Serenade C-Dur für Streicher, op. 48
Werkverzeichnisnummer: 1965
1. Andante non troppo – Allegro moderato
2. Walzer. Moderato. Tempo di Valse
3. Elegie. Larghetto elegiaco
4. Finale (Tema Russo) Andante – Allegro con spirito
2018:
„Wie freue ich mich, dass Mozart seinen Reiz auf mich nicht im Mindesten eingebüßt hat.“ So schrieb Pjotr I. Tschaikowsky aus seiner Sommerfrische in Kamenka 1880 an seine Gönnerin Nadeshda von Meck. Den September dieses Jahres nutzte er, um sich von seiner eigenen Musik „auszuruhen“, was beim Studium Mozartscher Partituren am leichtesten fiel. Am Ende des Sommers aber hatte er – statt eines Streichquintetts nach Mozarts Vorbild, wie ursprünglich geplant – seine Serenade für Streicher vollendet, eine einzige glühende Huldigung an den Genius Mozarts.
„Sie glauben gar nicht, liebe Freundin, welche unvergleichliche Freude ich empfinde, wenn ich mich in seine Musik vertiefe. Sie lässt sich keineswegs mit der fast quälenden Begeisterung vergleichen, die die Musik Beethovens, Schumanns und Chopins – vor allem Beethovens – in mir auslöst. Diese Musik begeistert und erregt mich, sie versetzt mich in Unruhe, aber sie liebkost nicht, sie beruhigt nicht wie Mozarts Musik. Die Fähigkeit, mich für Mozart zu begeistern, verdanke ich wohl der Tatsache, dass ich bis zum 17. Lebensjahr wenig Musik kannte und erst durch eine Aufführung des Don Giovanni das Verständnis und die Liebe in mir geweckt wurden. Menschen meiner Generation wurden meist schon als Kinder mit der Musik vertraut, lernten Mozart erst nach Chopin kennen, in dessen Musik sich Byronsche Enttäuschung und Verzweiflung so stark widerspiegeln. Zu meinem Glück bin ich in einer wenig musikalischen Familie aufgewachsen und deshalb in meiner Kindheit nicht mit dem Gift durchtränkt worden, das die Musik von Beethovens Nachfolgern kennzeichnet. Und dasselbe Schicksal führte mich bereits im Jünglingsalter der Musik Mozarts zu, und durch sie entdeckte ich ungeahnte Weiten musikalischer Schönheit. Solche Jugendeindrücke sind für das ganze Leben entscheidend. Wissen Sie, dass ich mich jünger und munterer, beinah als Jüngling fühle, wenn ich Mozart spiele!“
Aus diesem Mozartspiel heraus entstand im Sommer 1880 zügig die viersätzige Serenade, mit der Tschaikowsky nach eigenem Zeugnis seiner „Mozart-Verehrung Tribut zollen“ wollte. Dennoch schuf er ein tief romantisches Werk voll echten, unverstellten Gefühls, nicht etwa eine der damals modischen Spielereien „im klassischen Stil“. Verglichen etwa mit der ersten Orchesterserenade von Brahms finden sich hier kaum Anklänge an Mozart oder Haydn. Entsprechend stolz schrieb Tschaikowsky im Oktober 1880 an Frau von Meck: „Die Serenade habe ich aus innerem Antrieb komponiert. Sie ist vom Gefühl erwärmt und, wie ich hoffe, nicht ohne künstlerische Vorzüge. Wie stets habe ich an den Stellen, die mir am besten gelangen, an Sie gedacht, und ich freute mich bei dem Gedanken, dass sie wohl dieselben Gefühle in ihnen wecken würden, von denen ich erfüllt war.“
Wie sehr die Serenade „Gefühlsmusik“ ist, macht schon der Anfang deutlich: Die Streicher spielen im kraftvollen Forte und mit maximaler Klangfülle ein pathetisches Thema in a-Moll, das als langsame Einleitung dient. Erst mit dem Hauptthema des folgenden Allegro wird die Bewegung tänzerisch schwungvoll, der Charakter serenadenhaft leicht, und vom Dur geprägt. Dies gilt besonders für das fröhliche zweite Thema in G-Dur mit seinen ständigen repetierten Sechzehnteln. Das Allegro ist In forma di sonatina geschrieben, also ohne Durchführung nach Art einer klassischen Sonatine. Deshalb werden die beiden Themen im zweiten Durchlauf schlicht wiederholt und von der feierlichen Reprise der langsamen Einleitung gekrönt. Der Satz schließt im dreifachen Forte.
Der zweite Satz ist einer jener wunderschönen Walzer, mit denen der Russe Tschaikowsky dem Walzerkönig Johann Strauß spät, aber überaus wirkungsvoll Konkurrenz machte. Seine G-Dur-Melodie, „süß und sehr graziös“ vorzutragen, bleibt in der Schwebe zwischen Sentimentalität und Eleganz. Unwillkürlich denkt man an den „Blumenwalzer“ aus dem Nussknacker oder an den zweiten Satz der Sechsten Symphonie, der Pathétique.
Der langsame Satz wird seinem Titel Elegie vollauf gerecht, handelt es sich doch um eine Totenklage, in die als Erinnerung ein Liebesduett eingeschaltet ist. Der Satz beginnt mit einem akkordischen Thema in der Art des letzten Satzes der Pathétique. Hier ist es eine Art orthodoxer Chorgesang im äolischen Kirchenton auf h. Darauf folgt eine weite, weiche Kantilene der ersten Geigen zur gitarrenartigen Begleitung gezupfter Saiten. Bratschen und Celli greifen den Gesang auf, woraus sich ein glühendes Liebesduett entwickelt. Es wird ins Elegische gesteigert und zu einem typischen Tschaikowsky-Höhepunkt geführt, dann in Resignation umgeboben. Der akkordische Anfang kehrt wieder, wie ein Grabgesang. Nur noch einmal klingt das Thema des Liebesduetts an, in finsteres Moll gehüllt, bevor die Musik in den Himmel entschwebt. Zweifellos verbirgt sich hinter diesem Satz ein Programm, das Tschaikowsky allerdings nicht gelüftet hat.
Das Finale greift, wie im Titel angezeigt, russische Volksthemen auf: Die langsame Einleitung geht auf ein Lied der Wolgaschiffer zurück, das aber ganz leise einsetzt, um den himmlischen Klangeindruck vom Ende der Elegie nicht zu zerstören. Am Ende der Einleitung löst sich ein kurzes Motiv ab, das dem Allegro als lebhaftes, folkloristisches Thema dient. Das Seitenthema des umfangreichen Finales fällt den Celli zu. Wie in den Finalsätzen der Vierten und Fünften Symphonie nimmt die Darstellung russischen Volkslebens ausgelassene Züge an. Den Schlusspunkt setzt aber die pathetische Einleitung aus dem ersten Satz, die ganz am Ende noch einmal wiederkehrt.
Tschaikowsky selbst und seine russischen Zeitgenossen hielten die Serenade für ein vollgültiges Werk für sinfonisches Streichorchester, eine Art „Sinfonie ohne Bläser“. Ganz anders dagegen fasste der Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick die Serenade auf, als sie 1892 ihre Wiener Erstaufführung erlebte: „Sie verrät keine starke schöpferische Kraft, wohl aber ein feines, eigenartiges und geschickt hantierendes Talent, das seine Anregung aus russischer Nationalmusik, seine Bildung aus deutscher Schule holt. Für die besten Sätze halten wir das erste, geistreich beflügelte Allegro (von dem wir nur das einleitende und zum Schluss leider wieder auftauchende schwerfällige Andante fortwünschen), dann den behaglich hinschlendernden graziösen Walzer in G-Dur. In beiden Sätzen erprobt der Komponist seine Gewandtheit, ziemlich unbedeutende Themen durch Abwechselung der Instrumente, pikante Begleitungsfiguren und kontrapunktische Verwendung zu bereichern und wirksam zu steigern. Der stimmungsvolle dritte Satz, eine Elegie in h-Moll, ermüdet durch seine inhaltlich nicht gerechtfertige Ausdehnung und die unablässigen Wiederholungen desselben Motivs. Dasselbe Bedenken erweckt auch das Finale, ein derber russischer Bauerntanz, dessen winziges Thema sich monoton wie ein Kreisel in atemversetzendem Wirbel herumdreht. Die Form der Serenade ist klar und übersichtlich, nicht von jener Zerrissenheit, welche Tschaikowskys größere Kompositionen … so unverdaulich macht. Auch die Instrumentierung verdient ein besonderes Lob; Tschaikowsky hat so viel Abwechselung in den Klang zu bringen gewusst, als bei dem Ausschluss aller Blasinstrumente überhaupt zu erreichen ist.“
Uraufgeführt wurde die Serenade im Januar 1882 in Moskau.
Karl Böhmer
Mit seiner Serenade op. 48 wollte Tschaikowsky nach eigenem Zeugnis seiner “Mozart-Verehrung Tribut zollen”. Der Komponist war bekanntlich kein Freund Bachscher Musik, und doch hat sich in die “ganz vom Gefühl erwärmte” Serenade aus dem Jahr 1880 mehr Barockes eingeschlichen, als ihm vielleicht lieb oder bewußt war.
So erinnert der erste Satz mit seiner pathetischen Einleitung viel eher an eine französische Ouvertüre des Barock als an Mozart. Wie in der barocken Form üblich, kehrt der langsame Teil am Ende des Satzes wieder. Das dazwischenliegende Allegro ist in forma di sonatina geschrieben, das heißt, es hat zwei Themen, aber keine Durchführung. Das erste Thema erinnert an einen weiteren von Tschaikowsky wenig geschätzten Komponisten: an Brahms. Das zweite bringt dagegen in seiner spielerischen Rhythmik und seinem noblen Kontrapunkt endlich doch die erwartete Hommage à Mozart. Dabei hat sich freilich eine Tremolofigur Bachs mit eingeschlichen.
Der zweite Satz ist einer der unnachahmlich schwebenden Walzer Tschaikowskys und erinnert ein wenig an den aus der 6. Symphonie.
Die Elegie beginnt mit einem akkordischen Thema in der Art des letzten Satzes der Pathétique. Darauf folgt eine weite,weiche Geigenkantilene über Pizzicato, die die Celli aufgreifen. Sie wird ins Elegische gesteigert und zu typischen Tschaikowsky-Höhepunkten geführt. Danach kehrt der akkordische Anfang wieder, beschwört neue Steigerungen und eine melancholische Coda herauf.
Das Finale greift, wie im Titel angezeigt, russische Volksthemen auf: die langsame Einleitung ein Lied der Wolgaschiffer, das Allegro ein lebhafteres tema russo. Die Vision des Volkslebens nimmt hier, wie in den Finalsätzen der Symphonien 4 und 5, ausgelassene Züge an. Den Schlußpunkt setzt aber die pathetische Einleitung aus dem ersten Satz.