Vier Stücke für Violine und Klavier, op. 7
Werkverzeichnisnummer: 2077
1. Sehr langsam
2. Rasch
3. Sehr langsam
4. Bewegt
Anton Weberns Vier Stücke op. 7 stammen aus seiner ersten, besonders produktiven Schaffensphase. In nur drei Jahren, von 1908 bis 1910, schrieb er seine ersten acht gedruckten Opera. In op. 7 zeichnen sich die Grundtendenzen seines Stiles schon deutlich ab: das Experimentieren mit dem Klang, die chromatische Verdichtung und die Knappheit der Formen. Die vier Stücke sind nur 9, 24, 14 und 15 Takte lang. Ihre Dynamik zeigt die für Webern charakteristischen Extremwerte, besonders im Piano. Es geht bis auf ein “kaum hörbar” zurück, was Weberns Schüler scherzhaft mit der imaginären Vortragsanweisung “pensato” (gedacht) belegten. Dem stehen krasse Fortissimoausbrüche mit bizarrer Melodik gegenüber. Die Stücke von 1910 sind noch nicht zwölftönig, aber schon stark chromatisch verdichtet. Themen werden nicht reprisenartig wiederholt, aber kurze Motive zu Ostinati zusammengefügt.
2018
„Sommerfrische“ ist ein Wort, dessen zauberhafte Untertöne man nur im Milieu der späten k. und k. Monarchie ermessen kann. Kein Österreicher von gesellschaftlichem oder künstlerischem Format, der sich damals nicht während der Sommermonate in eine der schönen Regionen des Alpenlandes zurückgezogen hätte: ins Salzkammergut oder an die Kärntner Seen, auf den Semmering in der Steiermark oder in die Badeorte überall im Land. Die großen Komponisten der Epoche von Brahms bis Mahler schufen in jenen „Sommerfrischen“ ihre schönsten Werke.
Auch Anton Webern hatte eine Art „Komponierhäusl“, wenn auch nicht am Ufer des Attersees wie Gustav Mahler, sondern in Kärnten: den Preglhof. Dort konnte er seiner Liebe zur Natur frönen und in aller Ruhe seine Werke entwerfen: „Webern hatte eine enge Bindung zu seiner österreichischen Heimat, speziell zu Kärnten. Er war ein begeisterter und naturverbundener Wanderer. Der im Familienbesitz befindliche Preglhof bei Bleiburg in Kärnten, an der Grenze zum heutigen Slowenien, war ihm ein vertrautes Urlaubsdomizil.“ (Peter Andraschke)
Im Juni 1910 komponierte er dort „einen Cyklus von 4 Stücken für Violine und Klavier“, wie er seinem Lehrer Arnold Schönberg schrieb. Die neuen Werke waren eine Art Befreiungsschlag nach der Fron eines mehrmonatigen Engagements als Operetten-Kapellmeister am kleinen Theater im böhmischen Kurbad Teplitz. Dort hatte Webern am Pult eines 22-Mann-Orchesters Operetten wie Leo Falls Geschiedene Frau oder Lehárs Der Graf von Luxemburg dirigiert. Freilich war es bei der Dollarprinzessin zum Streit mit einem Starsänger aus Berlin gekommen, und Webern hatte sein Engagement aus Wut hingeschmissen. Dadurch wurde der Sommer frei fürs Komponieren: „Oft betrübt’s mich, dass ich dort durch bin, aber ich bin doch froh, dass ich hier arbeiten und auf diesem Wege wieder weiter denken kann“, bekannte er gegenüber Schönberg.
Wenn Webern hier vom „Weiterdenken“ schrieb, so war damit eine bedeutsame Verdichtung seines Stils gemeint, die sich zuerst in den Violinstücken manifestierte: die Reduzierung auf äußerste Kürze und Verknappung der Gesten. „Die Stücke stellen das erste in einer Reihe von musikalischen Experimenten dar, in denen Webern den aphoristischen Stil bis ins Extrem entwickelt. Wenn seine Musik ganz allgemein schon jegliche Rhetorik vermeidet, dann repräsentieren die Werke dieser Periode bis hin zum Opus 11 die Verwirklichung seines Strebens nach der äußersten Konzentration in Substanz und Form.“ (Hans und Rosaleen Moldenhauer)
Die vier Stücke für Violine und Klavier Opus 7 waren das erste Werk, in dem sich der neue Stil niederschlug: „Das erste Stück ist nur 9 Takte lang, die anderen 24, 14 und 15 Takte. Das Werk stellt ein wahrhaftes Kaleidoskop geigerischer Effekte vor, sowohl was Expressivität wie auch Virtuosität betrifft. Große Intervallsprünge, häufige Tempowechsel und plötzliche Veränderungen der dynamischen Grade erfordern vom Spieler volle Beherrschung der Technik. Die Abfolge der Sätze sorgt für ein Maximum an Kontrasten: die langsamen, verhaltenen Stücke Nr. 1 und 3 alternieren mit den dramatischen, dynamisch explosiven Nummern 2 und 4. Die Motive sind komprimiert in die kürzest mögliche Gestalt. Manchmal übernehmen sogar Einzeltöne eine unabhängige, expressive Funktion.“ (Moldenhauer)
Erstaunlicherweise nahmen gleich drei prominente Wiener Geiger die so ungewöhnlichen Violinstücke in ihr Repertoire auf. Arnold Rosé, der Primarius des damals bekanntesten Streichquartetts der Stadt, musste zwar die Uraufführung absagen – sie wurde im April 1911 von Fritz Brunner gespielt –, holte die Aufführung aber 1912 nach. Nach dem Ersten Weltkrieg war es das Duo Rudolf Kolisch und Emanuel Steuermann, die Weberns Stücke häufig spielten, u. a. 1919 in einem Wiener Konzert zu Ehren von Maurice Ravel.