Concerto Es-Dur für Kammerorchester, „Dumbarton Oaks“
Werkverzeichnisnummer: 1895
1. Tempo giusto
2. Allegretto
3. Con moto
„Gern möchte ich an Dushkin erinnern, denn heute kennt ihn kaum noch jemand. Er war ein guter Musiker und als Geiger ein wirklicher Fachmann, doch er hatte zu wenig Temperament. Obwohl er sehr ordentlich spielte, hatte ich immer das Gefühl, sein Spiel klinge wie in Zellophan verpackt … Sein Violinkonzert schrieb Strawinsky in Zusammenarbeit mit Dushkin. Es hätte ein herrliches Werk werden können. Strawinsky ist ein großer Komponist, er hatte durchaus Sinn dafür, etwas ganz Neues anzugehen. Allerdings, so meine ich, verstand er zu wenig von der Geige und ihren instrumentalen Möglichkeiten. Und Dushkin fehlte als Geiger die Phantasie. So jedenfalls lässt sich das Ergebnis ihrer gemeinsamen Anstrengung erklären … Warum suchte Strawinsky sich Dushkin als Mitarbeiter aus? Warum fragte er nicht einen interessanteren Geiger? Weil er – und das war typisch – die Zügel in der Hand behalten wollte. Er fürchtete, dass ein bedeutender Musiker mit einer starken Persönlichkeit sich in den Gang der Komposition einmischen, Vorschläge machen und auf Änderungen bestehen würde. Derartiges konnte Strawinsky nicht zugestehen. Er war ein Autokrat, der nicht die geringste Lust und erst recht nicht die Fähigkeit hatte, Macht zu teilen.“
Dieses so wenig schmeichelhafte Porträt von Igor Strawinsky und dem ersten Interpreten seines Violinkonzerts zeichnete kein Geringerer als Nathan Milstein in seinen Memoiren. Der Geiger Samuel Dushkin, „ein amerikanischer Jude mit russischen Vorfahren“, war dem berühmteren Milstein zwar als Mensch sympathisch, doch als Musiker gehörte er zu jenen typischen Interpretenfiguren von eher zweitrangiger Statur, wie sie Strawinsky bevorzugte.
In diesem Falle freilich hatte sich der Komponist den Geiger nicht selbst ausgesucht: Willy Strecker, der legendäre Patriarch des Schottverlags in Mainz und kritische Freund vieler moderner Komponisten, hatte 1931 in seinem Wiesbadener Haus Dushkin und Strawinsky miteinander bekannt gemacht. Strecker war es auch, der Strawinsky zu einem Violinkonzert drängte, obwohl dieser Skrupel hatte. Er war Pianist und mit den Streichinstrumenten nicht restlos vertraut. Doch als auch noch Paul Hindemith meinte, so käme er wenigstens nicht in die Versuchung, ein Virtuosenkonzert zu schreiben, willigte Strawinsky ein. Das Werk wurde im Frühjahr 1931 in Nizza komponiert und bereits im Herbst desselben Jahres in Berlin uraufgeführt.
Das Violinkonzert in D hat vier Sätze. Ihre Titel verweisen unzweideutig auf die Musik der Barockzeit, die dem Stück formal wie in Rhythmus und Besetzung Pate stand. Eine kraftvoll-rhythmische „Toccata“ steht am Anfang, geprägt von harten Tonrepetitionen und den typisch barocken Anapästrhythmen. Als Binnensätze folgen Aria I und II. Strawinsky dachte dabei offenkundig an die versonnen-ausdrucksvollen Beispiele dieses Typus bei Bach wie die „Air“ aus der 3. Orchestersuite oder die „Aria“ der „Goldbergvariationen“. In der ersten Aria in d-Moll wird man an die 2. Cellosuite des Thomaskantors erinnert, in der zweiten Aria in D-Dur an seine reich ausgezierten Allemanden. Das abschließende „Capriccio“ gibt sich wahrhaft kapriziös: als ein Feuerwerk aus Läufen und barockisierenden Tanzrhythmen. Der Solist bzw. die Solistin hat hier endlich Raum, sich auch bravourös zu entfalten – und straft die Unkenrufe eines Milstein von der mangelnden Wirkung des Konzerts lügen.
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Eintausend US-Dollar zahlte die berühmteste Mäzenin der musikalischen Moderne, Elizabeth Sprague-Coolidge, für die 30 Minuten eines neuen Balletts, das sie 1927 bei Igor Strawinsky in Auftrag gab. Das Programm war mythologisch und vom Komponisten höchst selbst erdacht. Freilich wird sich mancher Zuschauer der Uraufführung in der Library of Congress zu Washington im April 1928 einen Mythologieführer aus den reichen Beständen der Bibliothek gewünscht haben, um das Programm des Balletts zu entschlüsseln. Leichter fiel dies schon den Parisern bei der europäischen Erstaufführung wenige Wochen später. Coco Chanel hatte die Tänzer höchst wirkungsvoll eingekleidet: den Apoll des Ukrainers Serge Lifar, der später Ballettdirektor in Paris werden sollte, und die Terpsichore seiner russischen Kollegin Alexandra Danilowa.
Der Pas de Deux der beiden, also das Tête-à-Tête zwischen dem Musengott und der Muse des Tanzes, bildet den Höhepunkt des Balletts. Es beginnt im Prolog mit der Geburt des Musengottes. Ausdrücklich bezog sich Strawinsky in seiner Musik zu diesem Anfang auf die Konventionen des französischen Barock am Königshof zu Versailles. In der Uraufführung spielten 34 Streicher – zehn mehr als im berühmten Streichorchester Ludwigs XIV. – und sie spielten natürlich eine französische Ouvertüre mit langsamen Rahmenteilen im feierlichen punktierten Rhythmus. Die Doppeltpunktierung, von der man damals noch glaubte, sie sei authentisch barock, hat Strawinsky sogar vorgeschrieben.
An die Geburt des Gottes schließt sich sein erster Tanz an, gefolgt von Tänzen dreier Musen: Kalliope, die Muse der Dichtkunst, tanzt zu einem Rhythmus, den Strawinsky kunstvoll aus einem Alexandriner von Boileau ableitete, dem Hofästhetiker und Historiographen des Sonnenkönigs. Polyhymnia, die Muse der Beredsamkeit, und Terpsichore, die Muse des Tanzes, vollenden den Reigen, worauf der schon erwähnte Pas de Deux zwischen Gott und tänzerischer Muse folgt. Am Ende versetzt Göttervater Jupiter alle vier auf den Parnass.
Die in Nizza komponierte Musik dieses Balletts atmet durchaus mediterranen Zauber und neobarocken Flair. Wirklich populär geworden ist sie freilich nie, was sicher mit dem sperrigen mythologischen Programm zusammenhängt.