Nonett F-Dur, op. 31 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Louis Spohr

Nonett F-Dur, op. 31

Nonett F-Dur für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass, op. 31 (1813)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1859

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Scherzo. Allegro – Trio I / II

3. Adagio

4. Finale. Vivace

Erläuterungen

Der in Braunschweig geborene Geigenvirtuose Louis Spohr zählt zu jenen Komponisten des 19. Jahrhunderts, deren Ruhm heute verblaßt ist. Seine Kammermusik und seine Opern, die der frühen Romantik ihren Stempel aufdrückten, werden heute kaum noch aufgeführt, weil sie unserer am Geniebegriff orientierten Vorstellung von romantischer Musik nicht zu entsprechen scheinen. Dabei standen sie einstmals im Mittelpunkt des Publikumsinteresses, gefördert durch den europäischen Ruhm des Virtuosen und Dirigenten Spohr.
Der fast 2 Meter große, hühnenhafte Geiger war der deutsche Antipode Paganinis, der ihn respektvoll den „vorzüglichsten Sänger“ auf seinem Instrument nannte. Als Dirigent war Spohr einer der ersten, die sich mit dem Taktstock vor das Orchester stellten. Er war Opernkapellmeister am Theater an der Wien, in Frankfurt und in Kassel, wo er für mehr als 30 Jahre wirkte. Unter seinen eigenen Opern ist Faust (1813) die bekannteste. Sie gilt – neben E. T. A. Hoffmanns Undine – als erste romantische Oper.

Der im besten Sinne gediegene Stil Spohrs gründete auf einem klassizistischen Fundament. Der Komponist gehörte zu einer Generation, die ihr ästhetisches Ideal in Mozart fand und von dort ausgehend allmählich zu einem neuen Stil gelangte. An Spohrs berühmtem Nonett ist dieser Stilübergang deutlich abzulesen. Es entstand 1813 für den Wiener Kaufmann und Geiger Johann Tost, der schon in den 1780er Jahren Streichquartette und -quintette bei Haydn und Mozart bestellt hatte. Im Nonett gibt es mehr als einen Hinweis auf diese Tradition. So greift der 1. Satz fast überdeutlich auf ein Motiv aus dem Andante von Mozarts Dissonanzenquartett zurück, das 1. Trio des Scherzos auf Mozarts ebenfalls für Tost geschriebenes D-Dur-Streichquintett. Diese Bezüge offenbaren, wie wenig originell Spohrs Musik in Melodik und Satzanlage war. Neuartig und auch heute noch faszinierend sind dagegen seine Harmonik und seine Klangfarben. Der Beginn des Adagios in tiefer Streicherlage verweist auf ähnliche Anfänge bei Schubert, Mendelssohn und Brahms. Hier fand Spohr zu einem neuen Ton, den die Romantiker aufgriffen. Unumstritten ist auch die satztechnische Meisterschaft seines Nonetts, das bis heute als das Nonett schlechthin gilt. Jedes Instrument ist solistisch und zugleich als Stimme im Ensemble behandelt.

Auf einige Besonderheiten der einzelnen Sätze sei kurz hingewiesen: im 1. Satz in Sonatenform fallen das modulierende 2. Thema, die Schlußgruppe mit ihren überraschenden Modulationen und das Fugato der Durchführung auf. Das Scherzo, in das der Niedersachse Spohr wienerische Ländlermelodien eingestreut hat, stellt in den beiden Trios Streicher und Bläser einander gegenüber. Im 2. Trio hat Spohr seiner Neigung zu extremer Chromatik freien Lauf gelassen. Das hochromantische Thema des Adagios wird im Dialog zwischen Streichern und Bläsern expressiv entfaltet. Das Finale hat den leichteren Tonfall eines Kehraus im Stil der italienischen Oper.

1999:
Der in Braunschweig geborene Geiger Louis Spohr drückte der Frühromantik als Virtuose, Dirigent und Komponist gleichermaßen seinen Stempel auf. Mendelssohn und Brahms bewunderten seine Kammermusik, sein Faust (1813) gilt als die erste romantische Oper überhaupt, als Geiger war der fast 2 Meter große, hühnenhafte Norddeutsche der einzige Konkurrent Paganinis, als einer der ersten Kapellmeister dirigierte er mit dem Taktstock.
Dem Kanon der klassischen Kammermusikgattungen hat Spohr 1813 in Wien das Nonett hinzugefügt – eine Idee, die nicht von ihm selbst, sondern vom Auftraggeber, dem Wiener Kammermusikmäzen Johann Tost, stammte. Tost ist Kammermusik-Kennern als Auftraggeber der Streichquartette op. 54 und 55 von Haydn und der letzten beiden Streichquintette von Mozart geläufig. Auch an Spohr trat der Wiener Großhandlungsgremialist mit Kammermusikwünschen heran, kaum war der berühmte Geiger und Komponist aus Braunschweig in Wien eingetroffen.
Tost gab bei ihm eine Serie von Kammermusikwerken in Auftrag, für die er sich das Gebrauchsrecht auf ein paar Jahre sicherte, bevor sie an einen Verleger zum Druck gegeben werden durften. Dieses Exklusivrecht, in der Wiener Klassik eher Ausdruck der aristokratischen Noblesse des Auftraggebers, war im Falle des Fabrikbesitzers Tost mit handfesten Geschäftsinteressen verbunden, wie dieser dem leicht verdutzten Spohr darlegte: „Ich beabsichtige zweierlei. Erstlich will ich zu den Musikpartien [d. h. Konzerten], in welchen Sie ihre Compositionen vortragen werden, eingeladen sein, deshalb muß ich diese in meinem Verschlusse haben; und zweitens hoffe ich auf Geschäftsreisen im Besitze solcher Kunstschätze ausgebreitete Bekanntschaften unter den Musikfreunden zu machen, die mir dann für mein Fabrikgeschäft wieder von Nutzen sein werden.“
Diese Vorform modernen Sponsorings zahlte sich im Falle des Nonetts für Tost aus, wie Spohr in seiner Autobiographie berichtet: „Nach Beendigung des „Faust“ glaubte ich nun zunächst meiner Verpflichtung gegen Herrn von Tost nach-kommen zu müssen. Ich fragte deshalb bei ihm an, welche Kunstgattung ihm für diesmal die liebste sein werde. Mein Kunst-Mäcen sann ein wenig nach und meinte dann, ein Nonett, concertirend für die vier Streich-Instrumente, Violine, Viola, Violoncell und Contrabaß, und die fünf vornehmsten Blas-instrumente, Flöte, Oboe, Clarinette, Horn und Fagott, so geschrieben, daß jedes dieser Instrumente seinem Character und Wesen gemäß hervortrete, möchte doch wohl eine eben so interessante, wie dankbare Aufgabe sein, und da er gar nicht zweifle, daß ich sie mit Glück lösen werde, so gebe er anheim, sie als die nächste Arbeit zu wählen. Ich fühlte mich durch die Schwierigkeit der Aufgabe angezogen, willigte mit Freuden ein und machte mich sogleich an die Arbeit. So entstand das bekannte Nonett … Ich vollendete es in kurzem und lieferte die Partitur an Herrn von Tost ab. Dieser ließ es ausschreiben und lud dann die ausgezeichnetsten Künstler Wiens zu sich ein, um es unter meiner Anleitung einzuüben. Dann wurde es in einer der ersten, mit dem Winter beginnenden, Musikpartien aufgeführt und erhielt so lebhaften Beifall, daß es im Laufe desselben noch oft wiederholt werden mußte. Herr von Tost erschien dann jedesmal mit der Musikmappe unter dem Arme, legte die Stimmen selbst auf die Pulte und schloß sie nach beendigtem Vortrage sogleich wieder ein. Er fühlte sich durch den Beifall , den das Werk fand, so beglückt, als wäre er selbst der Componist, … und so wurde sein Wunsch, zu recht vielen Musikpartien eingeladen zu werden, vollständig erfüllt. Ja, bald war man es so gewohnt, wo ich spielte, auch Herrn von Tost mit seiner Musikmappe zu sehen, daß er eingeladen wurde, auch wenn ich keines seiner Manuscripte vortrug.“
Dem Bericht kann man außer den Kuriositäten um Herrn von Tost zweierlei entnehmen: zum einen, daß sich die ersten Aufführungen des Spohr-Nonetts noch im Rahmen privater Soiréen abspielten, zu denen man eingeladen werden mußte, zum anderen, daß Spohr und sein Mäzen das Komponieren für neun gleichwertige Instrumente als eine „Aufgabe“ betrachteten, die erst einmal satztechnisch bewältigt sein wollte, als kompositorisches Neuland. Noch heute ist dem Werk dieser Entdeckungseifer anzuhören: das Experimentieren mit den Klangkombinationen und dem besonderen „Character“ jedes Instruments.
Zu seiner Zeit neuartig und auch heute noch faszinierend sind am Nonett die Harmonik und die Klangfarben, während die Melodik noch in deutlicher Mozart-Nachfolge verharrt. So verweist etwa der Beginn desAdagios in tiefer Streicherlage auf ähnliche Anfänge bei Schubert, Mendelssohn und Brahms. Hier fand Spohr zu einem neuen Ton, den die Romantiker aufgriffen.
Auf einige Besonderheiten der einzelnen Sätze sei noch kurz hingewiesen: Im ersten Satz in Sonatenform fallen das modulierende Seitenthema, die Schlußgruppe mit ihren überraschenden Modulationen und das Fugato der Durchführung auf. Das Scherzo, in das der Niedersachse Spohr wienerische Ländlermelodien eingestreut hat, stellt in den beiden Trios Streicher und Bläser einander gegenüber. Im zweiten Trio hat Spohr seiner Neigung zu extremer Chromatik freien Lauf gelassen. Das hochromantische Thema des Adagios wird im Dialog zwischen Streichern und Bläsern expressiv entfaltet. Das Finale hat den leichteren Tonfall eines Kehraus im Stil der italienischen Oper.

2004
LOUIS SPOHR
Nonett, op. 31

Als der Geiger Louis Spohr, der „deutsche Paganini“, 1813 nach Wien kam, lernte er den Kammermusikmäzen Johann Tost kennen und trat mit ihm in eine kuriose Geschäftsbeziehung, der wir Spohrs Nonett verdanken. Tost gab bei dem Gast aus Norddeutschland eine Serie von Kammermusikwerken in Auftrag, für die er sich das Gebrauchsrecht auf ein paar Jahre sicherte, bevor sie an einen Verleger zum Druck gegeben werden durften. Mit diesem Exklusivrecht verband der Fabrikbesitzer Tost handfeste Geschäftsinteressen, wie er dem leicht verdutzten Spohr darlegte: „Ich beabsichtige zweierlei. Erstlich will ich zu den Musikpartien [d. h. Konzerten], in welchen Sie ihre Compositionen vortragen werden, eingeladen sein, deshalb muß ich diese in meinem Verschlusse haben; und zweitens hoffe ich auf Geschäftsreisen im Besitze solcher Kunstschätze ausgebreitete Bekanntschaften unter den Musikfreunden zu machen, die mir dann für mein Fabrikgeschäft wieder von Nutzen sein werden.“

Diese Vorform modernen Sponsorings zahlte sich im Falle des Nonetts für Tost aus, wie Spohr in seiner Autobiographie berichtet: „Nach Beendigung des „Faust“ glaubte ich nun zunächst meiner Verpflichtung gegen Herrn von Tost nachkommen zu müssen. Ich fragte deshalb bei ihm an, welche Kunstgattung ihm für diesmal die liebste sein werde. Mein Kunst-Mäcen sann ein wenig nach und meinte dann, ein Nonett, concertirend für die vier Streich-Instrumente, Violine, Viola, Violoncell und Contrabaß, und die fünf vornehmsten Blas-Instrumente, Flöte, Oboe, Clarinette, Horn und Fagott, so geschrieben, daß jedes dieser Instrumente seinem Character und Wesen gemäß hervortrete, möchte doch wohl eine eben so interessante, wie dankbare Aufgabe sein, und da er gar nicht zweifle, daß ich sie mit Glück lösen werde, so gebe er anheim, sie als die nächste Arbeit zu wählen. Ich fühlte mich durch die Schwierigkeit der Aufgabe angezogen, willigte mit Freuden ein und machte mich sogleich an die Arbeit. So entstand das bekannte Nonett … Ich vollendete es in kurzem und lieferte die Partitur an Herrn von Tost ab. Dieser ließ es ausschreiben und lud dann die ausgezeichnetsten Künstler Wiens zu sich ein, um es unter meiner Anleitung einzuüben. Dann wurde es in einer der ersten, mit dem Winter beginnenden, Musikpartien aufgeführt und erhielt so lebhaften Beifall, daß es im Laufe desselben noch oft wiederholt werden mußte. Herr von Tost erschien dann jedesmal mit der Musikmappe unter dem Arme, legte die Stimmen selbst auf die Pulte und schloß sie nach beendigtem Vortrage sogleich wieder ein. Er fühlte sich durch den Beifall , den das Werk fand, so beglückt, als wäre er selbst der Componist, … und so wurde sein Wunsch, zu recht vielen Musikpartien eingeladen zu werden, vollständig erfüllt. Ja, bald war man es so gewohnt, wo ich spielte, auch Herrn von Tost mit seiner Musikmappe zu sehen, daß er eingeladen wurde, auch wenn ich keines seiner Manuscripte vortrug.“

Dem Bericht kann man entnehmen, wie sehr Spohr und sein Mäzen ein Werk für neun gleichwertige Instrumente als eine „Aufgabe“ betrachteten, die erst einmal gelöst sein wollte. Noch heute ist dem Werk dieser Entdeckungseifer anzuhören: das Experimentieren mit dem „Character“ jedes Instruments. Auf einige Besonderheiten der einzelnen Sätze sei noch kurz hingewiesen: Im ersten Satz fallen das modulierende Seitenthema und das Fugato der Durchführung auf. Das Scherzo, in das der Niedersachse Spohr wienerische Ländlermelodien eingestreut hat, stellt in den beiden Trios Streicher und Bläser einander gegenüber. Im zweiten Trio hat Spohr seiner Neigung zu extremer Chromatik freien Lauf gelassen. Das hochromantische Thema des Adagios wird im Dialog zwischen Streichern und Bläsern expressiv entfaltet. Das Finale hat den leichteren Tonfall eines Kehraus im Stil der italienischen Oper. Es könnte auch ein ganz Wienerischer Kehraus sein – ein „Rausschmeißer“.