Streichquartett Nr. 1 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Erwin Schulhoff

Streichquartett Nr. 1

Quartett Nr. 1 für zwei Violinen, Viola und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1760

Satzbezeichnungen

1. Presto con fuoco

2. Allegretto con moto e con malinconia grotesca

3. Allegro giocoso alla Slovacca

4. Andante molto sostenuto

Erläuterungen

Der Prager Erwin Schulhoff gehörte zu den international erfolgreichsten Komponisten der 20er Jahre, bevor er sich als überzeugter Kommunist der sowjetischen Propagandamusik anschloß. Dies sowie die Nazi-Okkupation Böhmens 1938 brachte ihn zwischen alle politischen Stühle der unruhigen Epoche: Er wurde als Deutsch-böhme von den nationaltschechischen Funktionären diskriminiert, als Kommunist von den deutschen Kollegen und als Jude von den Nazis. 1942 wurde er im KZ Wülzburg interniert, wo er an Lungentuberkulose starb.

Das 1. Streichquartett war einer der größten Erfolge in Schulhoffs Karriere: Die Uraufführung beim jährlichen Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik 1925 in Venedig wurde von Publikum und Presse umjubelt. Die Begeisterung ist noch heute verständlich, drückt das Werk in seiner prickelnden Nervosität und seiner folkloristisch gefärbten, schilernden Klangvielfalt doch vollendet den Zeitgeist der Epoche aus.

Das klassische viersätzige Schema, wie es Haydns „Quinten-Quartett“ zeigt, ist hier in origineller Weise variiert: Der langsame Satz steht nicht an zweiter Stelle, sondern am Ende, die drei ersten Sätze haben Tanzcharakter, so daß fast eine Art Suite entsteht.

Schon der Kopfsatz greift auf slawische Themen zurück. Bemerkenswert die exorbitanten Klangeffekte. Schulhoff hat das Streichquartett nicht als melodisch-thematischen Dialog begriffen wie Haydn, sondern als Klangkaleidoskop. Die vier Spieler liefern sich mal pizzicato, mal con arco, in den unterschiedlichen Strich- und Artikulationsarten einen Schlagabtausch von atemberaubender Virtuosität.

Die beiden Mittelsätze werden hinreichend durch ihre Überschriften erklärt: Der zweite Satz soll „mit grotesker Melancholie“ gespielt werden, der dritte ist ein Allegro giocoso alla Slovacca, ein von slowakischer Volksmusik inspiriertes Scherzo, wobei die Nachahmung täuschend echt ausfällt. Der Schulhoff-Biograph Josef Bek verwies auf eine Passage, in der das Streichquartett regelrecht „wie eine volkstümliche Kapelle mit ihrem Primas“ klinge.

Das Finale bildet den Gegenpol zur Vitalität der ersten drei Sätze: Das „poesievolle, melancholische Notturno wirkt wie der versonnene Ausklang einer turbulenten Begebenheit. Über einem ostinaten Pizzicato-‚Untergrund‘ schweben irrisierende Klänge; die dazwischen geschalteten Kadenzen im Mittelteil wirken wie der Nachhall der tänzerischen Eskapaden in den ersten drei Sätzen.“ (I. Allihn)