Duo für Violine und Violoncello (1925)
Werkverzeichnisnummer: 1758
1. Moderato
2. Zingaresca. Allegro giocoso
3. Andantino
4. Moderato – Presto fantastico
2001
ERWIN SCHULHOFF
Duo für Violine und Violoncello
Die Wiederentdeckung des Prager Komponisten Erwin Schulhoff und seines Oeuvres, die insbesondere von Gidon Kremer und seinem Festival in Lockenhaus ausging, ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung, die Rehabilitierung eines Vorreiters der frühen Avantgarde, der in einem deutschen Konzentrationslager starb. Schlägt man in Reiseführern der Nachkriegszeit unter „Wülzburg“ nach, so findet man zwar bewundernde Beschreibungen der hochbarocken Wehranlage, aber keinen Hinweis darauf, dass die Deutschen in der Festung oberhalb der Stadt Weißenburg in Mittelfranken während des Krieges Tausende von Juden interniert hatten. Wülzburg war das Sammelzentrum für tschechische und polnische Juden, die zugleich Staatsbürger anderer Nationen waren. Aus diesem Grunde wurde auch der Prager Komponist Erwin Schulhoff, seit den 30er-Jahren sowjetischer Staatsbürger, dort und nicht etwa in Theresienstadt interniert. Aus dem Bericht eines russischen Mitgefangenen geht hervor, wie Schulhoff im Lager lebte. Er war von der Arbeitspflicht befreit, hatte aber wie alle anderen unter den Schikanen des Lagerkommandanten und bestimmter Offiziere zu leiden. Zu den „guten Deutschen“ im Lager gehörten der Vizekommandant, der besonders die Lebensbedingungen der inhaftierten Intellektuellen zu verbessern versuchte, und der Krankenpfleger Prokopec, der über seine Station Leben zu retten versuchte, so gut es ging. Erwin Schulhoffs Tod an Hals- und Lungentuberkulose am 28. August 1942 konnte er nicht verhindern.
In den 20er-Jahren hatte Schulhoff zu den schillerndsten Figuren im Aufbruch zur Moderne gehört. Er hatte auf Empfehlung von Dvorák in seiner Heimatstadt Prag bei Kaan studiert, später auch kurze Zeit bei Reger und Debussy. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er in Italien gekämpft hatte, ging er zunächst nach Dresden, wo er eine Konzertreihe mit Werken der Wiener Schule ins Leben rief. Daneben experimentierte er gemeinsam mit Dadaisten und Kubisten, wandte sich als einer der ersten dem Jazz zu und setzte sich als hervorragender Pianist für die neusten Errungenschaften wie die Vierteltonexperimente Hábas ein. Seine eigenen Werke wurden auf den wichtigsten Festivals der Internationalen Gesellschaft für zeitgenössische Musik in Salzburg, Genf, Venedig und Donaueschingen gespielt. Dabei nahm seine Kammermusik einen zentralen Platz ein.
Das Duo für Violine und Violoncello komponierte Schulhoff 1926, zwei Jahre nach seinem internationalen Durchbruch mit den Fünf Stücken für Streichquartett. Es zeigt den expressiven Reichtum und die große Originalität seiner Musik. Von den vier Sätzen sind der erste und der letzte subtil aufeinander bezogen: Im einleitenden Moderato kehrt das Anfangsthema der Violine rondoartig wieder. Es wird im Finale wieder aufgegriffen und dabei auf originelle Weise verändert, denn es steht nicht mehr im Fünfertakt, wie im ersten Satz, sondern im Vierertakt, und ist melodisch durch leichte Abweichungen in eine pentatonische Melodie verwandelt. Diese feinsinnige Reprise legt eine unaufdringliche Klammer um das Werk, das ansonsten vor allem durch seine spieltechnischen Raffinessen fesselt.
Im ersten Satz unterbrechen wechselnde Episoden den Fluss des Moderato: ein Allegretto, eine volkstümliche Melodie, die die Geige sul ponticello bzw. im Flageolett über einem Bordun des Cellos spielt, sowie ein virtuoser Ausbruch. Der zweite Satz vertritt die Stelle eines Scherzos und bemüht den dafür schon bei Haydn und Brahms beliebten Topos der Zingaresca, des Zigeunerstücks. Im Andantino trägt die Violine eine einfache Melodie mit Dämpfer vor, gestützt vom Pizzicato-Bass des Cellos; später tauschen die Instrumente mehrmals die Rollen. Das Finale beginnt mit der schon erwähnten Wiederaufnahme aus dem ersten Satz, läuft dann aber in einem wilden Presto fanatico aus, in dem Schulhoffs Streichersatz bartóksche Härten erreicht.
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Der tschechische Komponist ERVÍN SCHULHOFF ist ein Vertreter jener „lost generation“ von Komponisten der frühen Moderne, die erst in jüngster Zeit wiederentdeckt werden wie etwa auch Ernest Bloch, Erich Wolfgang Korngold oder Rudi Stephan. Daß viele von ihnen Juden waren, ist kein Zufall. Sie fielen dem Terror des Nazi-Regimes zum Opfer, das sie umbrachte oder in die Emigration trieb und auch posthum dafür sorgte, daß sich der Ruf ihres Werkes nicht angemessen ausbreiten konnte. Ervín Schulhoff war als aktiver Kommunist, sowjetischer Staatsbürger und Jude einer der ersten, den die Deutschen nach ihrer Besetzung der Tschechoslowakei inhaftierten. Er wurde 1942 im Konzentrationslager Wülzburg umgebracht. Die Wiederentdeckung seines Oeuvres, die in letzter Zeit besonders aktiv Gidon Kremer in Lockenhaus betrieb, ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung, eine Rehabilitierung für einen Vorreiter der frühen Avantgarde.
Schulhoff hatte auf Empfehlung von Dvorak in seiner Heimatstadt Prag bei Kaan studiert, später auch kurze Zeit bei Reger und Debussy. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er u. a. in Italien gekämpft hatte, ging er zunächst nach Dresden, wo er eine Konzertreihe mit Werken der „Neuen Wiener Schule“ ins Leben rief. Daneben experimentierte er gemeinsam mit Dadaisten und Kubisten, wandte sich als einer der ersten dem Jazz zu und setzte sich als hervorragender Pianist für die neuesten Errungenschaften der Zeit wie die Vierteltonexperimente Hábas ein. Seine eigenen Werke wurden auf den wichtigsten Festivals der Internationalen Gesellschaft für zeitgenössische Musik in Salzburg, Genf, Venedig und Donaueschingen gespielt. Dabei nahm die Kammermusik einen zentralen Platz ein.
Das Duo für Violine und Violoncello komponierte Schulhoff 1926, zwei Jahre nach seinem internationalen Durchbruch mit den Fünf Stücken für Streichquartett. Es zeigt den expressiven Reichtum und die große Originalität seiner Musik. Von seinen vier Sätzen sind der erste und der letzte subtil aufeinander bezogen: Im einleitenden Moderato kehrt das Anfangsthema der Violine rondoartig wieder. Es wird im Finale wieder aufgegriffen und dabei auf originelle Weise verändert, denn es steht nicht mehr im Fünfertakt, wie im ersten Satz , sondern im Vierer, und ist melodisch durch leichte Abweichungen in eine pentatonische Melodie verwandelt. Diese feinsinnige Reprise legt eine unaufdringliche Klammer um das Werk, das ansonsten vor allem durch seine spieltechnischen Raffinessen und die Ausgewogenheit des Dialogs zwischen den Instrumenten begeistert. Im ersten Satz unterbrechen wechselnde Episoden den Fluss des Moderato: ein Allegretto, eine volkstümliche Melodie, die die Geige sul ponticello bzw. im Flageolett über einem Bordun des Cellos spielt, sowie ein virtuoser Ausbruch. Der zweite Satz vertritt die Stelle eines Scherzos und bemüht den schon von Haydn und Brahms zitierten Topos der Zingaresca, des Zigeunerstücks. Im Andantino trägt die Violine eine semplice-Melodie con sordino vor, gestützt vom Pizzicato-Bass des Cellos; später tauschen die Instrumente mehrmals die Rollen. Das Finale beginnt mit der schon erwähnten Wiederaufnahme aus dem ersten Satz, läuft dann aber in einem wilden Presto fanatico aus, in dem Schulhoffs Streichersatz Bartóksche Härten erreicht.
Seit sie Gidon Kremer in Lockenhaus Mitte der 80er Jahre wieder einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte, hat die Musik Erwin Schulhoffs eine Renaissance erlebt wie wohl keine zweite in der langen Reihe der von den Nazis ausgetilgten „entarteten Musik“. Das lange, fast könnte man sagen eiserne Schweigen der westlichen Musikwelt zum Werk der Nazi-Opfer schien mit einem Male gebrochen. Die Schulhoff-Renaissance war der Auftakt zu einer Rückerinnerung an die Vergessenen, die heute noch lange nicht abgeschlossen ist.
Schulhoff selbst wurde zum Opfer, nicht nur weil er Jude, sondern auch weil er Kommunist und sowjetischer Staatsbürger war. Bewahrte ihn dies nach der Besetzung der Tschechoslowakei 1939 noch vorläufig vor dem Zugriff der Deutschen, so fiel dieser Schutz mit dem Überfall auf Rußland weg. 1941 inhaftiert, starb er 1942 im Konzentrationslager Wülzburg an Lungentuberkulose.
Sein Duo für Violine und Violoncello aus dem Jahre 1925 kann sich neben den Klassikern des Genres, Kodalys Duo von 1914 und Ravels Sonate von 1920/22, behaupten. Die Synthese aus Kunst- und Volksmusik gelang ihm ebenso mühelos wie den großen Vorbildern, deren ungarische bzw. französische Färbung hier durch einen tschechischen Ton ersetzt wird. Die freie Gegenbewegung, die den ersten Satz eröffnet, bildet den Refrain für Episoden von zunehmend roher, volkstümlicher Wildheit. Die Zingaresca des zweiten Satzes wirkt wie eine Umsetzung von Schulhoffs Bekenntnis, Musik sei „niemals Philosophie“, sondern entspringe „dem ekstatischen Zustande“ und finde „in der rhythmischen Bewegung ihren Ausdruck“. Das Andantino setzt – durch con sordino und Pizzicato einerseits, seinen ruhig sich entfaltenden Wechselgesang andererseits – einen Ruhepunkt vor dem Finale, das thematisch an den Kopfsatz anknüpft. Kongenial hat der Komponist in allen vier Sätzen die klangfarblichen und spieltechnischen Ressourcen der beiden Instrumente ausgeschöpft.