Streichtrio G-Dur, op. 9,1 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Streichtrio G-Dur, op. 9,1

Trio G-Dur für Violine, Viola und Violoncello, op. 9,1

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 209

Satzbezeichnungen

1. Adagio – Allegro con brio

2. Adagio, ma non tanto, e cantabile

3. Scherzo. Allegro

4. Presto

Erläuterungen

Als selbständige Gattung der Kammermusik hat das Streichtrio nicht die gleiche Geltung erreichen können wie Streichquartett oder Klaviertrio. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass alle drei Instrumente dauernd beschäftigt sind, um die Vollstimmigkeit eines vierstimmigen Satzes zu erreichen oder wenigstens zu suggerieren. In Beethovens Trios Opus 9, den neben Mozarts Es-Dur-Divertimento bedeutendsten Werken der Gattung, führt dieses dauernde Dialogisieren und klangliche Expandieren zu einer für die Spieler extrem fordernden Musik. Beethovens „Elan“, sein unbedingter Wille, an die Grenzen des Spielbaren zu gehen, wird auch hier, im kleinsten Genre der Streicherkammermusik deutlich.

2005
LUDWIG VAN BEETHOVEN: Streichtrios aus Opus 9

Im Frühwerk Ludwig van Beethovens nehmen Streichtrios einen prominenten Platz ein. Unter den Opera 1 bis 10 sind allein drei (op. 3, 8 und 9) dieser Gattung vorbehalten. Während das Es-Dur-Trio, op. 3, und die Serenade, op. 8, in der Nachfolge des österreichischen Divertimentos stehen, sprengen die drei Streichtrios des Opus 9 diesen traditionellen Gattungsrahmen. An ihnen wird in besonderer Weise deutlich, wie sehr Beethovens Jugendwerke eine Musik des Übergangs waren, nicht nur stilistisch zwischen 18. und 19. Jahrhundert, sondern auch soziologisch als Kammermusik, die die privaten Zirkel sprengte und dem Konzertsaal zustrebte.

Anders als Bach oder Mozart, die in einer fest gefügten städtischen bzw. ständischen Ordnung aufwuchsen, veröffentlichte Beethoven seine ersten Opera in der Epoche der Revolutionskriege, einer Zeit der Umwälzungen. Die Musikkultur verlagerte sich allmählich vom aristokratischen Salon in den öffentlichen Konzertsaal. Besonders für die Kammermusik bedeutete dies eine Ausweitung ihrer Formen und Klangmittel. An den drei Streichtrios seines Opus 9 ist dies deutlich abzulesen. Beethoven griff hier eine Gattung auf, der in der Frühklassik, etwa bei Joseph und Michael Haydn, ein unterhaltender Charakter an der Grenze zum Divertimento eigen war. Noch Mozart fühlte sich dieser Tradition verpflichtet, als er sein grandioses Es-Dur-Trio KV 563 „Divertimento“ nannte und in ihm die ältere Tradition zugleich überhöhte und ironisierte. Während Beethoven diesem Modell in seinen Trios Opus 3 und Opus 8 sozusagen den letzten Tribut entrichtete, schwebte ihm im Opus 9 gänzlich anderes vor.

Die drei Werke, 1796-98 komponiert und im Juli 1798 veröffentlicht, zählen zu den bedeutendsten Frühwerken des Komponisten, wie schon die Beethoven-Biographie von Thayer/Riemann vermerkt. „Keins von den bisherigen Werken kann sich an Schönheit und Neuheit der Erfindung, Geschmack der Ausführung, Behandlung der Instrumente usw. mit diesen Trios messen; sie überragen im ganzen sogar auch die bald nachher erschienenen Quartette (op. 18).“ Die Überzeugung, auf einem neuen Niveau des eigenen kompositorischen Vermögens angelangt zu sein, spricht sowohl aus der Musik der Trios – gleichsam in jedem Takt mit der schon dem jungen Beethoven eigenen Emphase – als auch aus der Widmung an den irischen Grafen von Browne.

Trotz ihrer Devotionsformeln kann diese Dedikation nicht verhehlen, dass der Komponist diese Stücke kaum mehr als aristokratische Unterhaltungsmusik zur Verherrlichung seines Mäzens verstand: „Wenn die Kunstprodukte, denen Ihr als Kenner die Ehre Eurer Protektion erweist, weniger nach der genialen Inspiration als vielmehr nach dem guten Willen, sein bestes zu geben, beurteilt würden; so hätte der Autor die ersehnte Genugtuung, dem ersten Mäzen seiner Muse das beste seiner Werke zu präsentieren.“ Der selbstbewussten Formulierung „das beste meiner Werke“ werden die Trios nicht nur durch die souveräne Stimmführung und die kontrapunktische Meisterschaft gerecht. Auch die quasi-sinfonische Viersätzigkeit und die geweiteten Dimensionen der einzelnen Sätze, der pathetische Tonfall und die in allen drei Stimmen auf professionelle Spieler ausgerichteten technischen Anforderungen weisen weit über den Kammermusik-Zirkel des Grafen Browne hinaus. Paul Bekker bemerkte in seiner Beethoven-Biographie zu Recht, dass aus diesen Trios „ein stark symphonisches Element“ spreche, ja geradezu Beethovens „Hang zur symphonischen gedanklichen Gestaltung“.
Übrigens gehörten Beethovens Streichtrios – er hat immerhin fünf Werke dieses Genres veröffentlicht – zu den frühesten seiner Opera, die auch international Beachtung fanden. Bereits 1792 nahm der kurfürstlich-kölnische Kaplan Abbé Dobbeler Noten des Streichtrios Opus 3 mit nach London. Von dort aus gelangten sie in einen Kreis von Musikliebhabern, die sich in Leicester daran delektierten – einer der frühesten Belege für eine Beethoven-Rezeption außerhalb Deutschlands. Die Streichtrios Opus 9 wurden in gleicher Weise von Musikzirkeln in England und Frankreich mit größter Begeisterung aufgegriffen – ihrer deutlich fortgeschritten Schwierigkeiten zum Trotz.

Trio G-Dur, op. 9,1

Das G-Dur-Trio, op. 9,1, löst den sinfonischen Anspruch des Opus gleich durch die langsame Einleitung ein. In kraftvollem Unisono, den Klang der drei Streichinstrumente zum imaginären Orchestertutti ausweitend, hebt das Werk an. In durchaus sinfonischer Weise wird das Hauptthema des Allegro aus dem letzten Sechzehntelschlenker des einleitenden Unisono abgeleitet und in den Motiven der Einleitung „herangelockt“. Die Skizzen belegen, dass Beethoven an diesem Übergang besonders lange gefeilt hat, um die Vorwegnahme des Allegro-Hauptthemas im Adagio möglichst subtil erscheinen zu lassen. Im Allegro con brio selbst treibt es und drängt es allenthalben, doch dieser nervöse Duktus wird von einem der griffigsten Seitenthemen des frühen Beethoven aufgefangen und ins Romantische gewendet. In seiner nervösen Spannung und dem Reichtum an motivischer Arbeit erinnert dieses Allegro an die Kopfsätze der Sinfonien Nr. 1 und 2. Die Zeitgenossen Beethovens folgten mit Hingabe jenen „mannigfaltigen Motiven, die er klar und mit überreicher Anmuth so lieblich zu verweben wusste“, wie es einer von ihnen beschrieb.

Das „Adagio, ma non tanto e cantabile“ in E-Dur ist ein Zeugnis für Beethovens neuartige, in weiten Bögen sich entfaltende Melodik. Im wiegenden Neunachtel-Duktus erhebt sich eine zunächst scheinbar suchende, dann immer freier atmende Melodie. „Nach einigen Anklängen und gleichsam hingeworfenen Figuren entschleierte der selbstschaffende Genius so nach und nach sein tiefempfundenes Seelengemälde,“ so beschrieb ein Zeitgenosse diese Manier des jungen Beethoven, nach floskelhafter Einleitung immer deutlicher, in den Empfindungen „bestimmter“ zu werden. „Nun begann er bis zur himmlischen Melodie hinzugleiten, jenen hohen Idealen, die man in seinen Werken häufig vorfindet.“ Für die Wiener Zuhörer war es überdeutlich, dass der Komponist dieser Musik sich in die Regionen des „in höchstem Grade Wunderbaren“ vorwagte.

Scherzo und Finale bestechen durch die Ökonomie der Mittel, elektrisieren durch ihre rhythmische Vitalität und begeistern durch die schiere Virtuosität des Streichersatzes. Der Dreiachtelauftakt des Scherzos, in mannigfaltigen Wendungen ständig präsent, gehört zu Beethovens genial-einfachen Scherzo-Einfällen. Formal deutet der Satz durch den verklingenden Trio-Schluss und die variierte Reprise des Scherzo-Hauptteils bereits die dynamischeren Scherzo-Formen des reifen Beethoven an. In der Urfassung enthielt dieses Scherzo zwei Trios, von denen Beethoven im Druck von 1798 aber nur eines verwendete. Auch das Finale scheint Züge des mittleren Beethoven vorwegzunehmen. Der Spannungsstau, der diesen Satz vom ersten bis zum letzten Takt förmlich unter Strom setzt, entsteht aus dem Wechsel zwischen dem nervösen Staccato des Hauptthemas ein, dem Trommelbass des Seitenthemas und den immer wieder „bremsenden“ Ausweichungen in mediantische Tonarten. Der Bratscher ist in diesem Satz der am meisten geforderte, muss er doch im Hauptthema ständig zwischen Geige und Cello die Waage halten – sozusagen das viel strapazierte Netz im Tennisspiel der beiden Außenstimmen. Nach Paul Bekker ist dieser Satz „Beethovens erstes Finale, das sich trotz heiterer Grundstimmung auf derselben künstlerischen Höhe hält wie die Vordersätze und durch den Schwung des Vortrags dem Werk sogar noch hinreißende Endsteigerung gibt.“

2002

LUDWIG VAN BEETHOVEN
Streichtrio G-Dur, op. 9,1

Im Frühwerk Beethovens nehmen Streichtrios einen prominenten Platz ein. Unter den Opera 1 bis 10 sind allein drei (op. 3, 8 und 9) dieser Gattung vorbehalten. Während das Es-Dur-Trio, op. 3, und die Serenade, op. 8, in der Nachfolge des österreichischen Divertimentos stehen, sprengen die drei Streichtrios des Opus 9 diesen traditionellen Gattungsrahmen. Sie zählen zu den bedeutendsten Frühwerken des Komponisten, wie schon die Beethoven-Biographie von Thayer/Riemann vermerkt: „Keins von den bisherigen Werken [Beethovens] kann sich an Schönheit und Neuheit der Erfindung, Geschmack der Ausführung, Behandlung der Instrumente usw. mit diesen Trios messen; sie überragen im ganzen sogar auch die bald nachher erschienenen Quartette [op. 18].“

Beethovens Widmung der Trios an den irischen Grafen von Browne kann trotz ihrer Devotionsformeln nicht verhehlen, dass er diese Stücke kaum mehr als aristokratische Unterhaltungsmusik zur Verherrlichung seines Mäzens verstand: „Wenn die Kunstprodukte, denen Ihr als Kenner die Ehre Eurer Protektion erweist, weniger nach der genialen Inspiration als vielmehr nach dem guten Willen, sein bestes zu geben, beurteilt würden; so hätte der Autor die ersehnte Genugtuung, dem ersten Mäzen seiner Muse das beste seiner Werke zu präsentieren.“ Der selbstbewussten Formulierung „das beste meiner Werke“ werden die Trios nicht nur durch die souveräne Stimmführung und die kontrapunktische Meisterschaft gerecht. Auch die quasi-sinfonische Viersätzigkeit und die geweiteten Dimensionen der einzelnen Sätze, der pathetische Ton und die in allen drei Stimmen auf professionelle Spieler ausgerichteten technischen Anforderungen weisen weit über den Kammermusik-Zirkel des Grafen Browne hinaus. Paul Bekker bemerkte in seiner Beethoven-Biographie zu Recht, dass aus diesen Trios „ein stark symphonisches Element“ spreche, ja geradezu Beethovens „Hang zur symphonischen gedanklichen Gestaltung“.

Das G-Dur-Trio, op. 9, 1, löst diesen sinfonischen Anspruch gleich durch die langsame Einleitung ein. Ebenso wie das folgende Allegro scheint sie die entsprechenden Abschnitte der ersten beiden Sinfonien vorwegzunehmen, wobei Beethoven an der Einleitung, wie die Skizzen belegen, besonders lange gefeilt hat, um die Vorwegnahme des Allegro-Hauptthemas möglichst subtil zu gestalten.

Das Adagio in E-Dur ist ein Zeugnis für Beethovens neuartige, in weiten Bögen sich entfaltende Melodik, während Scherzo und Finale durch die Ökonomie der Mittel und den virtuosen Streichersatz bestechen. Formal deutet das Scherzo durch den verklingenden Trio-Schluss und die variierte Reprise des Scherzo-Hauptteils bereits die dynamischeren Scherzo-Formen des reifen Beethoven an. Auch das Finale scheint Züge von dessen mittlerer Periode anzudeuten. Nach Paul Bekker war es „Beethovens erstes Finale, das sich trotz heiterer Grundstimmung auf derselben künstlerischen Höhe hält wie die Vordersätze und durch den Schwung des Vortrags dem Werk sogar noch hinreißende Endsteigerung gibt.“