Streichquintett Es-Dur, op. 17 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Felice Radicati

Streichquintett Es-Dur, op. 17

Quintett Es-Dur für 2 Violinen, 2 Violen und Violoncello, op. 17

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2162

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Andante

3. Menuetto. Allegro – Trio

4. Allegro

Erläuterungen

„À Mayence chez B. Schott“, in Mainz beim Musikverlag Schott, erschien um 1810 das Streichquintett Opus 17 eines heute fast vergessenen italienischen Komponisten: Felice Radicati. Obwohl seine erste Oper, Coriolan, 1809 in Amsterdam, seine zweite, Fedra, in London uraufgeführt wurde, kennt man ihn heute, wenn überhaupt, nur als den wichtigsten italienischen „Camerista“, sprich: Kammermusik-Komponisten des frühen 19. Jahrhunderts. In der Epoche der napoleonischen Kriege lag die italienische Kammermusik brach. Die Zeiten, in denen Geiger wie Corelli, Vivaldi oder Tartini dem Norden einen Kammermusikstil vorgaben, waren lange vorüber, und selbst die Nachwehen dieser großen Schule in den Werken eines Boccherini waren nurmehr glorreiche Vergangenheit.

Radicati – Geiger im Turiner Opernorchester, bis Napoleons Feldzüge 1798 der Opernherrlichkeit in Piemont ein Ende bereiteten – fiel die Aufgabe zu, den Wiener klassischen Kammermusikstil verspätet nach Italien zu importieren. Mit seiner Frau, einer Opernsängerin, fand er 1803-1808 in Wien ehrenvolle Aufnahme. Im Kontakt mit Haydn und den Gönnern Beethovens adaptierte er dort den klassischen Streichquartettstil, den er 1814 – nach einigen Jahren in London und Lissabon – mit zurück nach Italien nahm. Dort wirkte er als Kapellmeister an S. Petronio und als Professor in Bologna, im Herzen der alten italienischen Streicherschule.

Mit Hilfe fortschrittlicher Lehrmethoden, die er in Paris aufgegriffen hatte, und durch seine Kammermusik gelang es Radicati, diese traditonelle Schule für die Errungenschaften der gerade beginnenden Romantik zu öffnen.

Wenn man will, kann man all dies in Radicatis Es-Dur-Streichquintett wiederfinden: das Interesse an der Violine und ihren neuen spieltechnischen Möglichkeiten im brillanten Part der ersten Violine; die Tradition der Wiener Klassik, insbesondere Haydns, im formalen Aufbau; die gerade aufkeimende Melodik der italienischen romantischen Oper in den an Rossini oder Bellini erinnernden Seitenthemen. Im allgemeinen ist das Quintett ein Werk des Übergangs zwischen Haydn und Rossini, Pugnani und Paganini.

Der erste Satz, ein Allegro moderato in der klassischen Sonatenform, beruht auf einem einfachen Prinzip: dem Wechsel zwischen lang ausgesponnenen Themen und virtuosen Passagen. Kunstvolle Überleitungen mit Verarbeitungen des Motivmaterials wie in den Streichquintetten Mozarts sucht man hier vergebens. Das erste Thema soll mit seiner Andeutung von Kontrapunkt und seinem haydnesken Duktus wohl klassischen Anspruch im Sinne des Streichquartetts verkörpern; das Seitenthema nimmt schon den espressivo-Ton der Belcanto-Oper vorweg.

Das Andante ist eine Hommage à Haydn. Es benutzt Haydns liebste Form von langsamen Sätzen, sog. Doppelvariationen: Ein erstes Thema in As-Dur kehrt zweimal variiert wieder, unterbrochen von einem zweiten Thema in Des-Dur, das seinerseits variiert wird. Das zweite Thema ist „in Canone“ angelegt, wie Radicati in den Stimmen vermerken ließ: als Oktavkanon zwischen erster Geige und erster Bratsche

Auch das Menuett benutzt ein haydneskes Modell: den Auftakt mit kurzem Vorschlag. Das Trio besteht aus einer einzigen, lang ausgesponnenen Melodie im semplice-Tonfall des Volksliedes. Das Finale, von den solistischen Bratschen eröffnet, betont die Unabhängigkeit der Mittelstimmen im Quintettsatz. Es ist ein hochvirtuoses Rondo im Rhythmus eines Kontretanzes, auch dies ein klassizistischer Satztypus, den Radicati in Wien kennengelernt hatte.