Quartett Nr. 3 für zwei Violinen, Viola und Violoncello (1995)
Werkverzeichnisnummer: 1990
1. Moderato
2. (ohne Tempobez.)
3. Adagio
4. Moderato – Allegro
Peteris Vasks, geboren am 16.April 1946 in der Provinzstadt Aizpute im Westen Lettlands. Als Sohn eines Geistlichen erhielt er seine ersten, bleibenden musikalischen Eindrücke durch Kirchenmusik und durch seine Mutter, die zu Hause viel und gut sang. Im Alter von acht Jahren begann er, das Violinspiel in der örtlichen Musikschule zu erlernen und unternahm heimlich erste Kompositionsversuche. Ungeachtet des religiösen Milieus der Familie schrieb er 1956 sein erstes Chorlied auf einen rebellischen,revolutionär-demokratischen Text von Janis Rainis.
1959-64 erhielt Vasks Kontrabaßunterricht in der Musikfachschule in Riga und arbeitete 1963-66 im Orchester der Nationaloper Lettlands. Die Aufnahme in das Staatliche Konservatorium Lettlands wurde ihm 1964 wegen des väterlichen Berufs verweigert. Diese Erfahrung erzeugte in dem jungen Musiker ein reserviertes Verhalten den offiziellen Kreisen gegenüber; er sah keine Möglichkeit, mit ihnen konform zu gehen. Trotzdem komponierte er weiterhin in verschiedenen Genres (einschließlich eines Opernversuchs), zeigte seine Werke aber den Kompositionslehrern nicht. Das Bewußtsein des Outsiders veranlaßte Vasks, einen Weg außerhalb Lettlands zu suchen: 1964-69 studierte er Kontrabaß am Staatlichen Konservatorium in Litauen. In Vilnius spielte er 1966-69 Kontrabaß im Nationalen Symphonischen Orchester Litauens, danach 1969-70 wieder in Riga im Kammerorchester der Philharmonie Lettlands und 1971-73 im Nationalen Symphonischen Orchester Lettlands.
1973-78 – Vasks hatte bereits eine Familie zu versorgen – studierte er noch Komposition bei Valentins Utkins am Staatlichen Konservatorium Lettlands. Zu dieser Entscheidung hatte ihn der Kontakt mit der polnischen Avantgarde in Vilnius motiviert. – In den 70er-Jahren erregte Vasks Kammermusik (z. B. Gramata [Das Buch] für Violoncello solo, 1978) im lettischen Musikleben Aufmerksamkeit, doch auch als ein bekannter Komponist weigerte er sich, offizielle Posten einzunehmen oder Aufträge anzunehmen, die zu einem Kompromiß mit der of fiziellen Ideologie geführt hätten. Seine Energie widmete er dem Komponieren, nebenbei verdiente er Geld als Leiter von Volkstanzkapellen sowie durch Kurse für solche Leiter. Er unterrichtete auch musiktheoretische Fächer in den Musikschulen im Rigaer Bezirk. Seit 1989 leitet er eine Kompositionsklasse an der Musikfachschule »Emils Darzins«. Seit den 80er-Jahren ist Vasks auch international einer der bekanntesten Komponisten Lettlands; er erhält relativ viele Kompositionsaufträge aus dem Ausland, und seine Werke wurden bisher in fast allen europäischen Ländern sowie in den USA und in Kanada gespielt.
Als Vasks debütierte, orientierte er sich stilistisch an den „Klassikern“ des 20. Jahrhunderts. Bartóks Vitalismus und Schostakowitschs intellektualisierte Lyrik verband er mit der neobarocken Form in seiner Partita für Violoncello und Klavier (1974). Doch nie hat sich Vasks dem musikalischen Historismus verschrieben. Er verzichtet zwar nicht auf die semantischen Ausdrucksmodelle der Vergangenheit, aber er macht sie zu seinen eigenen und schließt sie in eine Iyrische Konzeption ein. In dieser Hinsicht ist seine Musik immer die Stimme des Autors.
Den Kreis der semantischen Modelle erweiterte er durch die Verfahren der „Klangkomposition“, des Impressionismus und sogar der Romantik in den Werken In memoriam für zwei oder vier Klaviere (1977) und Maza nakts muzika [Kleine Nachtmusik] für Klavier (1978), doch nahm in seiner Dramaturgie dann das Prinzip der antiromantischen Montage des Materials zu. Meditatives und Vogelsymbolik gibt es in Muzika aizlidojusajiem putniem [Musik der vertriebenen Vögel] für Bläserquintett (1977), in Ainava ar putniem [Landschaft mit Vögeln] für Flöte solo (1980) oder in Rudens klaviermuzika [Herbstliche Klaviermusik] (1981). Vasks vermeidet hier die romantischen Naturklischees und schafft ein feines Gleichgewicht zwischen der Wiedergabe der Vogelstimmen durch die Timbres der Instrumente und ihrer musikalischen Überformung und Poetisierung.
Vasks folgte dabei dem Beispiel des US-Amerikaners George Crumb. Wichtig war die Aneignung der „Klangkomposition“ und der Minimal Music in Gramata [Das Buch] für Violoncello solo (1978), in Cantabile per archi (1979) und in Balta ainava [Weiße Landschaft] für Klavier (1980).
Ungeachtet der ausgewogenen, ruhigen und oft elegischen Stimmung von Vasks‘ Musik ist darin immer der unversöhnliche Gegensatz zwischen negativen Emotionen, die sich mit den dem Menschen feindlichen Kräften assoziieren einerseits und dem zarten lyrischen Ausdruck andererseits akzentuiert. Dieser krasse Gegensatz von zwei Ausdruckssphären läßt stets die Anwesenheit des ethischen Imperativs in Vasks‘ Musik fühlen – das ist ihre wichtigste inhaltliche Besonderheit. Es zeigen dies schon die Titel: Vestjums [Botschaft] für Orchester (1982), Cantus ad pacem für Orgel solo (1984), Episodi e canto perpetuo für Klaviertrio (1985), Balsis [Stimmen], Sinfonie für Kammerorchester (1991). In seinem Vokalwerk bevorzugt Vasks das Chorlied. Auch hier dominiert das Epische, so daß fast jedes, auch ein kleines Werk Vasks‘, als Fragment eines Epos aufgefaßt werden kann.“ (Arnolds Klotins, in: Komponisten der Gegenwart)
Zu seinem 3. Streichquartett gibt Peteris Vasks vor der Uraufführung eine Einführung im Gespräch mit Klaus Arp, dem künstlerischen Leiter der Villa Musica. Auf einen Einführungstext zu dem Werk hat er darum verzichtet. Es ist in traditioneller viersätziger Form geschrieben (halbschneller Kopfsatz, scherzoartiger zweiter Satz, Adagio und schnelles Finale mit langsamerer Einleitung).