Trio für Violine, Viola und Violoncello, op. 86
Werkverzeichnisnummer: 2101
1. Molto sostenuto
2. Vivace
3. Adagio
4. Allegro moderato
EGON WELLESZ gehörte zu den zahllosen Komponisten unseres Jahrhunderts, die vor den Nazis in die Emigration fliehen mußten – er floh nach England, wo er sich eine neue Existenz aufbaute.
Wellesz mußte 1938 seinen Lehrstuhl für Musikgeschichte an der Wiener Universität räumen, an dem er sich durch die Erforschung der byzantinischen Musik und barocker Meister wie Fux einen Namen gemacht hatte. Als Komponist war er Privatschüler Schönbergs, dessen erster Biograph er wurde, und ein enger Freund Anton von Weberns. Dennoch zeigen seine Werke keine doktrinäre Handhabung der Zwölftontechnik. „Es sind hervorragende und einfallsreiche Stücke in einem konservativen, etwas herben romantischen Idiom, in dem Wellesz, ohne Gebrauch von Zwölfton-Techniken zu machen, zwölftönige Themen verwendete, und zwar natürlicher und überzeugender, als die meisten Komponisten, die sich an einem solchen Kompromiß versuchten.“ (Colin Maison)
Das Streichtrio von 1962 ist ein Musterbeispiel für diesen Kompromiß. Seine Themen sind unüberhörbar von der Erfahrung der Zwölfton-Technik geprägt, werden aber in freier, expressiver Weise verarbeitet. Auffällig in den ersten drei Sätzen ist der Gebrauch des Fünfer-Taktes: Der erste Satz beginnt klanglich kompakt mit Doppelgriffen der Streicher im getragenen 5/4-Takt, dem im Mittelteil ein kontrapunktisches Spiel im 2/4-Takt gegenübersteht. Der zweite Satz ist ein Perpetuum mobile im reiz-vollen 5/8-Takt, der dritte ein getragenes Adagio, das zwischen 5/4 und 4/4 wechselt. Zum kontrapunktischen Dialog zwischen Viola und Violoncello tritt hier die Violine später hinzu. Klanglich fast abweisend und rhythmisch sperrig wirkt das knappe Finale, das den 18minütigen Zyklus nicht unbedingt organisch abschließt.