Klaviertrio D-Dur, op.70,1 ("Geistertrio") | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Klaviertrio D-Dur, op.70,1 ("Geistertrio")

Trio D-Dur für Violine, Violoncello und Klavier, op. 70,1 (“Geistertrio”)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 203

Satzbezeichnungen

1. Allegro vivace e con brio

2. Largo assai ed espressivo

3. Presto

Erläuterungen

“Denkt Euch eine sehr hübsche, kleine, feine 25jährige Frau, die im 15. Jahre verheiratet wurde, gleich vom ersten Wochenbett ein unheilbares Übel behielt, seit den 10 Jahren nicht zwei, drei Monate außer dem Bette hat sein können, dabei doch drei gesunde liebe Kinder geboren hat, die wie die Kletten an ihr hängen; der allein der Genuß der Musik blieb, die selbst Beethovensche Sachen recht brav spielt, und mit noch immer dick geschwollenen Füßen von einem Fortepiano zum andern hinkt, dabei doch so heiter, so freundlich und gut.” So beschrieb der Berliner Komponist und Publizist Johann Friedrich Reichardt die ungarische Gräfin Marie Erdödy, der Beethoven seine beiden Klaviertrios Opus 70 widmete.

Im Winter 1808/09 stellte Beethoven die beiden neuen Werke im Hause der Gräfin, wo er damals wohnte, der Öffentlichkeit vor. Reichhardt hörte sie am Silvestertag 1808 mit dem Komponisten selbst am Flügel und geriet über die Musik ins Schwärmen. Reichhardts Äußerung ist nur ein Beleg dafür, wie sehr Beethovens Werke jener Zeit – es waren neben den beiden Trios die 5. und 6. Symphonie, die Coriolan-Ouvertüre und wenig später das 5. Klavierkonzert – bei den Musikfreunden Wiens auf Zustimmung, ja Begeisterung stießen. Dennoch blieb das Verhältnis des Komponisten zu seiner Wiener Umgebung gespannt. Nur wenige Wochen nach der glanzvollen Uraufführung der Trios wollte sie Beethoven nicht mehr der Gräfin Erdödy, sondern Erzherzog Rudolph widmen, denn in der Zwischenzeit war es zu einer fürchterlichen Auseinandersetzung mit seiner Gastgeberin gekommen. Die Gräfin hatte gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Joseph Brauxle Beethovens Diener bestochen – für sexuelle Gefälligkeiten, wie der Komponist vermutete, der ihr Haus sofort verließ, während die Gräfin beteuerte, sie habe den Diener bezahlt, um seinen Herrn an sich zu binden. Wie auch Reichardt bemerkte, war es das größte Problem von Beethovens Mäzenen, “dem zarten, reizbaren und mißtrauischen Künstler die Mittel zur Annehmlichkeit des Lebens so anzubringen, daß er sie gerne empfänge und auch seine Künstlerbefriedigung darin fände.”

Neben Reichardt hat noch ein zweiter prominenter Zeitgenosse die Trios op. 70 gewürdigt: E. T. A. Hoffmann, der ihnen eine ausführliche Kritik in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung widmete. Nach Hoffmann offenbart sich gleich im Hauptthema des ersten Satzes “schon ganz der Character des Trios, das weniger düster als manche andere Instrumental-Compositionen Beethovens gehalten, ein frohes, stolzes Bewusstseyn eigener Kraft und Fülle ausspricht … Umso zweckmäßiger war es, den im ganzen Stück vorherrschenden Gedanken in vier Octaven unisono vortragen zu lassen; er prägt sich dem Zuhörer fest und bestimmt ein, und dieser verliert ihn in den wunderlichsten Krmmungen und Wendungen, wie einen silberhellen Strom, nicht mehr aus dem Auge.” In der Tat verarbeitet der ganze erste Satz in kaum abreißender Dichte des Hauptthema auf die unterschiedlichste Art und Weise.

Den populären Beinamen “Geistertrio”, der dem Charakter des Anfangs zu widersprechen scheint, verdankt das Trio dem langsamen Mittelsatz und einer Bemerkung des Beethoven-Schülers Carl Czerny: “Der Character dieses, sehr langsam vorzutragenden Largo ist geisterhaft schauerlich, gleich einer Erscheinung aus der Unterwelt. Nicht unpassend könnte man sich dabei die erste Erscheinung des Geist’s im Hamlet denken.” E.T.A.Hoffmann hörte aus dem Satz den “Charakter einer sanften, den Gemüth wohltuenden Wehmuth” heraus. Zum Eindruck des Geisterhaften trägt der Klang bei: Das Hauptthema, das sich wie ein melancholischer Gesang über den ganzen Satz legt, wird vom Klavier mit schnellen Sextolen leggiermente begleitet, woraus nach Hoffmann “ein Säuseln”, ein schattenhafter Klang entsteht. Verbunden mit den düsteren Akkordballungen und dem seltsam verhangenen Duktus der Themen wirkt der ganze Satz in der Tat wie ein gespenstisch-fahles Bild. Es gipfelt in den düsteren Klängen der Coda, wo die Sextolen in den Klavierbass wie in eine Gruft hinabzusteigen scheinen.

“Wie der Sturmwind die Wolken verjagt” (Hoffmann), so verdrängt das Finale die düstere Stimmung des Largo. Es kehrt zur Stimmung und zur kontrapunktischen Verarbeitungstechnik des Kopfsatzes zurück.

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1808, im Jahr der “Pastorale”, schrieb Beethoven seine beiden Klaviertrios op. 70. Mit ihnen befreite er die Gattung von dem unterhaltenden Charakter, den sie noch bei Mozart und Haydn gehabt hatte, und machte sie zu einer der musikalischen Hauptformen des 19. Jahrhunderts.
Dem D-Dur-Trio, op. 70, 1, gab er noch die traditionellen drei Sätze, bevor er die Gattung zur Viersätzigkeit erweiterte. Seinen populären Beinamen “Geistertrio” verdankt es den geisterhaften Tremoloeffekten und überraschenden dynamischen Kontrasten seines langsamen Satzes; doch steht der Name allzu sehr im Widerspruch zur Haltung der schnellen Ecksätze. Der erste, Allegro vivace e con brio, lebt vom Kräftespiel zweier Motive, die gleich zu Beginn exponiert werden: ein stürmischer Unisono-Anlauf und eine gesangliche Phrase des Cellos. Sie werden in der Durchführung zunächst nacheinander, dann gleichzeitig verarbeitet. Aus ihrem Gegeneinander entsteht nicht nur die kontrapunktische Dichte des Satzes, sondern auch seine ungeheure rhythmische Energie.
Im Largo assai ed espressivo treten die Streicher zunächst mit fahlem Unisono einem charaktervollen Motiv des Klaviers gegenüber, das den ganzen Satz beherrscht. Allmählich löst sich der Klang in die beschriebenen “geisterhaften” Klangfarben, extreme Lagen und Dynamikwerte auf. Das Presto-Finale wird dagegen von Gesanglichkeit und Virtuosität beherrscht – mit extravaganten harmonischen Wendungen schon im Thema.

2003
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Trio D-Dur, op. 70,1

“Denkt Euch eine sehr hübsche, kleine, feine 25jährige Frau, die im 15. Jahre verheiratet wurde, gleich vom ersten Wochenbett ein unheilbares Übel behielt, seit den 10 Jahren nicht zwei, drei Monate außer dem Bette hat sein können, dabei doch drei gesunde liebe Kinder geboren hat, die wie die Kletten an ihr hängen; der allein der Genuß der Musik blieb, die selbst Beethovensche Sachen recht brav spielt, und mit noch immer dick geschwollenen Füßen von einem Fortepiano zum andern hinkt, dabei doch so heiter, so freundlich und gut.” So beschrieb der Berliner Komponist und Publizist Johann Friedrich Reichardt die ungarische Gräfin Marie Erdödy, der Beethoven seine beiden Klaviertrios Opus 70 widmete.

Im Winter 1808/09 stellte Beethoven die beiden neuen Werke im Hause der Gräfin, wo er damals wohnte, der Öffentlichkeit vor. Reichhardt hörte sie am Silvestertag 1808 mit dem Komponisten selbst am Flügel und geriet über die Musik ins Schwärmen. Reichhardts Äußerung ist einer von vielen Belegen dafür, wie sehr Beethovens Werke jener Zeit – es waren neben den beiden Trios die 5. und 6. Symphonie, die Coriolan-Ouvertüre und das 4. Klavierkonzert – bei den Musikfreunden Wiens auf Zustimmung, ja Begeisterung stießen. Dennoch blieb das Verhältnis des Komponisten zu seiner Wiener Umgebung gespannt. Nur wenige Wochen nach der glanzvollen Uraufführung der Trios wollte sie Beethoven nicht mehr der Gräfin Erdödy, sondern Erzherzog Rudolph widmen, denn in der Zwischenzeit war es zu einer fürchterlichen Auseinandersetzung mit seiner Gastgeberin gekommen. Die Gräfin hatte gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Joseph Brauxle Beethovens Diener bestochen – für sexuelle Gefälligkeiten, wie der Komponist vermutete, der ihr Haus sofort verließ, während die Gräfin beteuerte, sie habe den Diener bezahlt, um seinen Herrn an sich zu binden. Wie auch Reichardt bemerkte, war es das größte Problem von Beethovens Mäzenen, “dem zarten, reizbaren und mißtrauischen Künstler die Mittel zur Annehmlichkeit des Lebens so anzubringen, daß er sie gerne empfänge und auch seine Künstlerbefriedigung darin fände.”

Neben Reichardt hat noch ein zweiter prominenter Kritiker die Trios op. 70 gewürdigt: E. T. A. Hoffmann, der ihnen eine ausführliche Kritik in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung widmete. Im D-Dur-Trio offenbare sich gleich im Hauptthema des ersten Satzes “schon ganz der Character des Trios, das weniger düster als manche andere Instrumental-Compositionen Beethovens gehalten, ein frohes, stolzes Bewusstseyn eigener Kraft und Fülle ausspricht … Umso zweckmäßiger war es, den im ganzen Stück vorherrschenden Gedanken in vier Octaven unisono vortragen zu lassen; er prägt sich dem Zuhörer fest und bestimmt ein, und dieser verliert ihn in den wunderlichsten Krümmungen und Wendungen, wie einen silberhellen Strom, nicht mehr aus dem Auge.” In der Tat verarbeitet der ganze erste Satz in kaum abreißender Dichte des Hauptthema auf die unterschiedlichste Art und Weise.

Den populären Beinamen “Geistertrio”, der dem Charakter des Anfangs zu widersprechen scheint, verdankt das Trio dem langsamen Mittelsatz und einer Bemerkung des Beethoven-Schülers Carl Czerny: “Der Character dieses, sehr langsam vorzutragenden Largo ist geisterhaft schauerlich, gleich einer Erscheinung aus der Unterwelt. Nicht unpassend könnte man sich dabei die erste Erscheinung des Geist’s im Hamlet denken.” E.T.A. Hoffmann hörte aus dem Satz den “Charakter einer sanften, den Gemüth wohltuenden Wehmuth” heraus. Zum Eindruck des Geisterhaften trägt der Klang bei: Das Hauptthema, das sich wie ein melancholischer Gesang über den ganzen Satz legt, wird vom Klavier mit schnellen Sextolen leggiermente begleitet, woraus nach Hoffmann “ein Säuseln”, ein schattenhafter Klang entsteht. Verbunden mit den düsteren Akkordballungen und dem seltsam verhangenen Duktus der Themen wirkt der ganze Satz wie ein gespenstisches Bild. Es gipfelt in den düsteren Klängen der Coda, wo die Sextolen in den Klavierbass wie in eine Gruft hinabzusteigen scheinen.

“Wie der Sturmwind die Wolken verjagt” (Hoffmann), so verdrängt das Finale die düstere Stimmung des Largo. Es kehrt zur tatenfrohen Gemütslage und zur kontrapunktischen Verarbeitungstechnik des Kopfsatzes zurück.