Oktett für Klarinette, Fagott, Horn und Streicher
Werkverzeichnisnummer: 2173
1. Moderato – Allegrissimo
2. Scherzo
3. Andante – Adagio
4. Mouvement de Valse
„Die Partituren von Jean Françaix wurden weder bei Kongressen noch in Workshops und Nachtstudios seziert; die Sachwalter des Tiefsinns nehmen ihn nicht ernst, hüten sich aber, über ihn herzufallen, um nicht der Humorlosigkeit geziehen zu werden. Moral: Heiterkeit macht nahezu kugelsicher.“ Allzu optimistisch beurteilte der deutsche Musikkritiker Karl Schumann die Unanfechtbarkeit des musikalischen Humors, mit dem Jean Françaix die Zuhörer in ganz Europa 50 Jahre lang bezaubert hat. Der Komponist aus Le Mans musste sich in seiner Heimat genügend Anfeindungen gefallen lassen, sei es wegen der lebenslangen Unterstützung durch einen deutschen Musikverlag (Schott in Mainz), sei es wegen seiner renitenten Haltung der Avantgarde gegenüber. Françaix blieb in der Musiklandschaft unseres Jahrhunderts ein Außenseiter, so sehr auch das Publikum ihn als Vertreter einer seltenen heiteren Moderne schätzen mochte. „Man hat mich einen leichtfertigen Komponisten genannt, obschon ich doch jede Note streng kontrolliere, die aus meiner Feder kommt,“ meinte Françaix selbst zu dem Problem seiner unproblematischen Musik.
Sein Oktett schrieb Françaix 1972 aus dem gleichen Grund, dem so viele andere Oktette der Musikgeschichte seit Schubert ihre Existenz verdanken: dem Umstand, dass Schuberts Oktett nicht abendfüllend ist . Für ein Kammerkonzert in dieser üppigen Besetzung bedarf es folglich der Ergänzung. Aus diesem Grunde haben zahlreiche Komponisten im Gefolge Schuberts zur Feder gegriffen und dessen Oktettbesetzung in moderner Form wiederaufleben lassen. Oft waren dabei auch die Musiker selbst die treibenden Kräfte – Ensembles wie das Wiener Oktett oder das Octuor de Paris. Letzterem hat Françaix sein Oktett gewidmet. Gerhard Pätzig hat von dem Stück eine ebenso launige wie zutreffende Beschreibung gegeben:
„Scheinheilig beginnt das Oktett als braves Streichquartett, dem sich ein Klarinetten-Fagott-Dialog anschließt. Ein Accelerando beschleunigt das Tempo, das sich unvermutet in einen Quickstep mit stimmführender Klarinette, Hom, dann auch zu einem Streichersatz verwandelt. Die Übernahme des Themas durch das Fagott signalisiert den Beginn einer Quasi-Durchführung voller Motivspielereien. Ein heiteres Duettieren der Geige mit der Klarinette wird von ruhigen Pendeltönen des Horns begleitet. Keine Reprise, keine Sonatensatzform.
Zweiter Satz. Aus einem spukhaften Streicherpizzikato erwächst eine freche Klarinettenmelodie, die im Wechselspiel von allen lnstrumenten imitiert wird. Der Trio-Teil entfaltet eine großzügige, mit Bläsertupfern garnierte Streicherkantilene. Noch einmal erklingt das freche Klarinettenthema im schnellen Walzertakt als Dacapo-Effekt und verflüchtigt sich mit einem Diminuendo.
Dritter Satz. Kontrast! Die Streicher stimmen im Quartettsatz eine Art Wiegenlied an, das von der Solovioline mit begleitenden Bläserfigurationen weitergesponnen wird. Melodie-Zitate der Bläser formieren sich zu einer besinnlichen Coda.
Vierter Satz. Eine kurze Tutti-Einleitung gibt das Startsignal zu einer persiflierenden Wiener-Walzer-Folge. Tugenden (und Untugenden) von Kaffeehausgeigern dienen offensichtlich der Erheiterung der Zuhörer. Im zweiten Walzer übernimmt die Klarinette die Führung, deren simples Thema durch »falsche« Begleitakkorde karikiert wird. Der Walzer Nr. 3 stolpert schließlich im ständigen Taktwechsel vor sich hin. Themen-Wiederholungen und Motiv-Reminiszenzen beenden den Salonorchester-Ulk.“