Sonata Nr. 4 g-Moll | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jan Dismas Zelenka

Sonata Nr. 4 g-Moll

Sonata Nr. 4 g-Moll für zwei Oboen, Fagott und Basso continuo

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2147

Satzbezeichnungen

1. Andante

2. Allegro

3. Adagio

4. Allegro ma non troppo

Erläuterungen

ZELENKA gehört zu den großen Entdeckungen der Barockmusik. Jene Solistenschar um Heinz Holliger, die vor 30 Jahren mit der Ersteinspielung seiner Sonaten seine Wiederent-deckung einleitete, muss bass erstaunt gewesen sein: Ein solcher Reichtum an Kontrapunkt, eine solche Fülle an Einfällen und extravaganten Modulationen hätte keiner von Triosonaten für Oboen und Bass erwartet. Noch heute sind die Allegrosätze dieser Sonaten für Oboisten eine Herausforderung, die Fagottsoli nur mit Vivaldi zu vergleichen, die Doppelfugen singulär.

Man kann in diesen Stücken Zelenkas Genius bewundern und Spuren seiner böhmischen Musikalität entdecken, man kann sie aber auch als Dokumente für die Kunst der Oboisten am Dresdner Hof verstehen. 1718, vier Jahre vor Zelenka, widmete Telemann seine Kleine Cammer-Musik den Oboisten François le Riche und Franz Richter, „Sr. Königlichen Majestät von Polen und Chur Fürstlichen Durchläucht von Sachsen bestallten Cammer-Musicis.“ In der Widmungsvorrede wurde Telemann nicht müde, die „Virtu“ und den „Goût, dessen dieselben sich auf der Hautbois zu bedienen pflegen,“ zu preisen. Er gesteht, von den Dresdner Oboisten auf „unaussprechliche Arth gerührt worden zu sein“, selbst wenn komplizierte Technik gefordert war wie „weit entfernte Sprünge, bedeckte und unbequeme Töne“, chromatische Gänge. „Die brillirenden Töne, welche von Natur in dieses delikate Instrument geleget sind,“ beherrschten le Riche und Richter in gleicher Weise vollkommen.

In Zelenkas Sonaten wird all dies hörbar und auch im Notentext sichtbar. Die minutiöse dynamische Bezeichnung etwa straft die alte Mär von der barocken „Terassendynamik“ lügen: die Stücke strotzen vor Crescendi und feinsten Abstufungen. Man spürt, wie sehr diese beiden Oboisten und der Dresdner Solofagottist Ritter Zelenka in ihren Bann zogen. Was er ihnen abverlangte, ist ein Extrem an Ausdauer, technischer Bravour und Differenzierungskunst, doch es scheint, dass er das Niveau von Sonate zu Sonate steigerte. Nr. I ist noch eine klassisch-italienische Sonata, ab Nr. II wird der Ausdruck bizarrer, die Satztechnik komplexer. Zunehmend löst sich das Fagott vom Bass, bis es in den Sonaten V und VI konzerthafte Soli übernimmt. Es liegt ein eigener Reiz darin, diese sukzessive „Überladung“ von Sonate zu Sonate zu studieren.

SONATA IV in g-Moll: Im gehenden Duktus eines Andante und im schweren Dreiertakt einer Sarabande eröffnet die erste Oboe die Sonate mit einem pathetischen Thema, das die zweite sofort beinahe mit der Strenge eines Kanons imitiert. Aus Überbindungen entstehen an jedem Taktanfang Dissonanzen, die sich in sprechende Gesten auflösen. Dieses polyphone Gewebe, das einen Satztypus von Corelli variiert, wird immer wieder von klagenden Terzen der Oboen unterbrochen.

Der zweite Satz lebt von der Motorik seines Hauptthemas, dessen Quintsprünge ebenso wie die fast penetrant wiederholten kleinen Sekunden an tschechische Volksmusik erinnern. Im Basso continuo verkehren sich die Quintsprünge in Oktaven, über denen die Oboen virtuose Terzpassagen wie Perlen aneinanderreihen. Vivaldischer Konzertstil paart sich hier mit der Satztechnik der Triosonate. Erst nach 18 Takten setzt die zweite Oboe mit dem Thema ein, im Bass klingt es erst ganz am Ende des riesig dimensionierten Satzes an.

Auf die dramatischen Steigerungen dieses Allegro folgt einer der seligsten Adagio-Sätze des Barock. Über gebrochenen Dreiklängen in einem sanft punktierten Rhythmus, mit denen das Fagott den Satz durchzieht, seufzen die beiden Oboen einander Oktav-, Sext- und Quartsprünge zu, die sich bald ebenfalls in weich schwingende Sechzehntel auflösen.

Um dieser großartigen Sonate die Krone aufzusetzen, schuf Zelenka im Finale ein gänzlich hypertrophes Gebilde: Über mehr als 50 Takte bleibt die erste Oboe mit einem tschechischen Tanzthema voller harmonischer Ausweichungen allein. Dann greift die zweite Oboe das Thema tongetreu auf, während die erste sich in Terzparallelen hinzugesellt. Allmählich freilich wird der Dialog komplizierter, bis im zweiten Teil ein neues Thema quasi im Sinne einer Doppelfuge einsetzt. Es wird über 40 Takte hinweg durch alle vier Stimmen eng-geführt, bis es endlich mit dem ersten Thema kombiniert wird. Über weitere 100 Takte hinweg werden die beiden Themen in kunstvollster Weise verschränkt und verarbeitet. Dabei klingt der Satz so tänzerisch beschwingt und konzertant bewegt wie ein Konzert-Finale von Vivaldi. Böhmische Akzente setzen die Rhythmik und die immer wieder auftretenden Sekund-Widerhaken in der Melodik.

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Sie waren ein ungleiches Paar und anscheinend dennoch befreundet: der Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach und der Dresdner Kirchenkomponist Jan Dismas Zelenka. Der thüringische Lutheraner Bach war trotz aller gläubigen Zerknirschung in seinen Kantaten und Passionen im tiefsten Innern von der liebenden Zuwendung des Heilands zu den Menschen überzeugt. Der böhmische Katholik und Jesuitenzögling Zelenka dagegen war von einer geradezu fanatischen Frömmigkeit besessen, die den Einzelgänger in eine Art gläubiger Selbstzerfleischung hineintrieb.

Was sie verband, war ihr tiefernster musikalischer Stil. Beide galten ihren Zeitgenossen als die „stärksten Kontrapunktisten“ ihrer Zeit, als unangefochtene Meister der Fuge und Doppelfuge. Bei Beiden verbindet sich dieser kunstvolle Kontrapunkt mit einer fast überreichen, aus Vorhaltsdissonanzen und Zwischendominanten gespeisten Harmonik und einer höchst expressiven Melodik, die galanten Zeitgenossen als „überladen“ und „barock“ erschien. Was sich dahinter verbirgt, sind geistliche Botschaften auch in weltlichen Werken. „Soli Deo Gloria“, dem Herrn allein zu Ehren, schufen sie ihre Musik, die auch in einer Sonate oder Fuge von der Reue des Sünders, der Zerknirschung des Herzens und der Gnade Gottes zu sprechen scheint.

Zu Lebzeiten begegneten sich die beiden Komponisten am Dresdner Hof, wo eine Habsburgerin – Maria Josepha von Sachsen-Polen – in kirchenmusikalischen Fragen das Regiment führte. Diesem Umstand verdanken wir die großartigen Messen beider Komponisten. In unserem Konzert begegnen sich Bach und Zelenka nicht im Genre der Messe, sondern in dem der kontrapunktischen Musik für Oboen und Fagott.

Im Falle von Bachs „Kunst der Fuge“ ist dies nur eine der vielen Besetzungsmöglichkeiten für ein Werk, das der Thomaskantor bekanntlich in abstrakter Partiturnotierung ohne Instrumentenangabe veröffentlichte. Die autographe Frühfassung beweist, dass Bach den Zyklus spätestens Mitte der 1740er Jahre abgeschlossen hatte. Es handelt sich also keineswegs um sein letztes Werk. Nur einzelne Teile sind neu hinzu gekommen, als er vor seinem Tod die Drucklegung in überarbeiteter Form vorbereitete. Aber nicht mehr abschließen konnte. Die ersten drei Fugen dieses posthumen Drucks stammen bereits aus der Frühfassung. Auch sie beginnt mit Contrapunctus I, Bachs Imitation eines Palestrinaschen Kontrapunkts über das Thema in Originalgestalt. Contrapunctus II verarbeitet ebenfalls die Originalgestalt, hier kombiniert mit einem Kontrasubjekt im punktierten Rhythmus. Contrapunctus III ist die erste Fuge über die Umkehrung des Themas und von expressiver Chromatik durchzogen. Die Spiegelfugen verarbeiten Originalgestalt und Umkehrung gleichzeitig, und zwar so kunstvoll, dass alle Tonabstände eines Stückes wiederum umgekehrt werden können und daraus eine zweite, perfekte Fuge entsteht. Unter den vier Kanons ist der zweite „per Augmentationem in contrario motu“ der ausdrucksvollste, dank der synkopischen, von Halbtönen durchzogenen Variante des Themas. Sie wird von ihrer eigenen rhythmischen Vergrößerung in Gegenbewegung beantwortet.

Zu den Stücken, die erst die Herausgeber des Erstdrucks nach Bachs Tod in den Zyklus aufnahmen, gehören Contrapunctus 14, auch „Fuga a 3 soggetti“ genannt, und der sogenannte „Sterbechoral“. Die „Fuge über drei Themen“ hätte nach Bachs Willen eigentlich eine über vier Themen sein sollen und war als krönender Abschluss der insgesamt 14 Fugen gedacht. Nach Auskunft der Erben ist jedoch „der seelige Verfasser über dieser Fuge gestorben“. Zu den drei Themen, die bis zum Abbrechen der Musik ausgeführt sind, hätte sich das Grundthema als viertes hinzugesellen sollen. Es ist mit allen drei kombinierbar, aber im Fragment nicht mehr enthalten. Das dritte Thema, das kurz vor Schluss eingeführt wird, ist nichts anderes als das B-A-C-H-Motiv. Bach hat diese Fuge mit seinem Namenszug, in Noten übertragen, gewissermaßen musikalisch signiert.

Auch um den Choral „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ rankt sich eine Lieblingsgeschichte aus der Heiligenlegende Bachs. Der schon erblindete Meister soll diesen Choral einem Schüler in die Feder diktiert haben. Da es sich um die Überarbeitung eines frühen Weimarer Choralvorspiels handelt, kann Bach diese Arbeit durchaus aus dem Gedächtnis vorgenommen haben. Er hätte diesen Choral aber nie mit der „Kunst der Fuge“ in Verbindung gebracht. Dies taten erst die Erben. Sicher aber handelt es sich um einen „Sterbechoral“, in dem Bach sein eigenes Sterben in demutsvoller Weise vorwegnahm.

Mehr als 20 Jahre vor Bachs „Kunst der Fuge“ entstanden in Dresden die sechs Triosonaten für zwei Oboen, Fagott und Basso continuo von Zelenka. Der Tscheche schuf mit ihnen 1722 ein Nonplusultra barocker Kammermusik für Bläser. Angesichts der ungeheuren Anforderungen dieser Stücke kann man die Kunst der Oboisten am Dresdner Hof erahnen. Auch andere Zeitgenossen wie Telemann wurden nicht müde, die „Virtu“ und den „Goût“ zu preisen, „dessen dieselben sich auf der Hautbois zu bedienen pflegen“. Die Dresdner Oboisten vermochten, ihre Zuhörer auf „unaussprechliche Arth“ zu rühren, selbst wenn komplizierte Technik gefordert war wie „weit entfernte Sprünge, bedeckte und unbequeme Töne“. Zelenkas Sonaten enthalten solche technische Kniffe in Hülle und Fülle.

Die vierte Sonate in g-Moll beginnt im schweren Dreiertakt einer Sarabande. Die Imitationen der beiden Oboen haben beinahe die Strenge eines Kanons, werden aber immer wieder von klagenden Terzen unterbrochen. Der zweite Satz lebt von der Motorik seines Hauptthemas, dessen Quintsprünge ebenso wie die fast penetrant wiederholten kleinen Sekunden an tschechische Volksmusik erinnern. Vivaldischer Konzertstil paart sich hier mit der Satztechnik der Triosonate. Auf die dramatischen Steigerungen dieses Allegro folgt einer der seligsten Bläsergesänge der Barockzeit. Das Fagott spielt gebrochene Dreiklängen in einem sanft punktierten Rhythmus. Darüber seufzen die beiden Oboen einander zu. Im Finale bleibt die erste Oboe über mehr als 50 Takte mit einem tschechischen Tanzthema voller harmonischer Überraschungen allein. Erst dann greift die zweite Oboe das Thema auf. Der Dialog wird immer komplizierter, bis im zweiten Teil ein neues Thema im Sinne einer Doppelfuge einsetzt. Beide Themen werden nun in kunstvollster Weise miteinander verschränkt und verarbeitet. Dabei klingt der Satz so beschwingt wie ein Konzertsatz von Vivaldi.

Sonata VI in c-Moll steht der 4. Sonate in nichts nach. Über einem gehenden Bass wechseln im Kopfsatz schier endlos lange Haltetöne der Oboen mit dichten Sechzehntel-Kontrapunkten ab. Gebieterisch beginnt das Fugenthema des zweiten Satzes mit einem Quintsprung abwärts, an den sich lebhafte Anapäst-Motive anschließen. Dem dritten Satz ist anzuhören, dass Zelenka beim Wiener Hofkapellmeister Johann Joseph Fux in die Lehre ging. Der strenge Stil Fuxschen Kontrapunkts inspirierte ihn zu einem Quartettsatz wie aus dem Kontrapunkt-Lehrbuch. Um nach soviel Kunst den Zyklus tänzerisch beschwingt zu schließen, stellte Zelenka ein Menuett ans Ende. Freilich hat dieser Satz mit den versöhnlichen, melodisch gefälligen Menuetten eines Bach nichts zu tun. Es ist ein bizarres Tanzfinale von mehr als 200 Takten.