„Rosen aus dem Süden“, op. 388
Arrangement von Arnold Schönberg für Streichquartett und Klavier
Werkverzeichnisnummer: 1883
2001
SCHÖNBERG ARRANGIERT
Die Liebe zur Orchestermusik, meinte Arnold Schönberg in gewohnter Überspitzung, sei ein Charakteristikum noch junger Gesellschaften, wie etwa der amerikanischen. Mit dem Fortschreiten der Hörkultur müsse sich das Publikum notwendig immer stärker der Kammermusik zuwenden. Um diese Utopie im kleinen Kreise umzusetzen, schuf sich Schönberg nach dem ersten Weltkrieg eine Art Refugium für die Ideologie des kammermusikalischen Klangs: den Verein für musikalische Privataufführungen.
Den Anstoß zur Gründung gab ein Experiment mit seiner ersten Kammersymphonie. Schönberg war auf die Idee gekommen, „anstelle eines einzigen Konzertes eine Reihe von zehn öffentlichen Proben abzuhalten. In der Schlußprobe wird das Werk mindestens einmal ohne Unterbrechung gespielt werden. Auf diese Weise soll dem Hörer die Möglichkeit gegeben werden, das Werk so oft zu hören, daß er es im ganzen und in Einzelheiten auffassen kann,“ wie es auf der Subskriptions-Einladung heißt. Nach der erfolgreichen Premiere kam es am 23.11.1918 zur Gründung des Vereins, der in wöchentlichen Aufführungen seinen Mitgliedern das gesamte Spektrum der zeitgenössischen Musik präsentieren wollte – „alles, was Namen, oder Physiognomie, oder Charakter hat“. Zu den Komponisten, denen man alle drei Eigenschaften zuschreiben durfte, gehörten Mahler und Debussy, deren Orchesterwerke in Arrangements im Verein erklangen. Unser Debussy-Arrangement entstand, wie es der Herausgeber der Edition formuliert, „unter den Auspizien von Schönberg“ für einen der Vereinsabende. In ähnlicher Besetzung hat Schönberg selbst Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen bearbeitet und am 6.2.1920 zur Aufführung gebracht. Die Arrangements der drei Strauß-Walzer stammen teils von Schönberg selbst (Kaiserwalzer), teils entstanden sie unter seiner Mitwirkung (Rosen aus dem Süden).
JOHANN STRAUSS
Walzer in Schönberg-Fassungen
Drei Kuriosa muss man erwähnen, wenn es um das eigenartige Verhältnis der Stadt Wien zu ihrem großen Sohn Johann Strauß geht. Den Kaiserwalzer schrieb Strauß, als er schon nicht mehr Österreicher, sondern Deutscher war. Seine Scheidung von seiner zweiten Frau Angelika und die Hochzeit mit Adele Strauß, verbunden mit der Konversion zum Protesantismus, lösten in Wien einen derartigen Skandal aus, dass sich der Komponist 1885 gezwungen sah, die österreichische Staatsbürgerschaft aufzugeben und diejenige von Sachsen-Coburg-Gotha anzunehmen. Den Kaiserwalzer hat er seiner Majestät Kaiser Franz Joseph also aus dem Ausland dediziert. Gedruckt wurde er in Berlin.
Als sich umgekehrt Berlin anschickte, den langen Arm der nationalsozialistischen Rassenpolitik auf Österreich auszudehnen, wurden die für die Kultur zuständigen Stellen in Wien mit einem Problem konfron tiert: der jüdischen Abstammung der Familie Strauß. Um nicht noch einen weiteren Operettenkomponisten dem Rassenwahn opfern zu müssen, fälschten sie kurzerhand den Eintrag im Taufregister des Stephansdoms, wodurch Johann Strauß auch zwischen 1938 und 1945 aufführbar blieb.
Trotz dieser vor Eingriffen in die Quellen nicht zurückschreckenden Liebe der Wiener zu Strauß ist es bis vor kurzem zu keiner musikwissenschaftlichen Aufarbeitung seines Werkes gekommen. Die Initiative zu einer Strauß-Gesamtausgabe ließ lange auf sich warten. Dass sich die Stadt Wien, wie dieser Tage den Zeitungen zu entnehmen war, nun endlich zum Ankauf des Strauß-Nachlasses entschlossen hat, weckt Hoffnungen auf eine umfassendere Werkkenntnis des „Walzerkönigs“.
Ein besonders rührendes, für unser Programm entscheidendes Kapitel der Straußrezeption in Wien wurde im Mai 1921 geschrieben. Der Verein für musikalische Privataufführungen lud zu einem „Außerordentlichen Abend“ in den Festsaal der Schwarzwaldschulen ein. Auf dem Programm standen vier Walzer von Johann Strauß Sohn in Bearbeitungen der Vereinsmitglieder. Arnold Schönberg als programmatischer Kopf des Unternehmens steuerte Rosen aus dem Süden und den Lagunenwalzer bei, Alban Berg Wein, Weib und Gesang, Anton von Webern den „Schatzwalzer“ aus dem Zigeunerbaron. Die Arrangeure waren zugleich die Interpreten des Abends: Schönberg wechselte sich mit dem nachmaligen Quartett-Primarius Rudolf Kolisch an der ersten Geige ab, Webern spielte Cello, Berg das Harmonium, Eduard Steuermann den Klavierpart. Nach dem frenetisch gefeierten Konzert versteigerten die Arrangeure respektive Interpreten die Originalmanuskripte ihrer Bearbeitungen, um dem notleidenden Verein Geld zuzuführen. Mit Strauß war dies damals wie heute leicht möglich.
Die äußeren Umstände jenes denkwürdigen Abends von 1921 deuten auf eine Benefizveranstaltung in eigener Sache hin, mit einem notgedrungen gewinnorientierten Programm. Dennoch merkt man den Walzer-Arrangements der Trias Schönberg-Berg-Webern auch heute noch, 80 Jahre nach ihrer Entstehung, die Freude an, mit denen sie geschrieben und gespielt wurden. Den Puls der Moderne ganz nah an das sentimentale Herz der Musikstadt Wien heranzuführen, war der Sinn dieser Arrangements.
Für Schönberg wie für Berg und Webern war Johann Strauß ein Teil der eigenen Tradition. 1874 in Wien geboren, hatte der Vater der Wiener Schule mit Strauß seine Jugend verbracht, was allein schon durch einen Blick in sein Werkverzeichnis bestätigt wird: zu Schönbergs frühesten Kompositionen zählten ein Allianzwalzer und eine Sonnenscheinpolka für zwei Geigen. Auch Berg und Webern haben dem Walzer später in der ein oder anderen Form ihre Reverenz erwiesen.
Schönberg selbst schrieb nach der ersten Erfahrung mit den Strauß-Arrangements von 1921 für eine Spanientournee seines Pierrot lunaire 1925 eine weitere Kammerfassung, diesmal des Kaiserwalzers. Er benutzte die etwas erweiterte Besetzung des Pierrot – Flöte, Klarinette, Streichquartett und Klavier – für eine meisterliche, echt kammermusikalische Version dieses melodienseligsten aller Wiener Walzer.