Klaviertrio Es-Dur, op. 100 (D 929) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Franz Schubert

Klaviertrio Es-Dur, op. 100 (D 929)

Trio Es-Dur für Klavier, Violine und Violoncello, op. 100 (D 929)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1751

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Andante con moto

3. Scherzando. Allegro moderato – Trio

4. Allegro moderato

Erläuterungen

2001
FRANZ SCHUBERT
Trio Es-Dur, D 929

Nach Beethovens Opus 97 versank die Gattung Klaviertrio für ein Jahrzehnt in Letargie – solange, bis Franz Schubert in seinem Todesjahr 1828 sein Es-Dur-Trio im Druck vorlegte. „Wie eine zürnende Himmelserscheinung“ sei es über das damalige „Musiktreiben“ hinweggegangen, erinnerte sich noch zehn Jahre später Robert Schumann. Für ihn blieb es zeitlebens Schuberts „Eigen-thümlichstes“, ein Nonplusultra romantischer Kammermusik. „Dedicirt wird dieses Werk Niemandem außer jenen, die Gefallen daran finden,“ schrieb Schubert selbstbewusst seinem Verleger Probst, der das Werk anstelle des Mainzer Schottverlags in seinen Katalog aufnahm. Eine Widmung an einen adligen Gönner wie bei Beethoven wäre für den Freigeist Schubert nicht in Frage gekommen. Übrigens hat er den Notendruck des Trios nicht mehr zu sehen bekommen. Die Erstausgabe traf erst Mitte Dezember 1828 in Wien ein, Schubert war am 19. November gestorben.

Das Es-Dur-Trio entstand im November 1827, in der Zeit der Winterreise, was seinen melodischen Duktus, die harmonischen Abstürze und die existentielle Spannung in fast jedem Takt erklärt.
Im Vergleich zu seinem Schwesterwerk in B-Dur, D 898, fand Schumann das Es-Dur-Trio „mehr handelnd, männlich, dramatisch.“ Sein erster Satz, Allegro, hat in der Tat ein für Schubert ungewöhnlich knappes und energisches Hauptthema – fast möchte man sagen: ein typischer Beethoven. Ihm tritt ein schattenhaftes Seitenthema gegenüber, im Rhythmus jazzartig gegen den Takt verschoben, im Klang von jenem untergründigen Beben durchzogen, das die Nähe zur Winterreise ahnen lässt. Schumann hörte aus den beiden Themen „tiefen Zorn und wiederum überschwengliche Sehnsucht“ heraus. Letztere prägt vor allem die Durchführung, die auf dem dritten, gesanglichen Thema des Satzes aufbaut und sich, wie immer beim späten Schubert, in großen Blöcken aus weiträumigen Motivsequenzen aufbaut

Den zweiten Satz, Andante con moto, umschrieb Schumann als einen „Seufzer, der sich bis zur Herzensangst steigern möchte.“ Der Seufzer liegt im melancholischen Mollthema, das zu Beginn vom Cello über eisigen Staccatoakkorden des Klaviers vorgetragen wird. Die Nähe zur Winterreise ist hier nicht zu überhören, zumal das Thema tatsächlich auf ein Lied zurückgeht. Schubert soll es dem schwedischen Volkslied Se solen sjunker („Sieh‘ die Sonne untergehen…“) nachempfunden haben, das er Anfang November 1827 im Hause der Schwestern Fröhlich, gesungen von dem schwedischen Tenor Isaak Albert Berg, gehört hatte. Dem Thema, das das Klavier aufgreift, tritt ein zweites, zunächst freundlicheres in Dur gegenüber. Dessen sanfte Oktavsprünge verkehren sich jedoch bald in aggressiv fordernde Gesten, die in immer kraftvolleren Steigerungen kulminieren, bis das Hauptthema wieder einsetzt. Über bebenden Klavierakkorden wird letzteres „bis zur Herzensangst gesteigert“. Nach einem zweiten, ebenfalls tumultösen Durchlauf des Seitenthemas bringt der Schluss noch einmal das Hauptthema. Es wird durch neue Harmonien in eine unnachahmliche Geste der Resignation verwandelt.

Das Scherzando wirkt danach fast spielerisch gelöst. Dass es im Kanon zwischen Klavier und Streichern abläuft, zeugt von Schuberts spät erwachtem Interesse am Kontrapunkt-Studium, das er noch kurz vor seinem Tod bei Simon Sechter aufnahm. Das Trio, sonst bei ihm oft ein träumerisches Klangspiel, ist hier eine bissig-ironische Episode.

Besonders ambitioniert hat Schubert das Finale, Allegro moderato, angelegt – und sich dabei offenbar übernommen. Vor der Veröffentlichung des Werkes strich er aus der Durchführung zweimal 50 Takte; auch ohne sie erreicht der Satz mit knapp 750 Takten monumentale Länge. Seine beiden Themen kontrastieren in Tonart, Charakter und sogar in der Taktakt. Das erste ist ein nonchalanter Tanz in Dur im Sechs-achteltakt, das zweite eine unruhig flackernde Tremolomelodie in Moll im duolischen Metrum. Der Widerstreit der Themen und der ständige Wechsel zwischen Zweier- und Dreiermetrum verleihen dem Satz einen Schwung, der über die „himmlischen Längen“ spielend hinwegträgt.

Hinzu kommen seine harmonischen Rückungen. So beginnt etwa die Durchführung im entlegenen h-Moll. Höhepunkt des Satzes ist die Wiederkehr des „schwedischen“ Themas aus dem zweiten Satz. Es tritt in Durchführung und Coda jeweils im Cello wieder auf, nun im triolischen Rhythmus und mit einer wundervollen neuen Begleitung versehen. Am Ende des Satzes wird die Melancholie dieser Stelle endlich durch einen kraftvollen Durschluss überwunden. Der misanthropische Bann über dem Stück scheint endlich gebrochen.

Karl Böhmer

2002
FRANZ SCHUBERT
Klaviertrio Es-Dur, op. 100

Dreißig Jahre nach Haydns letzten Klaviertrios hat Franz Schubert in Wien seine beiden großen Beiträge zu dem Genre geschaffen: die Trios in B-Dur und Es-Dur, opp. 99 und 100. Der Abstand zwischen diesen monumentalen Werken und Haydns gediegener Triokunst könnte kaum größer sein. Schuberts Musik sprengt jene natürlichen Proportionen, die Haydns Musik so selbstverständlich erscheinen lassen. Mit fast einer Stunde Spieldauer und einem in jedem der vier Sätze bis zum Zerreißen gespannten Affektradius ist sein Opus 100 im Trio-Repertoire das bis heute unübertroffene Beispiel einer tiefromantischen Sehnsuchtsmusik von heroisch-monumentalen Ausmaßen.

Die „himmlischen Längen“ dieses Werkes, um Robert Schumanns oft zitiertes Bonmot zur großen C-Dur-Sinfonie zu gebrauchen, sind Sehnsuchtsdimensionen eines Komponisten, der sich als Fürsprecher einer „lost generation“ verstand. Die österreichische Jugend suchte nach dem Wiener Kongress in der Kunst Befreiung von der bedrückenden Erfahrung des Metternich-Regimes. Für sie reichte Schuberts Musik aus der trüben Gegenwart in „schön’re Welten“, sie beschwor „allmächt´gen Liebestraum“ im vollen Bewusstsein seiner Unrealisierbarkeit, wie es Schubert in seinen Gedichten in Worte gefasst hat.

Die Gebrochenheit dieser Weltsicht wird gerade im Vergleich zu Haydn deutlich. Dessen Bekenntnis zum Witz im aufklärerischen Sinne, zur geistreichen Konversation unter gebildeten Spielern, steht im krassesten Widerspruch zu den Abstürzen in Schuberts Musik, die uns an den Rand der Todeserfahrung führen. Wo Haydn auf den Sieg der Vernunft vertraute, greift bei Schubert die Erkenntnis der eigenen Tatenlosigkeit um sich, gefolgt von der Beschwörung einer transzendenten Erlösung.

Ein Klaviertrio von so bekenntnishaftem Zuschnitt verstand sich im Jahre 1828, als die Noten in Leipzig erschienen, keineswegs von selbst. „Wie eine zürnende Himmelserscheinung“ sei Schuberts Trio über das damalige „Musiktreiben“ hinweggegangen, erinnerte sich noch zehn Jahre später Robert Schumann. Für ihn blieb das Es-Dur-Trio zeitlebens Schuberts „Eigenthümlichstes“, ein Nonplusultra romantischer Kammermusik.
„Dedicirt wird dieses Werk Niemandem außer jenen, die Gefallen daran finden,“ schrieb Schubert selbstbewusst seinem Verleger Probst, der das Trio anstelle des Mainzer Schottverlags in seinen Katalog aufnahm. Eine Widmung an adlige Gönner wäre für den Freigeist Schubert nicht in Frage gekommen. Den sehnsüchtig erwarteten Erstdruck des Trios hat er dann doch nicht mehr zu sehen bekommen. Die Ausgabe traf erst Mitte Dezember 1828 in Wien ein; Schubert war am 19. November gestorben.

Das Es-Dur-Trio entstand im November 1827, in der Zeit der Winterreise, was seinen melodischen Duktus, die harmonischen Abstürze und die existentielle Spannung in fast jedem Takt erklärt. Im Vergleich zu seinem Schwesterwerk in B-Dur, D 898, fand Schumann das Es-Dur-Trio „mehr handelnd, männlich, dramatisch.“ Sein erster Satz, Allegro, hat in der Tat ein für Schubert ungewöhnlich knappes und energisches Hauptthema – fast möchte man sagen: ein typischer Beethoven. Ihm tritt ein schattenhaftes Seitenthema gegenüber, im Rhythmus jazzartig gegen den Takt verschoben, im Klang von jenem untergründigen Beben durchzogen, das die Nähe zur Winterreise ahnen lässt. Schumann hörte aus den beiden Themen „tiefen Zorn und wiederum überschwengliche Sehnsucht“ heraus. Letztere prägt vor allem die Durchführung, die auf dem dritten, gesanglichen Thema des Satzes aufbaut und sich, wie immer beim späten Schubert, in großen Blöcken aus weiträumigen Motivsequenzen aufbaut

Den zweiten Satz, Andante con moto, umschrieb Schumann als einen „Seufzer, der sich bis zur Herzensangst steigern möchte.“ Der Seufzer liegt im melancholischen Mollthema, das zu Beginn vom Cello über eisigen Staccatoakkorden des Klaviers vorgetragen wird. Die Nähe zu den „Gefrornen Tränen“ in der Winterreise ist hier nicht zu überhören, zumal das Thema tatsächlich auf ein Lied zurückgeht. Schubert soll es dem schwedischen Volkslied Se solen sjunker („Sieh‘ die Sonne untergehen…“) nachempfunden haben, das er Anfang November 1827 im Hause der Schwestern Fröhlich, gesungen von dem schwedischen Tenor Isaak Albert Berg, gehört hatte. Dem Thema, das das Klavier aufgreift, tritt ein zweites, zunächst freundlicheres in Dur gegenüber. Dessen sanfte Oktavsprünge verkehren sich jedoch bald in aggressiv fordernde Gesten, die in einer ungeheuren Klimax kulminieren, bevor das Hauptthema wieder einsetzt. Über bebenden Klavierakkorden wird letzteres „bis zur Herzensangst gesteigert“. Nach einem zweiten, noch drängenderen Durchlauf des Seitenthemas bringt der Schluss noch einmal das Hauptthema. Es wird durch neue Harmonien in eine unnachahmliche Geste der Resignation verwandelt.

Das Scherzando wirkt danach fast spielerisch gelöst. Dass es im Kanon zwischen Klavier und Streichern abläuft, zeugt von Schuberts spät erwachtem Interesse am Kontrapunkt-Studium, das er noch kurz vor seinem Tod bei Simon Sechter aufnahm. Das Trio, sonst bei ihm oft ein träumerisches Klangspiel, ist hier eine bissig-ironische Episode.

Besonders ambitioniert hat Schubert das Finale, Allegro moderato, angelegt – und sich dabei offenbar übernommen. Vor der Veröffentlichung des Werkes strich er aus der Durchführung zweimal 50 Takte; auch ohne sie erreicht der Satz mit knapp 750 Takten monumentale Länge. Seine beiden Themen kontrastieren in Tonart, Charakter und sogar in der Taktakt. Das erste ist ein nonchalanter Tanz in Dur im Sechsachteltakt, das zweite eine unruhig flackernde Tremolomelodie in Moll im duolischen Metrum. Der Widerstreit der Themen und der ständige Wechsel zwischen Zweier- und Dreiermetrum verleihen dem Satz einen Schwung, der über die „himmlischen Längen“ spielend hinwegträgt. Hinzu kommen seine harmonischen Rückungen. So beginnt etwa die Durchführung im entlegenen h-Moll. Höhepunkt des Satzes ist die Wiederkehr des „schwedischen“ Themas aus dem zweiten Satz. Es tritt in Durchführung und Coda jeweils im Cello wieder auf, nun im triolischen Rhythmus und mit einer wundervollen neuen Begleitung versehen. Am Ende des Satzes wird die Melancholie dieser Stelle endlich durch einen kraftvollen Durschluss überwunden. Der misanthropische Bann über dem Stück scheint endlich gebrochen.

Karl Böhmer