Klaviertrio (1972/1975) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Isang Yun

Klaviertrio (1972/1975)

Trio für Violine, Violoncello und Klavier (1972/1975)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2138

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

„Für das europäische Publikum hat Musik selbstverständlich eine formale Struktur. Die asiatische Musik strömt, sie kommt aus sich selbst und bleibt sich immer gleich. Deshalb habe ich meine Musik als ‚Bewegtheit in der Unbewegtheit’ definiert. Wenn Sie asiatische Musik hören, so erklingt zwei, drei Stunden lang immer dasselbe. Erst wenn man genau beobachtet, stellt man fest, dass es nie genau dasselbe ist. Immer wird etwas differenziert, verändert.“

So schrieb der große Koreaner und Berliner Isang Yun über die Wurzeln seines musikalischen Verständnisses. In seiner Kammermusik erwartet westliche Zuhörer eine irritierend fremde Welt: lange, liegende Klänge in teils extremen Dissonanzen im Wechsel mit schrillen Entladungen, Klangfarben in hundert Schattierungen, kein erkennbarer Verlauf, sondern scheinbar formloses Strömen. Während in der europäischen Kunstmusik Streicher und Pianisten dem Ideal nachstreben, durch ihre Kantilenen den Gesang nachzuahmen, richtet sich ihr Hauptaugenmerk hier auf die Klangerzeugung und die Klangfarben, die sich vom Naturlaut und dem Material der Instrumente herleiten. Zugleich folgt die Musik anderen Vorstellungen von zeitlichem Verlauf, einem scheinbar freien Strömen.

Die extremen emotionalen Spannungen, die sich hinter dieser asiatisch getönten Kammermusik offenbaren, sind nur durch die Biographie des Komponisten zu erklären. Bereits im Zweiten Weltkrieg wurde er von den Japanern gefoltert, die seine Heimat besetzt hatten, doch auch später, lange nach dem „Kalten Krieg“, wurde er zum Opfer der politischen Blockbildungen. 1967 lebte er als scheinbar ungefährdeter und hoch geschätzter Komponist in West-Berlin, als er aus heiterem Himmel vom südkoreanischen Geheimdienst nach Seoul verschleppt und dort der Spionage für Nord-Korea angeklagt wurde. Im Gefängnis musste er erneut Folter ertragen, und nur die massive Intervention der westlichen Musikwelt konnte verhindern, dass die lebenslange Freiheitsstrafe, zu der er verurteilt worden war, auch vollstreckt wurde. Seit 1969 lebte Yun wieder in Berlin, wo er als eine der großen Leitfiguren für den Dialog zwischen der westlichen Avantgarde und der fernöstlichen Musik galt. 1971 erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit. Er lehrte in Hannover sowie 1970-1985 an der Berliner Hochschule der Künste. Kurze Zeit vor seinem Tod 1995 gastierte er in der Villa Musica in Mainz noch zu einem musikalischen Gesprächsabend.

Isang Yuns einziges Klaviertrio hatte eine bewegende Entstehungsgeschichte: Den ersten Teil komponierte Yun auf Anregung von Horst Göbel zum 70. Geburtstag seines Lehrers Boris Blacher; er wurde 1973 vom Göbel-Trio in Berlin uraufgeführt. Bereits zwei Jahre später starb Blacher, und Yun setzte sein Trio als Hommage an den Verstorbenen fort. In dieser Form wurde es 1976 in Mannheim vom Stuttgarter Klaviertrio uraufgeführt. Die beiden Teile haben unterschiedlichen Charakter: Der erste verharrt fast völlig im Piano, unterstrichen durch col legno und con sordino der Streicher. Der zweite beginnt mit einem schreitenden Pizzicato im Cello und steigert sich rasch zu intensiver Bewegung, klanglicher Härte (Bartók-Pizzicato) und Fortissimo.