Romanze F-Dur für Violine und Orchester, op. 50
Werkverzeichnisnummer: 188
ES IST EIN WUNDER, etwas, das aus dem Äther zu uns gekommen ist – wie eine Art göttlicher Botschaft“, meinte der russische Geiger Nathan Milstein von Beethovens Violinkonzert. Nach einer Prioritätenliste unter den großen Violinkonzerten befragt, stellte er das Beethovenkonzert uneingeschränkt an die Spitze und fügte hinzu: „Man sagt gemeinhin, dass das Repertoire für Klavier reichhaltiger sei als das für die Geige. Das stimmt nicht! Beethovens Violinkonzert steht, was die Qualität der Musik und die Vollkommenheit betrifft, über all seinen Klavierkonzerten, das vierte vielleicht ausgenommen.“
DIE MUSIKKRITIKER der Beethovenzeit waren sich dessen noch nicht so sicher. Nach der Uraufführung des Werkes in einem Weihnachtskonzert, das der Geiger Franz Clement am 23. Dezember 1806 im Theater an der Wien veranstaltete, erschien in der Wiener Theater-Zeitung eine säuerliche (und übrigens schlecht redigierte) Rezension: „Ueber Beethhofens (sic) Concert ist das Urtheil von Kennern ungetheilt, es gesteht demselben manche Schönheit zu, bekennt aber, dass der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und dass die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden können… Dem Publikum gefiel im allgemeinen dieses Conzert (sic) außerordentlich.“ Alexander Wheelock Thayer kommentierte diese Bemerkungen mit dem Satz: „So weit übertraf also damals das Publikum die Kenner in der richtigen Schätzung Beethovens.“ In der Tat ist der Erfolg bei den Konzertbesuchern dem Violinkonzert Beethovens von Anfang an sicher gewesen und bis heute treu geblieben.
WORAN DIES LIEGT, ist auf den ersten Blick leicht zu ergründen: Die Eingängigkeit der Themen, besonders im Kopfsatz, übertrifft fast alles Vergleichbare in Beethovens Klavierkonzerten. Dabei bildet das Paukenmotiv des Anfangs ein zunächst sperrig scheinendes, martialisches Band für den ganzen Satz. Dem tritt als Hauptthema eine Art Harmoniemusik für Bläser, also ebenfalls ein Militärklang, gegenüber. Die Steigerung zu den Forteklängen eines echten „Concerto militare“ lassen nicht lange auf sich warten. Schon das wundervolle Seitenthema aber verwandelt den Marschcharakter in holde Gesanglichkeit, und aus eben diesem Gegensatz bezieht auch das Verhältnis zwischen Violine und Orchester seine Spannung: Der Solist kann als beschwichtigende, flehende, weiche oder auch triumphal sich aussingende, in jedem Fall aber gesangliche Stimme gegen die geballte Kraft des Orchesters anspielen, eine Rolle, die der Violine vollendet entspricht. Dabei tritt sie klanglich stets aus dem Orchester hervor, ist Teil des Ganzen und nicht – wie in den Klavierkonzerten – in Klangfülle und Harmonie Gegenpart des Tutti. „Mag sie in den höchsten Lagen wie eine Engelstimme den Gesang der Instrumente übertönen, wie in verschiedenen Stellen des ersten Satzes, oder mit dem sonoren Altklange der G-Saite überraschen, wie zu Anfang des Schlusssatzes, immer wird sie als die höchste Blüte des Orchesters selbst bewundert werden, nicht aber demselben als Rival gegenüberstehen.“ (Thayer)
EINE BESCHREIBUNG der drei Sätze zu geben, verbietet sich angesichts ihrer überreichen Schönheiten von selbst, denn „über die Offenbarungen, die Beethovens Konzert für uns bereit hält, kann man endlos diskutieren“, meinte schon Nathan Milstein. Vielleicht ist es aber doch angebracht, kurz auf jenen Geiger einzugehen, der den Reigen der großen Interpreten des Konzerts eröffnete: Franz Clement. Der Wiener Geiger scheint in der Biographie Beethovens weniger spektakulär auf als die großen Geigenvirtuosen der Epoche wie Rodolphe Kreuzer oder George Bridgetower, doch es ist vielleicht charakteristisch, dass Beethoven für ihn, den klassischen Wiener Konzertmeister, sein Opus 61 geschrieben hat. Clement war der Sohn eines Tafeldeckers beim Grafen von Harsch, der natürlich Geige spielte wie so viele Wiener Bediente der Epoche. Sein Filius und Geigenschüler trat schon mit 9 Jahren auf seiner „Diminutiv-Geige zur allgemeinen Bewunderung“ auf. Konzertreisen führten den 10jährigen Franz nach England, wo er mit Bridgetower konzertierte und zu einem Dauergast in den Konzerten Haydns und Solomons avancierte. Zurück in Wien wurde er mit 22 Orchesterdirektor im Theater an der Wien, als welcher er das Recht erhielt, jährlich ein Konzert „zum eigenen Vortheil“ zu geben. Beethoven profitierte von diesem Vorrecht, denn seine ersten drei Symphonien erlebten in Clements Konzerten ihre Uraufführungen. Zum Dank dafür entstand das Violinkonzert, das Beethoven scherzhaft „Concerto par Clemenza pour Clement“ nannte, ein Wortspiel, das soviel bedeutet wie „Konzert aus huldvoller Milde für Clement“. Dass Clement 1813 von Carl Maria von Weber als Konzertmeister nach Prag engagiert wurde, gehört zu den ruhmreicheren Kapiteln seiner späteren Biographie, während ihn die Wiener Chronisten später als „zynischen Sonderling von gedrungener Gestalt“ und wenig gepflegtem Äußeren beschreiben. An jenem Vorweihnachtsabend des Jahres 1806 jedenfalls vermochte der 26jährige Clement die Wiener noch restlos zu entzücken. Für seine „bewährte Kunst und Anmuth, seine Stärke und Sicherheit auf der Violin, die sein Sklave ist“ dankte man ihm (und Beethoven) mit „lärmendem Bravo“. Zweifellos eine Reaktion, die sich nach zahllosen Aufführungen des Beethovenkonzerts bis heute wiederholt hat.