Kammersymphonie für 15 Solo-Instrumente, op. 9 (Fassung von Anton von Webern)
Werkverzeichnisnummer: 2078
Langsam – Sehr rasch – Sehr langsam – Schwungvoll – Hauptzeitmaß
2000
ARNOLD SCHÖNBERG Kammersinfonie Nr. 1, op. 9
„Und ich hätte gerne mit der Kammersymphonie Erfolg. Die ist mein Schmerzenskind: eine meiner allerbesten Sachen, und bis jetzt (wegen schlechter Aufführungen!!) noch recht unverstanden.“ Schönbergs Stoßseufzer von 1914, kurz vor Ausbruch des I. Weltkriegs an den russischen Dirigenten Siloti gerichtet, hat bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Obwohl ein Meilenstein der Moderne, ist seine 1. Kammersymphonie bis heute nur selten im Konzert zu hören.
Das liegt an der „großen Polyphonie“, wie Schönberg es nannte, dem überaus komplexen Zusammenspiel der 15 Soloinstrumente, die an der Grenze zwischen Sinfonik und Kammermusik agieren. Bei Aufführungen mit gewöhnlichen Orchestern war Schönberg peinlich darüm bemüht, „die Herren darauf aufmerksam zu machen, daß das Kammermusik ist“. Stets beanspruchte er ungewöhnlich viele Proben, und nur wenige namhafte Dirigenten, wie etwa Arthur Nickisch, unternahmen ohne Schönbergs Zutun eine Aufführung.
Als sich der 21jährige Hermann Scherchen 1914 an die Partitur wagte, kritisierte ihn Schönberg scharf für seine „viel zu schnellen“ Tempi. Die Äußerungen verraten etwas vom Ausdrucksbedürfnis und Formverständnis des Komponisten: „Zum Beispiel das Scherzo, 1. Teil, das ist mir um mehr als die Hälfte zu rasch… Die Hauptsache aber ist das Adagio: das spielen Sie ja fast Allegro!!! Gewiß soll es nicht triefend langsam sein, sondern innig bewegt, aber doch Adagio (ca. 50)!!! Dann der H-Dur-Teil des Adagios, viel zu rasch!! Der beginnt ruhig, beschaulich und seine Steigerung hat keinesfalls leidenschaftlich zu sein, sondern gesteigerte Innigkeit. Das ist merkwürdig: Leidenschaft, das können alle! Aber Innigkeit, die keusche, höhere Form der Gefühle, scheint den meisten Menschen versagt zu sein… Nun weiter: auch der Reprisenteil ist verhetzt. Alles wird gehudelt, keine Note ist noch deutlich. Benutzen Sie doch nur soviel Ausdruck, als in dem Stück liegt, und wollen Sie doch nicht immer mehr geben!“
Schönbergs Ermahnungen zeigen, wie klassisch sein Ausdrücksbedürfnis war und wie selbstverständlich er das einsätzige Werk als mehrsätziges begriff. Wie bei Schuberts Wanderer-Fantasie, Liszts h-Moll-Sonate und Schönbergs eigenen Frühwerken handelt es sich um einen einzigen großen Satz, in den vier rudimentäre Sinfoniesätze eingearbeitet sind: ein Sonatenallegro, ein Scherzo, ein Adagio und die Reprise des Sonatenallegros. Eine gute Aufführung vorausgesetzt, war der Komponist völlig von der Wirkung überzeugt. Noch 1947 bekannte er zur Kammersymphonie: „Das Verständnis für meine Musik leidet noch immer darunter, daß mich die Musiker nicht als einen normalen, urgewöhnlichen Komponisten ansehen, … sondern als einen modernen dissonanten Zwölftonexperimentierer. Ich aber wünsche nichts sehnlicher (wenn überhaupt), als daß man mich für eine bessere Art von Tschaikowsky hält – um Gotteswillen: ein bißchen besser, aber das ist auch alles. Höchstens noch, daß man meine Melodien kennt und nachpfeift.“ (kb)
ARNOLD SCHÖNBERG faßt die drei älteren Komponisten unseres Programms biographisch zusammen: Alle drei haben auf ihn entscheidenden Einfluß ausgeübt. Zemlinsky erteilte dem drei Jahre Jüngeren anfänglich Kompositionsunterricht, wurde sein Mitstreiter für die Neue Musik in Wien und 1901 sein Schwager. Strauss erkor sich der junge Schönberg zum musikalischen Idol, lange bevor sich die Wege der beiden politisch und ideologisch trennten. Das Erlebnis der Mahler’schen Sinfonik gehörte zu den prägenden Erfahrungen des frühen Schönberg.
Die kammermusikalischen Passagen in Mahlers Sinfonien und der oft kammermusikalische Orchestersatz von Brahms waren maßgebliche Vorbilder für Schönbergs Idee, gegen die Monumentalsinfonik der Jahrhundertwende eine Sinfonie zu setzen, die an der Grenze zur Kammermusik angesiedelt war. Er realisierte diese Vorstellung 1906 mit der Komposition der 1. Kammersinfonie, deren komplexes Zusammenspiel von 15 Soloinstrumenten er „große Polyphonie“ nannte. Bei Aufführungen mit gewöhnlichen Orchestern war Schönberg peinlich darum bemüht, „die Herren darauf aufmerksam zu machen, daß das Kammermusik ist“. Stets beanspruchte er ungewöhnlich viele Proben, und nur wenige namhafte Dirigenten, wie etwa Arthur Nickisch, unternahmen ohne Schönbergs Zutun eine Aufführung.
Die formale Anlage und der Ausdrucksgehalt der Kammersinfonie werden in den Anweisungen deutlich, die Schönberg dem 21jährigen Hermann Scherchen 1914 für ihre Einstudierung gab: „Zum Beispiel das Scherzo, 1. Teil, das ist mir um mehr als die Hälfte zu rasch… Dann der H-Dur-Teil des Adagios … Der beginnt ruhig, beschaulich und seine Steigerung hat keinesfalls leidenschaftlich zu sein, sondern gesteigerte Innigkeit. Das ist merkwürdig: Leidenschaft, das können alle! Aber Innigkeit, die keusche, höhere Form der Gefühle, scheint den meisten Menschen versagt zu sein… Nun weiter: auch der Reprisenteil ist verhetzt. Alles wird gehudelt, keine Note ist noch deutlich. Benutzen Sie doch nur soviel Ausdruck, als in dem Stück liegt, und wollen Sie doch nicht immer mehr geben!“ Schönbergs Ermahnungen zeigen, wie klassisch gebändigt sein Ausdrücksbedürfnis war und wie selbstverständlich er das einsätzige Werk als mehrsätziges begriff. Wie bei Franz Schuberts Wanderer-Fantasie, Franz Liszts h-Moll-Sonate und Schönbergs eigenen Frühwerken handelt es sich um einen einzigen großen Satz, in den vier rudimentäre Sinfoniesätze eingearbeitet sind: ein Sonaten-allegro, ein Scherzo, ein Adagio und die Reprise des Sonatenallegros. Die Komplexität, die die thematischen Prozesse in dieser Form mit sich brachten, waren Schönberg als solche kaum bewußt. Noch 1947 meinte er zur 1. Kammersymphonie: „Das Verständnis für meine Musik leidet noch immer darunter, daß mich die Musiker nicht als einen normalen, urgewöhnlichen Komponisten ansehen, … sondern als einen modernen dissonanten Zwölftonexperimentierer. Ich aber wünsche nichts sehnlicher (wenn überhaupt), als daß man mich für eine bessere Art von Tschaikowsky hält – um Gotteswillen: ein bißchen besser, aber das ist auch alles. Höchstens noch, daß man meine Melodien kennt und nachpfeift.“ In der Praxis war es vor allem das extrem schwierige Zusammenspiel, durch das der Kammersinfonie der Durchbruch versagt blieb: „Und ich hätte gerne mit der Kammersymphonie Erfolg. Die ist mein Schmerzenskind: eine meiner allerbesten Sachen, und bis jetzt (wegen schlechter Aufführungen!!) noch recht unverstanden.“
SCHÖNBERGS Stoßseufzer veranlaßte seinen Schüler Anton von Webern zu einer Bearbeitung des Werkes in Klavierquintettbesetzung. Aus der Kammer-Sinfonie wurde damit echte Kammer-Musik; das Werk wurde auf seine ästhetischen Wurzeln zurückgeführt. Den Anstoß dazu gab Schönberg selbst, dem vorschwebte, die Sinfonie für die Instrumentalbesetzung des Pierrot lunaire zu bearbeiten, um dadurch Aufführungen beider Werke in einem Konzert zu ermöglichen. Webern arbeitete diese Fassung Ende 1922 aus, und zwar in der alternativen Besetzung für 1. Violine, Flöte oder 2. Violine, Klarinette oder Bratsche, Violoncello und Klavier. Im Januar 1923 versuchte Webern, dieses Arrangement durch eine gründliche Überarbeitung den sehr detaillierten Vorstellungen seines Lehrers anzupassen. Die Version ist damit schon ein Dokument für einen weiteren Generationenwechsel: die Auseinandersetzung der zweiten Generation der Wiener Schule mit dem Werk ihres Gründers und Mentors.
2002
ARNOLD SCHÖNBERG
Kammersymphonie Nr. 1
Während die noch junge Sowjetunion 1932 den zweiten Fünfjahresplan verabschiedete, um optimistischer denn je in die sozialistische Zukunft zu blicken, machte sich ein Vierteljahrhundert zuvor in der 500 Jahre alten Habsburger-Monarchie Endzeitstimmung breit. Der Duft einer verwelkenden Kultur von höchster, nicht mehr zu steigernder Verfeinerung lag über der Musik der Wiener Jahrhundertwende, über Mahler, Zemlinsky und dem jungen Schönberg.
In diesem Zusammenhang war es für Schönberg ein Unterfangen von zentraler Bedeutung, sich vom hypertrophen Monumentalklang des Orchesters zu verabschieden und in der Polyphonie eines klein besetzten Ensembles nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Die kammermusikalischen Passagen in Mahlers Symphonien und der kammermusikalische Orchestersatz von Brahms wiesen den Weg. Schönberg realisierte seine Idee einer Symphonie an der Grenze zur Kammermusik 1906 mit der Komposition der 1. Kammersymphonie, deren komplexes Zusammenspiel von 15 Soloinstrumenten er „große Polyphonie“ nannte. Bei Aufführungen mit Orchester war er peinlich darum bemüht, „die Herren darauf aufmerksam zu machen, daß das Kammermusik ist“. Von hier bis zur Quintettbearbeitung durch seinen Schüler Webern war es nur ein Schritt. In dieser Fassung werden die Melodie-Instrumenten-Paare aus den beiden Trios unseres Programms (Flöte-Cello und Klarinette-Violine) mit dem Klavier zum Quintett vereint.
Schon die formale Anlage des Werkes verweist auf die Romantik und eine ihrer Lieblingsideen: die Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit. Wie Schubert in seiner Wanderer-Fantasie, Schumann in seiner d-Moll-Symphonie oder Liszt in seiner h-Moll-Klaviersonate hat Schönberg einen einzigen großen Sinfonieatz geschrieben, in den vier rudimentäre Sätze eingearbeitet sind: ein Sonatenallegro, ein Scherzo, ein Adagio und die Reprise des Sonatenallegros. Die Komplexität, die die thematischen Prozesse in dieser Form mit sich brachten, waren Schönberg als solche kaum bewusst. Noch 1947 meinte er zur 1. Kammersymphonie: „Das Verständnis für meine Musik leidet noch immer darunter, daß mich die Musiker nicht als einen normalen, urgewöhnlichen Komponisten ansehen, … sondern als einen modernen dissonanten Zwölftonexperimentierer. Ich aber wünsche nichts sehnlicher (wenn überhaupt), als daß man mich für eine bessere Art von Tschaikowsky hält – um Gotteswillen: ein bißchen besser, aber das ist auch alles. Höchstens noch, daß man meine Melodien kennt und nachpfeift.“ In der Praxis war es vor allem das extrem schwierige Zusammenspiel, wodurch der Kammersymphonie der Durchbruch versagt blieb: „Und ich hätte gerne mit der Kammersymphonie Erfolg. Die ist mein Schmerzenskind: eine meiner allerbesten Sachen, und bis jetzt (wegen schlechter Aufführungen!) noch recht unverstanden.“
Schönbergs Stoßseufzer veranlasste seinen Schüler Anton von Webern zu seiner Bearbeitung des Werkes für Quintett. Aus der Kammersymphonie wurde damit Kammermusik – das Werk wurde auf seine ästhetischen Wurzeln zurückgeführt. Den Anstoß dazu gab Schönberg selbst, dem vorschwebte, die Symphonie für die Instrumentalbesetzung des Pierrot lunaire zu bearbeiten, um dadurch Aufführungen beider Werke in einem Konzert zu ermöglichen. Webern arbeitete diese Fassung Ende 1922 aus, und zwar in der Besetzung für Violine und Flöte (oder 2. Violine), Cello und Klarinette (oder Bratsche) sowie Klavier. Im Januar 1923 passte er dieses Arrangement durch eine gründliche Überarbeitung den sehr detaillierten Vorstellungen seines Lehrers an.
Wie tief verwurzelt in der Romantik für Schönberg der Ausdrucksgehalt der Kammersymphonie in beiden Fassungen war, belegen seine Mahnungen an die Interpreten, wie etwa an den Dirigenten Hermann Scherchen: „Der H-Dur-Teil des Adagios … der beginnt ruhig, beschaulich und seine Steigerung hat keinesfalls leidenschaftlich zu sein, sondern gesteigerte Innigkeit. Das ist merkwürdig: Leidenschaft, das können alle! Aber Innigkeit, die keusche, höhere Form der Gefühle, scheint den meisten Menschen versagt zu sein.“ Wie in kaum einem zweiten Werk der frühen Moderne vermischen sich in der Kammersymphonie Züge des Neuen mit Spuren der Romantik.