“Concert champêtre”
Werkverzeichnisnummer: 2178
1. Ouvertuere. Allegro giocoso
2. Minuetto
3. Bourrée. Décidé
4. Nocturne. Andante
5. Tambourin. Vif
2003:
HENRI TOMASI
Concert champêtre
Henri Tomasi stammte aus einer korsischen Familie und wuchs in Marseilles auf. Er verleiht unserem Programm also gleichsam die mediterrane Note, den Flair des Midi. Tatsächlich spielt diese “couleur locale” in seinen Werken eine wichtige Rolle, etwa in dem Divertissement corsico für Orchester oder in den Invocations et Danses rituelles, die an antike Riten des Mittelmeerraums erinnern. Neben blendender Orchesterierungskunst ist die Neigung zum Musiktheater Tomasis hervorstechendes Merkmal: Von seinen großen Pariser Balletten der 1930er Jahre bis hin zu der 1956 in München uraufgeführten Oper Miguel de Mañara.
Beide Charakteristika treffen in dem kleinen, aber feinen Concert champêtre für drei Bläser zusammen. Hinter dem scheinbar naiven Titel Ländliches Konzert verbirgt sich eine kenntnisreiche Anspielung auf die Musik des französischen Rokoko. Zum einen hatte im Paris des 18. Jahrhunderts der Begriff Concert nichts mit dem italienischen Solokonzert für Violine und Streichorchester zu tun, sondern bezeichnete schlicht ein mehrsätziges Instrumentalstück, meist in Suitenform und für wenige Spieler, also das genaue Gegenteil eines Concerto (siehe etwa Couperins Concerts royaux oder Nouveaux concerts). Zum anderen gab es auch damals schon den Titel Concert champêtre, womit Komponisten wie Michel Corrette eine Suite im Stil von Volksmusik bezeichneten. In einer Folge von Tanzsätzen wurde in reichlich idealisierter Weise die Musik der Bauern nachgeahmt. Dabei wurden ihre Tänze und ihre Instrumente porträtiert, wie etwa die Einhandtrommel oder die Drehleier. Es war eine Lieblingsbeschäftigung des französischen Adels zur Zeit Ludwigs XV., in dieser Weise “Volk” zu spielen. Tomasi hat diese Maskierung aufgegriffen und in ein amüsantes Trio für Oboe, Klarinette und Fagott von impressionistischer Farbigkeit übersetzt.
Die Suitenform des Trios entspricht ganz den neobarocken Neigungen im Frankreich der 1930er Jahre. In der Ouvertüre wird ein motorisches Barockthema mit witzigen Kommentaren versehen, daher die Bezeichnung lustiges Allegro. Das Menuett ahmt den Klang und die Melodien einer Drehleier nach, die Bourrée die primitiven Oktaven, Taktwechsel und Ostinatobässe echter Volksmusik. Das Nocturne ist eine eher ironische Stimmungsmusik für Soloklarinette mit Begleitung.
Das Finale huldigt einem Modegenre des 18. Jahrhunderts, dem Tambourin. Manche Hörer kennen vielleicht die mitreißenden Tambourins, die Jean-Philippe Rameau für seine Opern geschrieben hat. Ihre elektrisierende Wirkung beruht auf einer simplen Melodie im Zweiertakt, verbunden mit einem einpeitschenden Beat im Bass. Auf sehr kunstvolle Weise wird darin eine echte Form von Volksmusik nachgeahmt, die aus Südfrankreich stammte: ein einziger Spieler begleitete sich auf dem sog. Tambourin de Béarne, einer besaiteten Trommel, während er mit der anderen Hand auf einer Flöte primitive Melodien blies. Henri Tomasis Tambourin-Satz ist somit eine Huldigung an seine südfranzösische Heimat.