strudel eines Seesturms hineingerissen, der es mit seinen auf- und abwogenden Wellen, seinen peitschenden Winden und Regengüssen den Seeleuten hörbar schwermacht. Im Mittelsatz beruhigt sich das Meer plötzlich; die Matrosen beklagen die Verluste des Sturms, bis im dritten Satz die nächste Wellenbank heranrollt.

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Selten kam Antonio Vivaldi in die Verlegenheit, sich einer „Tempesta di Mare“, einem Seesturm, auszusetzen. Seine zahlreichen Reisen nach Wien und Prag, Brescia und Rom, Vicenza, Verona und Padua hat er entweder in der Kutsche oder auf einer „Barca“ absolviert, einem Boot, das ihn sanft über den Brentakanal in die venezianische „Terra ferma“ trug. Lediglich nach Triest, wo er 1728 mit Kaiser Karl VI. zusammentraf, wird er wohl ein größeres Schiff über die Adria genommen haben. Ob er dabei in einen Seesturm geriet, wissen wir nicht.

Die beiden Concerti, die Vivaldi dem Sujet des Seesturms gewidmet hat, sind lange vor 1728 entstanden, möglicherweise sogar fern von Venedig. Sowohl sein F-Dur-Concerto RV 570 als auch das Es-Dur-Konzert aus Opus 8 könnte er in Mantua komponiert haben, wo er von 1718 bis 1720 als Hofkapellmeister wirkte. Sein dortiger Dienstherr, der vom Kaiser als Statthalter eingesetzte Landgraf von Hessen-Darmstadt, war eine ausgesprochene „Landratte“. Die sanften Wiesen und Wälder Südhessens bergen zwar manche Seen, und auch der Rhein ist nicht weit. Doch einen echten Seesturm dürfte auch der Landgraf selten erlebt haben. Umso größer vielleicht die Neugier, sich einmal von einem echten Venezianer einen solchen Sturm in Tönen vor Augen und Ohren führen zu lassen.

Dass Vivaldi genügend klangmalerische Fantasie für das Sujet hatte, beweisen seine Opern, in denen immer wieder eine unschuldige Schöne Schiffbruch erleidet oder in einer Gleichnisarie der Seesturm beschworen wird. Auch über konkretes Anschauungsmaterial verfügte der Komponist. Vom Fenster seines Zimmers im Ospedale della Pietà aus wird er so manchen Nachmittag beim Stundengeben auf der Violine beobachtet haben, wie sich die düsteren Wolken über der Lagune zusammenbrauten und die Sturmwinde vom Meer her die Wellen ans Kai der „Riva degli Schiavoni“ peitschten.

Genau mit diesem Bild der schäumenden Wellen beginnt unser Concerto. Es ist den meisten Hörern sicher in der Fassung als Konzert für Querflöte und Streicher aus Opus 10 vertraut, gehörte ursprünglich aber zu einer keineswegs kleinen Gruppe von Konzerten Vivaldis, die Streicher und Bläser in delikaten Kombinationen miteinander konzertieren lassen. „La tempesta di mare“ beschäftigt in der hier gespielten Urfassung zusätzlich zur Flöte noch eine solistische Oboe, ein Fagott und eine Solovioline neben den Streichern und dem Cembalo. Alle diese Instrumente werden im ersten Satz in den Strudel des Seesturms hineingerissen. Die auf- und abwogenden Wellen, die peitschenden Winde und Regengüsse machen es den Seeleuten hörbar schwer. Im Mittelsatz beruhigt sich das Meer vorübergehend. Ein Matrose beklagt die Verluste an Mannschaft und Ladung. Im dritten Satz rollt eine neue Wellenbank heran, diesmal im Dreiertakt und in rasendem Tempo. Mutig stemmen sich die Seeleute, verkörpert durch die Solobläser, gegen das „White Water“ der Streicher.