Sextett für Flöte, Horn und Streichquartett , “Fantasia”
Werkverzeichnisnummer: 1807
Lento – Allegro –
Andantino pastorale – Scherzando – Allegro moderato – Molto tranquillo (quasi Tempo I)
Mátyás Seiber gehört zu jenen Komponisten des 20. Jahrhunderts, die auf der Flucht vor den Nazis in England Asyl suchten und fanden. In Budapest geboren und aufgewachsen, studierte er dort Cello und Komposition bei Zoltán Kodály, reiste in den “Goldenen Zwanzigern” als Cellist eines Schiffsorchesters nach Amerika und ließ sich 1927 in Frankfurt am Main nieder, wo er an Dr. Hoch’s Konservatorium die erste deutsche Jazz-Klasse ins Leben rief. Als Leiter dieses rasch berühmten Instituts, als Dirigent und Cellist lebte er bis 1933 in Frankfurt. Dann wanderte er über Ungarn nach England aus. Seine Vielseitigkeit hat er sich auch dort bewahrt, wirkte als Filmkomponist und Chorleiter, Dirigent und Verfasser von Instrumentalschulen. Vor allem galt er lange Zeit als der beste Kompositionslehrer Englands.
Die Fantasie für Flöte, Horn und Streichquartett gehört zu den zahlreichen Filmmusiken aus Seibers englischen Jahren. Er komponierte sie 1945 für den abstrakten Zeichentrickfilm Magic Canvas (Zauberleinwand). Das einsätzige Werk lässt sich nach der Handlung des Films in verschiedene Passagen unterteilen, wie Seiber selbst in seinem Vorwort erläuterte:
“Der Film beginnt mit einer Sequenz, die die Schöpfung symbolisiert: verschiedene Gestalten erscheinen, bewegen sich, verbinden sich zu neuen Formen, bis – beim ersten Einsatz des Horns – eine menschliche Gestalt entsteht. Diese Figur beginnt sich zu bewegen, immer rascher, bis sie in zwei Teile zerbricht; eine von ihnen bleibt, eingeschlossen hinter Gittern, auf der Erde zurück; die andere fliegt in der Gestalt eines Vogels zum Himmel (Flöteneinsatz). Der Rest des Films beschreibt den Flug des Vogels.
Zuerst fliegt er frei herum, dann bilden sich Sturmwolken, und ein schrecklicher Sturm bricht los. Der Vogel wird herumgeschleudert und von Blitzen gejagt, bis er schließlich zur Erde geworfen wird, wo er erschöpft liegenbleibt. Doch allmählich kommt die Sonne heraus, und der Vogel beginnt sich gleichzeitig mit der Natur zu erholen (Andantino pastorale). Blumen sprießen, Getreide wiegt sich im Wind, und der Vogel fliegt glücklich zwischen ihnen. Dann fliegt er hinaus auf die See, wo ihn eine verspielte Szene mit weißen Segeln und Wellen erwartet (Scherzando). Er spielt zwischen friedlichen Wolken herum, bevor sich ein zweiter Sturm zusammenbraut.
Allmählich lösen sich die Wolken wieder auf, und der Vogel fliegt friedlich hoch hinauf in den Himmel. Da taucht in einiger Entfernung die menschliche Gestalt hinter Gittern wieder auf (Molto tranquillo, Reprise des ersten Teils). Der Vogel fliegt zu ihr herunter, die Gitter verschwinden, und die beiden Gestalten, die am Anfang getrennt wurden, verbinden sich nun wieder und fliegen himmelwärts, bis sie in der Entfernung verschwinden.
Die Form der Fantasie kann also folgendermaßen zusammengefaßt werden:
I. Langsame Einleitung
II. Allegro con brio (Sturm)
III. Pastorale (Wiedererwachen der Natur)
IV. Allegro moderato (zweiter Sturm)
Überleitung
V. Reprise des ersten Teils.
Am Ende wird jedoch die düstere Atmosphäre des Beginns durch hohe, transparente, verklärte Klänge ersetzt. Die grundlegende Tendenz des Stückes ist also vom Dunkel zum Licht.” (M. Seiber)