"Hot-Sonate" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Erwin Schulhoff

"Hot-Sonate"

Sonate für Altsaxophon und Klavier, „Hot-Sonate“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1759

Satzbezeichnungen

1. (M. M. Viertel = 66)

2. (M. M. Halbe = 112)

3. (M. M. Viertel = 80)

4. (M. M. Halbe = 132)

Erläuterungen

Schlägt man in Reiseführern der Nachkriegszeit unter Wülzburg nach, so findet man zwar bewundernde Beschreibungen der hochbarocken Festungsanlage, aber keinen Hinweis darauf, daß die Deutschen in der Festung oberhalb der Stadt Weißenburg in Mittelfranken Tausende von Juden internierten. Wülzburg war das Sammelzentrum für tschechische und polnische Juden, die zugleich Staatsbürger anderer Nationen waren. Hier wurde 1941 auch der tschechische Komponist Erwin Schulhoff interniert, seit den 30er Jahren sowjetischer Staatsbürger und überzeugter Kommunist. Aus einem Bericht des russischen Mitgefangenen Lew Bereskin geht hervor, wie Schulhoff im Lager lebte. Er war von der Arbeitspflicht befreit, hatte aber genauso wie alle anderen unter den Schikanen des Lagerkommandanten und besonders eines Unteroffiziers zu leiden. Zu den „guten Deutschen“ im Lager gehörten der Vizekommandant, der besonders die Lebensbedingungen der inhaftierten Intellektuellen zu verbessern versuchte, und der Krankenpfleger Prokopec, der über seine Station Leben zu retten versuchte, so gut es ging. Erwin Schulhoffs Tod an Hals- und Lungentuberkulose am 28. August 1942 konnte er nicht verhindern.

In den 20er und 30er Jahren hatte Schulhoff zu den führenden Vertretern der tschechischen Avantgarde gehört. Seine sozusagen stürmische stilisische Entwicklung führte von expressionistischen Anfängen über den Dadaismus bis einem eklektischen Reifestil um 1930.

Zu den schillernden Facetten seines Oeuvres gehört die Auseinandersetzung mit dem Jazz, die in der 1930 komponierten Hot-Sonate für Altsaxophon und Klavier ihren Höhepunkt fand. Man kann Schulhoffs Beschäftigung mit dem Jazz im Zusammenhang mit der Jazz-Rezeption der 20er Jahre sehen, so etwa bei Ravel, Strawinsky oder an den deutschen Musikinstituten, wo die ersten Jazz-Klassen entstanden. Für ihn hatte die neue Musikrichtung jedoch eine sehr persönliche Note. Jazz war für ihn eine Quelle für antiintellektuelle, sinnliche Ästhetik, die sich gegen den Expressionsimus richtete. „Meine Devise: Lernt Dada … Kunst ist: Kunst nicht zur Kunst machen!“ notierte der 26jährige Klavierlehrer an Bornscheins Konservatorium der Musik in Saarbrücken Ende 1920 in sein Tagebuch. Der frustrierende Aufenthalt im französisch besetzten Saarland brachte ihm als einzige Anregung die Begegnung mit ausländischen Jazzkapellen. Es folgten Jahre glühender Begeisterung für die Dada-Bewegung, die sich mit dem Haß auf die „verbürgerte Sorte der expressionistischen Verwesungstype“ verband. Gleichzeitig nahmen die Jazz-Sätze und – zyklen in seinem Schaffen ständig zu. Bis zur Komposition der Hot-Sonate hatte sich Schulhoff u. a. durch die Veröffentlichung einer Jazz-Schule für Klavier zu einem anerkannten Experten der Richtung entwickelt, so daß der Schott-Verlag in Mainz seine neue Sonate sofort zum Druck annahm.

Ihre Uraufführung erlebte sie in der Funk-Stunde Berlin am 10. 4. 1930 durch Erwin Schulhoff und den Saxophonisten Billy Barton von der Londoner Savoy Orpheans Band.„Im Vergleich mit anderen Jazzkompositionen nimmt das … Werk einen höheren Rang ein. Die Jazzelemente sind in die Strukturen der klassischen Sonatenform integriert, ohne daß die Komposition dadurch ihren Jazzcharakter einbüßte, sie behält ihre Spontaneität und Leichtigkeit…. Typisch sind die Verwendung von Pentatonik, Quart-Quint-Harmonik, Akkordparallelen, Polyrhythmik und eine motorische Begleitung.“ (Josef Bek) Der Verzicht auf Tempoangaben für die vier Sätze (es sind nur Metronomzahlen angegeben) erklärt sich aus ihren Tanzcharakteren, die sich nicht mit den üblichen Sätzen einer Sonate decken. Spielanweisungen wie lamentuoso ma molto grottesco und sempre glissando (Saxophon im 3. Satz) verraten ironische Distanz zur klassischen Sonate. Dennoch hat Schulhoff auf Zusammenhang geachtet, indem er das Material aller vier Sätze einheitlich gestaltete und im Finale einen deutlichen Anklang an das Hauptthema des ersten Satzes einbaute.

2003
ERWIN SCHULHOFF
Hotsonate

Heutzutage, wo alles „cool“ sein muss, was sich auf der Höhe der Zeit bewegt, ist fast in Vergessenheit geraten, dass man früher eher von „heißen Rhythmen“ und „heißer Musik“ sprach. Das Wort kam aus Amerika, wo „hot“ für alles stand, was einem Hitzewallungen auf die Stirn treiben konnte – vom heißen Jazz bis zu „heißen Mädels“. Billy Wilder hat diese Atmosphäre in seinem Kino-Klassiker Some like it hot – Manche mögen’s heiß auf unnachahmliche Weise beschworen. In eben diese Zeit fällt auch die Hot-Sonate des Prager Komponisten Erwin Schulhoff: 1928 für Altsaxophon und Klavier komponiert, hat sie Wolfgang Güttler auf den Kontrabass übertragen.

Schulhoff galt in den wilden 20ern als Enfant terrible der Moderne, ein Musiker, der vom Dada bis zur kommunistischen Agitationsmusik alle Spielarten des Zeitgeistes auskostete. In den Zwanzigern entdeckte er auch den Jazz für sich – wie Ravel, Strawinsky, Hindemith. Für den Kommunisten Schulhoff hatte der Jazz auch eine ideologische Note als antiintellektuelle, sinnliche Musik, die sich gegen die „verbürgerte Sorte der expressionistischen Verwesungstype“ richtete. Als Verfasser einer Jazz-Klavierschule galt er als Experte in Jazzfragen, was er mit der Hot-Sonate noch unterstrich. Ihre Uraufführung erlebte sie 1930 in der Funk-Stunde Berlin durch den Komponisten am Klavier und den Saxophonisten Billy Barton von der Londoner Savoy Orpheans Band. „Im Vergleich mit anderen Jazzkompositionen nimmt das Werk einen höheren Rang ein. Die Jazzelemente sind in die Strukturen der klassischen Sonatenform integriert, ohne dass die Komposition dadurch ihren Jazzcharakter einbüßte. Sie behält ihre Spontaneität und Leichtigkeit…“ (Josef Bek).