Quintett B-Dur für Klarinette und Streichquartett
Werkverzeichnisnummer: 2170
1. Allegro
2. Andante
3. Menuetto. Allegro – Trio
4. Finale. Allegretto
Daß man um 1800 „eher auf 20 mittelmässige Flötisten“ stieß, „ehe man auch nur einen erträglichen Klarinettisten“ fand, ist der Allgemeinen Musikalische Zeitung in Leipzig vom März 1802 zu entnehmen. Der niedrige spieltechnische Standard der noch jungen Klarinette bewog die Komponisten, sich mit Klarinettenwerken, zumal in der Kammermusik vorläufig zurückzuhalten und gar Mozarts Klarinettenkonzert und -quintett für die Flöte zu bearbeiten! Um 1820, als Anton Reicha bei Breitkopf sein Klarinettenquintett veröffentlichte, hatte sich die Situation grundlegend geändert. An virtuosen Klarinettisten herrschte kein Mangel mehr, und der Bedarf an konzertanter Litertaur, auch im Bereich des Quintuor concertant für Streicher mit Klarinette war sprungartig angestiegen. Dies mag den geborenen Böhmen und Beethovenfreund Reicha dazu veranlaßt haben, in Mozarts Fußstapfen zu treten und selbst ein Klarinettenquintett zu schreiben. Daß er Mozarts großes A-Dur-Quintett während seiner Wiener Jahre 1801-1808 kennengelernt hatte, ist seinem ebenfalls viersätzigen Werk anzuhören.
Zu Beginn des ersten Satzes wird – ganz wie bei Mozart – ein Dreiklangsthema der Streicher von einem Sechzehntelmotiv der Klarinette beantwortet. Das Blasinstrument behält zunächst die melodische Führung in weiten, reich ornamentierten Melodiebögen. Das Kopfmotiv der Streicher kehrt jedoch im Verlauf des Sonatensatzes mehrmals im Sinne eines Mottos wieder, wobei der melodische Vorrang stets zwischen Violine I und Klarinette wechselt. Die Durchführung beginnt mit Klarinetten-Synkopen zu einfachen Akkorden der Streicher, worauf wieder das Mottothema erscheint und durch die Tonarten geführt wird. In der Reprise vertauschen erste Violine und Klarinette die Rollen, auch dies ganz wie in Mozarts Klarinettenquintett. Der Schluß des Satzes ist ausgesprochen konzertant gehalten, mit virtuosen Klarinettenläufen bis in die hohe Lage, großen Sprüngen und brillanten Trillern.
Der langsame Satz kann das Vorbild zeitgenössischer Opernarien nicht verleugnen. Es handelt sich um ein sogenanntes „Rondò“ in Es-Dur, eine pathetische Arienform, wie sie Reicha auch in seinen Bläserquintetten nachahmte. Das Menuett spielt im Haydn-Stil mit absteigenden Tonleitern der Streicher, während das Trio sich als einfacher Klarinettenländler zu volksmusikartiger Streicherbegleitung geriert. Der Wiener Tonfall ist hier ebenso unüberhörbar wie im Finale, das mit seinem Sechsachteltakt, dem einfachen Hauptthema, den Laufkaskaden und dem Seiten-thema im Fandango-Rhythmus unmittelbar an ein anderes Mozart-Vorbild gemahnt (das Finale des Divertimentos für Streichtrio, KV 563).
Die Zeitgenossen hörten in Reichas Werken eher Anklänge an Haydn heraus. Wir zitieren wieder die AMZ in Leipzig: „Der herrschenden Stimmung und dem Geschmacke nach hat Herr Reicha die Haydn’schen Quartetten vor Augen und im Sinne gehabt, ohne jedoch dabey seine Eigenthümlichkeit zu verläugnen… Daran hat er nun gewiss sehr wohlgethan, und es wäre zu wünschen, dass mehre unserer vorzüglichen Instrumentalcomponisten von dem Trüben und Düstern, oder Wilden und Rauhen, worin sie sich eine Zeit lang vorzüglich gefallen haben, zu dem Heitern, Freundlichen, Klaren und Einnehmenden J. Haydn’s – allerdings, ohne diesen sonst bloß nachzuahmen – zurückkehrten.“ Reichas klassische Heiterkeit in der Tradition Haydns und Mozarts fand also auch nach 1820 noch ihre Bewunderer.