Quintett für Streicher und Klavier C-Dur, op. 45
Werkverzeichnisnummer: 2203
1. Allegro giusto
2. Andante con moto
3. Scherzo. Allegro vivace
4. Finale. Allegro con brio
Das Italien des 19. Jahrhunderts ist vielleicht die größte Terra incognita unter den Kammermusiklandschaften Europas. Während man die Kammermusik der Romantik und Spätromantik selbst in so gegensätzlichen Randregionen des Kontinents wie Skandinavien, Spanien oder England längst erforscht und teilweise dem Konzertrepertoire erschlossen hat – erwähnt seien nur Namen wie Berwald, Elgar oder Granados -, tauchen die Vorreiter der italienischen Romantik wie Radicati, Sgambati oder Martucci kaum einmal auf unseren Konzertprogrammen auf. Schuld daran ist natürlich die Oper, die unsere Vorstellung vom Italien des Rinascimento so vollständig ausfüllt – vom Gefangenenchor aus Nabucco bis zur Gelida manina -, dass man an italienische Sinfonik oder Klavierquintette keinen Gedanken verschwendet.
Tatsächlich hat es sie aber gegegeben, jene Meister, die nicht der Versuchung des Belcanto erlagen, sondern ihre ganze Energie als Dirigenten und Komponisten, Pianisten und Geiger dem schwierigen Unterfangen widmeten, die Instrumentalmusik in Italien befördern zu wollen. Was Blaskapellen anbelangte, war dies kein sonderliches Problem, wohl aber, was die aus dem Norden stammende seriöse Kammermusik betraf. „Unpassend für unser Klima“ fand sie sogar ein Mann wie Verdi. Unter solchen Voraussetzungen taten sich die ab 1860 in den italienischen Hauptstädten aufblühenden Quartettgesellschaften schwer damit, die Italiener für Streichquartette, Klaviertrios und andere Stücke strenger Kammermusik zu begeistern. Es dauerte buchstäblich bis zum Ende des Jahrhunderts, bevor wenigstens einmal Beethovens frühe und mittlere Streichquartette in Italien heimisch geworden waren. Vom einheimischen Repertoire würde man in diesem Umfeld nicht allzu viel erwarten, jedenfalls nichts, was man der romantischen Kammermusik Mitteleuropas vergleichen könnte.
Kenner der Materie wissen es besser. Forscher wie die Kieler Musikwissenschaftlerin Salome Reiser oder der Italiener Sergio Martinotti sitzen buchstäblich auf Hunderten unbekannter italienischer Kammermusikwerke des 19. Jahrhunderts, die eine Wiederbegegnung lohnten. Nur eine kleine Auswahl davon hat die Villa Musica unter ihrem Saisonmotto Mediterrane Welten seit September letzten Jahres vorstellen können. Eines der schönsten, jedenfalls historisch bedeutendsten von ihnen ist das Klavierquintett von Giuseppe Martucci.
Nicht, weil er zwei Sinfonien geschrieben hat, die noch Toscanini mit Begeisterung dirigierte, auch nicht wegen seiner Canzone dei ricordi für Sopran und Orchester oder wegen seines spektakulären Eintretens für die Musik des Nordens von Wagner über Brahms und Debussy bis zu Sullivan interessiert uns Martucci hier, sondern als junger Komponist im Italien der 1870er Jahre. Der aus Capua stammende Sohn eines Banda-Musikers hatte in jenen Jahren eines vielbeachtete Pianistenkarriere begonnen und sogar das Lob eines Liszt und Rubinstein geerntet, als er sich an das Konservatorium vom Nepael zurückzog und sich aufs Dirigieren und Komponieren beschränkte. 1878 reichte er als gerade mal 22jähriger sein Klavierquintett zum Kompositionswettbewerb der Mailänder Quartettgesellschaft ein und gewann ihn, mit einer Musik, die als Inkarnation des Belcanto, als Puccini für Streichquartett und Klavier erscheinen könnte und doch auch von Brahms und Schumann inspiriert ist.
Das Quintett in der viersätzigen Form beginnt mit liegenden Streicherakkorden und einer schumannesken Geste des Klaviers, die sich erst allmählich zum Hauptthema eines Allegro giusto verdichten. Dieser Hauptgedanke selbst erinnert in seiner chromatisch changierenden Gesanglichkeit ein wenig an den jungen Richard Strauss. Am rasch virtuos werdenden Klavierpart kann man die pianistische Ambition des Komponisten erkennen, am satten Streicherklang die gründliche Ausbildung des späteren Meisterdirigenten. Das zweite Thema, vom Klavier vorgestellt und von den Streichern aufgegriffen, vertieft noch den Eindruck einer primär klangorientierten Belcanto-Musik in hellen Durfarben. Erst die darauffolgende, düster-verhangende Überleitung setzt einen klanglichen und harmonischen Kontrast zu den weichen Hauptthemen, die im Rahmen der Durchführung zunehmend melancholische Züge annehmen. Typisch italienisch würde man vielleicht die große Klimax nennen, in der der Satz gipfelt. Es handelt sich formal gesehen um die Coda des Sonaten-Allegros, in der ungebrochenen Emphase jedoch eher um ein opernhaften Höhepunkt.
Das Andante con moto ist ein zwischen düsterem Klaviersolo und hellen Streicherterzen kunstvoll dahindämmerndes Claire de lune-Stück, aus dem sich immer wieder bemerkenswert schöne Kantilenen herauslösen. Die Musik hält geschickt die Waage zwischen den unterschiedlichsten Stilanklängen, von Brahms bis zum Verismo. Das neobarocke Streicherthema des Mittelteils erscheint fast wie eine Vorahnung von Mantovani, erinnert aber auch daran, dass Martucci die Klavierwerke Bachs und Scarlattis im Konzertsaal spielte. Auch dieser Satz strebt formal gesehen auf eine große Klimax zu, die vor der Reprise des Hauptteils liegt.
Hinter der lärmend-extrovertierten Agilität des Scherzo (Allegro molto) könnte man, analog zu den Scherzo-Sätzen eines Tschaikowsky, ein Porträt neapolitanischen Volkslebens vermuten, während das Finale (Allegro risoluto) beim marschartigen Finalduktus Schumanns ansetzt. Nicht zufällig erinnert das lyrische Seitenthema hier ebenfalls an Schumann, während der virtuose Klavierpart dieses Satzes die Thalberg-Schule nicht verleugnet, aus der Martucci als Pianist hervorging.