Sonata Nr. 6 c-Moll für zwei Oboen, Fagott und Basso continuo
Werkverzeichnisnummer: 2149
1. Andante
2. Allegro
3. Adagio
4. Allegro
ZELENKA gehört zu den großen Entdeckungen der Barockmusik. Jene Solistenschar um Heinz Holliger, die vor 30 Jahren mit der Ersteinspielung seiner Sonaten seine Wiederent-deckung einleitete, muss bass erstaunt gewesen sein: Ein solcher Reichtum an Kontrapunkt, eine solche Fülle an Einfällen und extravaganten Modulationen hätte keiner von Triosonaten für Oboen und Bass erwartet. Noch heute sind die Allegrosätze dieser Sonaten für Oboisten eine Herausforderung, die Fagottsoli nur mit Vivaldi zu vergleichen, die Doppelfugen singulär.
Man kann in diesen Stücken Zelenkas Genius bewundern und Spuren seiner böhmischen Musikalität entdecken, man kann sie aber auch als Dokumente für die Kunst der Oboisten am Dresdner Hof verstehen. 1718, vier Jahre vor Zelenka, widmete Telemann seine Kleine Cammer-Musik den Oboisten François le Riche und Franz Richter, “Sr. Königlichen Majestät von Polen und Chur Fürstlichen Durchläucht von Sachsen bestallten Cammer-Musicis.” In der Widmungsvorrede wurde Telemann nicht müde, die “Virtu” und den “Goût, dessen dieselben sich auf der Hautbois zu bedienen pflegen,” zu preisen. Er gesteht, von den Dresdner Oboisten auf “unaussprechliche Arth gerührt worden zu sein”, selbst wenn komplizierte Technik gefordert war wie “weit entfernte Sprünge, bedeckte und unbequeme Töne”, chromatische Gänge. “Die brillirenden Töne, welche von Natur in dieses delikate Instrument geleget sind,” beherrschten le Riche und Richter in gleicher Weise vollkommen.
In Zelenkas Sonaten wird all dies hörbar und auch im Notentext sichtbar. Die minutiöse dynamische Bezeichnung etwa straft die alte Mär von der barocken “Terassendynamik” lügen: die Stücke strotzen vor Crescendi und feinsten Abstufungen. Man spürt, wie sehr diese beiden Oboisten und der Dresdner Solofagottist Ritter Zelenka in ihren Bann zogen. Was er ihnen abverlangte, ist ein Extrem an Ausdauer, technischer Bravour und Differenzierungskunst, doch es scheint, dass er das Niveau von Sonate zu Sonate steigerte. Nr. I ist noch eine klassisch-italienische Sonata, ab Nr. II wird der Ausdruck bizarrer, die Satztechnik komplexer. Zunehmend löst sich das Fagott vom Bass, bis es in den Sonaten V und VI konzerthafte Soli übernimmt. Es liegt ein eigener Reiz darin, diese sukzessive “Überladung” von Sonate zu Sonate zu studieren.
SONATA VI in c-Moll ist der würdige Abschluss des Zyklus, pathetisch und kraftvoll, voll kontrapunktischer Kunstgriffe und wundervoller Dissonanzwirkungen. Endlos lange Haltetöne der Oboen über dem gehenden Bass wechseln im Kopfsatz mit dichten Sechzehntel-Kontrapunkten ab. Gebieterisch beginnt das Fugenthema des zweiten Satzes mit einem Quintsprung abwärts, an den sich lebhafte Anapäst-Motive anschließen. Später mischt sich der “Passus duriusculus”, die chromatisch absteigende Quart aus der musikalischen Rhetorik des Barock ein, und wird mit dem ersten Thema nach Art einer Doppelfuge kunstvoll kombiniert.
Von der Musik seines zeitweiligen Wiener Lehrers Fux ließ sich Zelenka zum dichten Quartettsatz des Adagio inspirieren, ein Stück wie aus dem Kontrapunkt-Lehrbuch, dabei pathetisch sprechend wie alles an dieser Sonate. Um nach soviel Kunst den Zyklus nonchalant zu schließen, ließ er ein Menuett folgen. Freilich weitet sich auch diese unschuldigste Form der Barockmusik bei ihm zu einem 200 Takte langen, hypertrophen Gebilde.