Sonate c-Moll für Violine und Basso continuo (früher Bach zugeschrieben als BWV 1024)
Werkverzeichnisnummer: 2206
1. Adagio
2. Presto
3. Affettuoso
4. Vivace
1709, als Bach gerade ein Jahr in Weimar als Hoforganist angestellt war, besuchte ihn ein junger fränkischer Geigenvirtuose, der von Ansbach nach Leipzig reiste, um zu studieren: Johann Georg Pisendel. Die beiden haben wohl zusammen musiziert und sich zu diesem Zweck ein Doppelkonzert für zwei Violinen und Streicher ihres gemeinsamen Freundes Telemann abgeschrieben. Dieses Notenmaterial ist das erste Zeugnis einer Freundschaft, die bis zu Bachs Tod anhalten sollte und von Pisendel noch posthum bestätigt wurde („Wer der alte Bach gewesen, weiß ich wohl“, schrieb er 1751 an Telemann.)
Nachdem er von Leipzig 1712 in die kursächsische Residenz Dresden gewechselt war, begann unaufhaltsam Pisendels Aufstieg zum berühmtesten deutschen Violinvirtuosen der Bachzeit. In Venedig wurde er Schüler von Vivaldi, der bald daran ging, seinem begnadeten Eleven Konzerte zu dedizieren, was auch Telemann und Albinoni taten. 1730 zum Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle ernannt, drillte Pisendel sein Orchester zum besten in ganz Europa. Man darf davon ausgehen, dass er mit seinem alten Freund Bach bei dessen Besuchen in Dresden 1731, 1733 etc. neben Hoftratsch und Fragen von Stil und Komposition durchaus auch ganz praktische Probleme der Orchestererziehung, des Bogenstrichs und der geigerischen Technik erörterte, die Bach dann selbst auf sein Leipziger Orchester übertrug.
Ein kompositorisches Zeugnis für die Freundschaft mit Pisendel fehlt in Bachs authentischem Oeuvre (wenn man einmal von dem Laudamus te der h-Moll-Messe absieht, dessen Violinsolo für Pisendel bestimmt war). Es gibt freilich im Bach-Werkeverzeichnis eine Sonate, die in einer Dresdner Abschrift Pisendels und in einer auf Bach weisenden Handschrift in der Schönborn-Musiksammlung in Wiesentheid überliefert ist. Diese c-Moll-Sonate, BWV 1024, gilt heute als ein Werk Pisendels, sie könnte aber, was den Stil anbelangt, ebensogut von Bach stammen. Der hochexpressive Eingangssatz mit seinem weitgespannten Violinsolo über einem Orgelpunkt erinnert an Bachs g-Moll-Orgelfantasie, BWV 542. Der zweite Satz mutet wie ein Vorläufer des entsprechenden Satzes aus der f-Moll-Violinsonate, BWV 1018, an. Für den dritten und vierten Satz lassen sich ähnliche Analogien zu Bachs authentischen Violinwerken finden (Sonaten BWV 1021 und 1023, Violinsoli in Kantaten). Vielleicht hängt die Entstehung dieses rätselhaften Stücks mit Pisendels Weimar-Besuch von 1709 oder einer späteren Begegnung der beiden zusammen.