Oktett für Blasinstrumente (1923)
Werkverzeichnisnummer: 1902
1. Sinfonia. Lento – Allegro moderato
2. Thema con Variazioni. Andantino
3. Finale. Tempo giusto
„Trocken, kühl, klar und spritzig wie Sekt“ solle sein Oktett klingen, meinte Igor Strawinsky. Den Parisern des Jahres 1923 schmeckte dieses herb-perlende Champagnerbouquet überhaupt nicht. Mit eisigem Schweigen quittierten sie die Uraufführung des Werkes, das ihnen Strawinsky nicht als wilden Russen wie erwartet, sondern als milden Neoklassizisten zeigte. Nach den Worten des Dichters Jean Cocteau war es ein „scandale de silence“. Es war eine denkbar unangemessene Reaktion auf ein Werk, das heute längst zu den Meilensteinen der Moderne gerechnet wird.
Den Interpreten hat Strawinsky die Aufgabe, „spritzig wie Sekt“ zu klingen, nicht leicht gemacht. Anstatt drei Holzbläserpaare mit zwei Hörnern zu kombinieren wie im klassischen Bläseroktett, verband er zwei Blechbläserpaare (Trompeten in C und A, Posaune und Bassposaune) mit Flöte, Klarinette und zwei Fagotten. Auf diese Weise tritt an die Stelle der für Harmoniemusiken typischen weichen Klangmischungen aus Terz- und Sext-Parallelen ein kantiger Spaltklang. Statt Hörnerpedal und oboistischer Gesanglichkeit hört man einerseits vom „schweren Blech“ massig-wuchtige Klänge, andererseits von den Holzbläsern sperrig-trockene Prosaik. Strawinsky wollte mit dieser Antithese einerseits größere Farbigkeit, andererseits eine Artikulation der Form erreichen: „Die Gründe, warum ich so eine Musik für ein Oktett aus Flöte, Klarinette, Fagotten, Trompeten und Posaunen schrieb, sind folgende: erstens ergibt sich aus einem solchen Ensemble ein volles Klangspektrum, das mir ein genügend reiches Farbenregister bietet, zweitens macht die Unterschiedlichkeit der Klangmassen dieser Instrumente die Architektur der Musik noch evidenter.“
Angesichts so dezidierter ästhetischer Absichten mag es verwundern, dass die Anregung zum Oktett dem Komponisten buchstäblich im Traum zuflog. 1922 träumte Strawinsky von einem Bläserensemble, ohne dessen Musik hören zu können. Am nächsten Morgen begann er, die Klänge zu der stummen Szene selbst zu erfinden.
Etwas weniger romantisch, aber historisch korrekter könnte man auf die Aktivitäten der diversen Pariser Bläser-Sozietäten hinweisen, die seit dem 19. Jahrhundert in ihren Konzerten regelmäßig Werke der in Paris lebenden Komponisten uraufführten. Die glanzvolle Serie der Auftragswerke für die Société des instruments à vent und die Société moderne reicht von Gounods Petite symphonie über Werke von d´Indy, Caplet oder Chausson bis hin zum Dixtuor des Rumänen Georges Enescu, das 2002 in Villa Musica-.Konzerten erklang.
Vor diesem spezifischen Pariser Hintergrund muss man Strawinskys Octuor sehen, was auch die Besetzung erklärt. Denn schon vor ihm hatten Pariser Komponisten in ihre Bläseroktette auch Blechbläser mit aufgenommen.
Noch eine andere Entwicklung in der französischen Hauptstadt hat auf das Oktett eingewirkt: Die Tendenz zu einer neuen Kultur der musikalischen „Prosa“, zum nüchtern-saloppen Stil einer Art „Alltagsmusik“., wie sie die jungen Pariser Komponisten zu Beginn der 1920er Jahre anstrebten. Um diesem Ideal nachzueifern, orientierten sie sich an der Musik des Barock und der Frühklassik, und genau hier setzte auch Strawinsky an. Ganz offiziell gilt sein Oktett als erstes Werk des Neoklassizismus, also jener Periode der Moderne, in der die Formen der Barockmusik und Wiener Klassik zum Vorbild wurden.
Dies zeigt sich im Kopfsatz an der langsamen Einleitung und an der klaren Sonatenform des Allegro mit seinen zwei Themen, einem martialischen Fanfarenthema und einem lyrischen Gesang in der tiefen Trompetenlage (!). Der Mittelsatz war Strawinskys erster Variationensatz überhaupt. Erst mitten in der Arbeit am Thema entdeckte er, wie gut es sich für Variationen eignete. „Wenn ich eine Variation schreibe, bleibe ich der Melodie des Themas stets treu.“ Diesem Bekenntnis entsprechend ließ er die klare, gesangliche Melodie in allen Variationen hervortreten, wenn auch teilweise nur in Ausschnitten. Die erste Variation, deren rasend schnelle Figurationen eine Stelle aus dem Oedipus Rex vorwegnehmen, kehrt mehrmals rondoartig wieder. Die übrigen Variationen streifen populäre Charaktere (Marsch, Walzer, Brillante), bis sich im abschließenden Fugato die motivische Arbeit so extrem verdichtet wie in kaum einem anderen Werk der Bläserliteratur. Die Flöte leitet zum unbeschwerten Rondofinale über, in dem man die notorische Nähe der „Goldenen Zwanziger“ zum Jazz spürt.
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IGOR STRAWINSKY meinte, sein Bläseroktett solle „trocken, kühl, klar und spritzig wie Sekt“ klingen. Den Parisern des Jahres 1923 schmeckte dieses herb-perlende Champagnerbouquet überhaupt nicht. Mit eisigem Schweigen quittierte man bei der Uraufführung Strawinskys Wandel vom wilden Russen, den man erwartet hatte, zum milden Neoklassizisten, auf den man nicht vorbereitet war. Nach den Worten des Dichters Jean Cocteau war es ein „scandale du silence“. Es war die denkbar unangemessenste Reaktion für ein Werk, das heute längst zu den Meilensteinen der Modernen Musik gerechnet wird.
Den Interpreten hat Strawinsky die Aufgabe, „spritzig wie Sekt“ zu klingen, nicht leicht gemacht. Anstatt drei Holzbläserpaare mit zwei Hörnern zu kombinieren wie im klassischen Bläseroktett, benutzte er zwei Blechbläserpaare (Trompeten in C und A, Posaune und Bassposaune) zu Flöte, Klarinette und zwei Fagotten. Der daraus resultierende Spaltklang ersetzt die für Harmoniemusiken so typischen weichen Klangmischungen aus Terz- und Sext-Parallelen. Statt Hörnerpedal und oboistischer Gesanglichkeit hört man einerseits vom „schweren Blech“ massig-wuchtige Klänge, andererseits von den Holzbläsern sperrig-trockene Posaik. Strawinsky wollte mit dieser Antithese einerseits größere Farbigkeit, andererseits eine Artikulation der Form erreichen: „Die Gründe, warum ich so eine Musik für ein Oktett aus Flöte, Klarinette, Fagotten, Trompeten und Posaunen schrieb, sind folgende: erstens ergibt sich aus einem solchen Ensemble ein volles Klangspektrum, das mir ein genügend reiches Farbenregister bietet, zweitens macht die Unterschiedlichkeit der Klangmassen dieser Instrumente die Architektur der Musik noch evidenter.“
Anlass zur Komposition war ein Traum. 1922 erschien dem Komponisten im Traum ein Bläserensemble ohne dass er dessen Musik hatte hören können. Am nächsten Morgen begann er, die Klänge zu dieser Szene selbst zu erfinden. Etwas weniger romantisch, aber historisch korrekter ist wohl der Hinweis auf die Aktivitäten der diversen Pariser Bläser-Sozietäten, die seit dem späten 19. Jahrhundert in ihren Konzerten regelmäßig Werke der in Paris lebenden Komponisten uraufgeführt hatten. Die glanzvolle Serie der Auftragswerke in der „Société des instruments à vent“ und der „Société moderne“ reicht von Gounods „Petite symphonie“ über Werke von d´Indy, Caplet oder Chausson bis hin zu Enescus „Dixtuor“. Vor diesem spezifischen Pariser Hintergrund muss man Strawinskys „Octuor“ sehen. was zum teil auch die Besetzung erklärt. Denn schon vor ihm hatten Pariser Komponisten in ihre Bläseroktette auch Blechbläser mit aufgenommen.
Noch eine andere Entwicklung in der französischen Hauptstadt hat auf das Oktett eingewirkt: Die Tendenz zu einer neuen Kultur der musikalischen Prosa, zum nüchtern-saloppen Stil einer Art „Allltagsmusik“., wie sie die jungen Pariser Komponisten zu Beginn der 20er Jahre anstrebten. Um diesem Ideal nachzueifern, orientierten sie sich an der Musik des Barock und der Frühklassik, und genau hier setzte auch Strawinsky mit seinem Oktett an. Ganz offiziell musikologisch gilt es als erstes Werk des sogenannten „Neoklassizismus“.
Dies zeigt sich im Kopfsatz an der langsamen Einleitung und an der klaren Sonatenform des Allegro mit seinen zwei Themen – einem martialischen Fanfarenthema und einem lyrischen Gesang in der tiefen Trompetenlage (!). Der Mittelsatz war Strawinskys erster Variationensatz überhaupt. Erst mitten in der Arbeit am Thema entdeckte er, wie gut es sich für Variationen eignete. „Wenn ich eine Variation schreibe, bleibe ich der Melodie des Themas stets treu.“ Diesem Bekenntnis entsprechend ließ er die klar-gesangliche Melodie in allen Variationen hervortreten, wenn auch teilweise nur in Ausschnitten. Die erste Variation, deren rasend schnelle Figurationen eine Stelle aus dem „Oedipus Rex“ vorwegnehmen, kehrt mehrmals rondoartig wieder. Die übrigen Variationen streifen populäre Charaktere (Marsch, Walzer, Brillante), bis sich im abschließenden Fugato die motivische Arbeit so extrem verdichtet wie in kaum einem anderen Werk der Bläserliteratur. Die Flöte leitet zum unbeschwerten Rondofinale über, in dem man die notorische Nähe der „Goldenen Zwanziger“ zum Jazz spürt.