Duo Nr. 2 für Violine und Violoncello, “Choros” (Paris 1929)
Werkverzeichnisnummer: 2001
1. Moderé
2. Lent – Animé – Lent
Auf jenen schicken Soiréen „alla brasilienne“, die er für die Pariser Haute-Volé in den Zwanziger Jahren gab, erzählte Heitor Villa-Lobos eine seiner vielen Geschichten besonders gerne: wie er nämlich bei einer seiner Forschungsreisen auf den Spuren indianischer Musik am Amazonas in die Fänge von Kannibalen geraten sei. Diese waren schon drauf und dran, ihn zu verspeisen, verschonten ihn aber, weil er ihnen auf seinem Cello so wundervolle Musik von Bach vorspielte.
Es war, wie gesagt, nur eine von vielen Abenteuergeschichten, die der Vater der brasilianischen Musik zu erzählen wusste. 1887 in Rio de Janeiro geboren, erlernte er auf einer Viola das Cellospiel, die Gitarre während zahlloser gemeinsamer Stunden mit den Straßenmusikanten von Rio, deren Gesellschaft er seiner Bestimmung zum Mediziner vorzog. Nach einem vergeblichen Versuch, in Rio Musiktheorie zu studieren, verdiente er sich sein Geld als Cellist in Cafés und Kinos und blieb kompositorisch Autodidakt. Die zwanziger Jahre verbrachte er in Paris, in der großen Zeit eines Strawinsky, Poulenc, Prokofieff, und dort, an der Seine, gab er seinem Schaffen den internationalen Anstrich. 1930 in seine Heimat zurück gekehrt, bereitete er den Boden für ein brasilianisches Musikleben nach europäischem Zuschnitt, tat dies aber im Auftrag einer politisch sehr weit rechts stehenden Regierung.
Je nach Art der Zählung hat Villa-Lobos 800 bis 2000 Werke in allen Genres geschrieben. Die Werklisten vermerken 4 Opern, 6 Ballette, 11 Symphonien, 17 Streichquartette etc. etc. Am erfolgreichsten wurden zwei dezidiert brasilianische Zyklen, deren Werke jeweils völlig unterschiedlich besetzt sind, aber einer gemeinsamen Idee folgen: die „Bachianas Brasileiras“ und die „Choros“. In Ersteren schuf er seine Synthese aus Bach und Brasilien, in Letzteren eine Huldigung an die Straßenmusiker von Rio, mit denen er seine Jugend verbracht hatte. „Die große Stärke seiner Musik ist ihre Spontaneität… Diese Frische kann den gelehrtesten Hörer wie den naivsten überzeugen, sie bringt ihre Wirkung durch Farbe, rhythmische Energie und die pure Schönheit ihrer Melodien hervor, aber vor allem durch ihre magischen Klangfarben, die selbst in Chor- und Kammermusik den Eindruck orchestraler Brillanz erwecken.“ (Corrêa de Azevedo)
In den „Bachianas Brasileiras“ hat Villa-Lobos seiner Verehrung für die Musik Johann Sebastian Bachs Ausdruck verliehen. Die Melodien Brasiliens mit den Formen des Thomaskantors zu verbinden, war für ihn mehr als ein kapriziöser Einfall. Er hatte zwischen beiden Musikstilen, so weit sie auch geographisch wie historisch auseinander liegen mochten, strukturelle Gemeinsamkeiten entdeckt. Diese Erkenntnisse hatte er gleichsam im „Modellversuch“ bei den Straßenmusikern Brasiliens erprobt und festgestellt, dass für sie die Musik Bachs eine ganz natürliche, unkomplizierte Angelegenheit war.
Ungezwungen, wie brasilianische Straßenmusiker beim Improvisieren, gebärden sich die beiden Solisten in dem Streicherduo Deux Chorôs, das Villa-Lobos 1929 in Paris komponiert hat. Der erste Satz im moderaten Tempo wird von den kraftvollen Triolen und Doppelgriffen des Cellos bestimmt, die später in bizarre Pizzicati mit Glissando übergehen. Über diesem robusten Klanggrund spielt die Violine eine brasilianische Melodie, reich ornamentiert und rhythmisch biegsam wie im Samba. Am Ende des Satzes wandert die Melodie ins Cello, während die Geige in vollgriffigen Pizzicati den Klang der Gitarre imitiert.
Der zweite Satz beginnt und schließt langsam feierlich, mit einem ausdrucksvollen Thema der beiden Streicher in vollen Akkorden. Im schnellen Mittelteil trumpft das Cello mit einer Sechzehntelkaskade auf, die von der Geige sofort aufgegriffen wird – ein virtuoser Schlagabtausch. Auch hier hat Villa-Lobos mit neuen Klangeffekten im Pizzicato und Flageolett experimentiert.