Trio B-Dur für Violine, Viola und Violoncello, D 581
Werkverzeichnisnummer: 1749
1. Allegro moderato
2. Andante
3. Menuetto. Allegretto – Trio
4. Rondo. Allegretto
2019:
„Die erste Ab¬tei¬lung des Kon¬zerts be¬gann mit ei¬ner wun¬der¬li¬chen Ou¬ver¬tü¬re von ei¬nem jun¬gen Com¬po¬si¬teur, Hrn. Franz Schub¬ert. Die¬ser, ein Schü¬ler un¬se¬res hoch ver¬ehr¬ten Sa¬li¬e¬ri, weiß jetzt schon alle Her¬zen zu rüh¬ren und zu er¬schüt¬tern. Ob¬wohl das The¬ma be¬frem¬dend ein¬fach war, ent-wi¬ckel¬te sich aus dem¬sel¬ben eine Fül¬le der über¬ra¬schends¬ten und an¬ge¬nehms¬ten Ge¬dan¬ken, mit Kraft und Ge¬wand¬theit aus¬ge¬führt. Möge uns die¬ser Künst¬ler doch recht bald wie¬der mit ei¬ner neu¬en Gabe er¬freu¬en.“ Die¬se Re¬zen¬si¬on vom März 1818 be¬schreibt die Aufführung einer Schubertschen Ouvertüre für Orchester in einem Wiener Konzert. Dieselben Sätze lie¬ßen sich über Schub¬erts schö¬nes Streichtrio B-Dur sa¬gen: Ob¬wohl dessen Hauptthe¬ma „be¬frem¬dend ein¬fach“ ist, ent¬wi¬ckel¬t sich daraus „eine Fül¬le der über¬ra¬schends¬ten und an¬ge¬nehms¬ten Ge¬dan¬ken“.
Otto Erich Deutsch gab dem Trio in sei¬nem Schub¬ert-Wer¬ke¬ver¬zeich¬nis die Num¬mer D 581. Im September 1817 komponiert, hat ihm Schubert später sogar die Ehre einer überarbeiteten Fassung zuteil werden lassen, dennoch ist es ein typisches Zeugnis seines Entstehungsjahrs 1817. Den Sommer dieses Jahres empfand Schubert selbst als entscheidenden Wendepunkt in seinem künstlerischen Schaffen. Im Juni begann er stolz eine Folge neuer Klaviersonaten. Im August setzte er mit der A-Dur-Violinsonate, D 574, den vorläufigen Schlusspunkt unter seine Beschäftigung mit dieser Gattung, im September folgte das Streichtrio und im Oktober die Sechste Sinfonie, seine bislang größte. In diesen Werken gipfelt seine Auseinandersetzung mit der Tradition der Wiener Klassik und geht zugleich merklich in sein eigenes, romantisches Idiom über. So sind auch die vier Sätze des B-Dur-Trios äußerlich ganz klassizistisch angelegt, bis in jedem Satz romantische Abgründe aufbrechen.
Bestimmt war dieses Werk für Schuberts häusliche Kammermusik mit seinem Vater und seinen Brüdern. Dabei spielte er stets die Viola, obwohl er mit Abstand der beste Geiger seiner Familie war, wie seine Schulzeugnisse belegen. Außerdem hatte er am K. K. Stadtkonvikt als Konzertmeister die täglichen Orchesterproben geleitet und in der Kammermusik mitgewirkt. An der Schule hatten sich „außer den kirchlichen Leistungen der stipendierten Sängerknaben kleine, vom Herrn Direktor gerne geduldete Koterien zur Aufführung von Streich- und Singquartetten“ gebildet. Zu deren Repertoire gehörten selbstverständlich auch Streichtrios, in denen Schubert die Bratsche spielte. Also übernahm er diese Aufgabe auch zuhause, wie sein Bruder Ferdinand berichtete: „Für seinen Vater und die älteren Brüder war es ein vorzüglicher Genuss, mit ihm Quartetten zu spielen. Dies geschah meistens in den Ferial-Monaten … Bei diesen Quartetten spielte Franz immer Viola, sein Bruder Ignaz die zweite, Ferdinand die erste Violine, und der Papa Violoncello.“ In dieser Besetzung muss man sich die Uraufführung des B-Dur-Trios vorstellen: Ferdinand Schubert an der Violine, Franz an der Viola und der Vater am Cello.
Das einleitende Allegro moderato in Sonatenform wird ganz vom gleichsam „Mozartschen“ Hauptthema der Violine beherrscht. Als Überleitungen dienen Dialoge mit dem Cello, die an Rossini gemahnen. Der junge Schubert liebte die Opern des „Schwans von Pesaro“, insbesondere den dramatischen Otello. Das kann man im Mittelteil des Satzes hören, wenn aus einem typischen Rossini-Motiv plötzlich eine düstere fis-Moll-Episode hervorbricht, gleichsam die Cavatina einer verzweifelten Primadonna. Schuberts Ambitionen waren damals noch ganz auf die Oper gerichtet, ein Traum, den er erst 1826 aufgeben sollte. Entsprechend gesanglich und „opernhaft“ wirkt manches in seinem Streichtrio.
Im Andante erwies er dem ehrwürdigen „Papa Haydn“ die Ehre: Das liebliche Violinthema im Sechsachteltakt wäre gleichsam „ganz Haydn“, würde es nicht von irritierenden Stockungen und Moll-Seufzern unterbrochen. Im Mittelteil treten plötzlich die romantischen Abgründe in Schuberts Musik hervor: Die Tonart wechselt von F-Dur nach f-Moll. Über einem ständig wiederholten, kreisenden Motiv des Cellos erhebt sich ein düsterer f-Moll-Kanon zwischen Violine und Viola. Nur allmählich lichtet sich das Dunkel, bis ein Zitat aus Mozarts Zauberflöte nach As-Dur-lenkt. Es handelt sich um Taminos Solo aus der Geharnischten-Szene, „Wir wandeln durch des Todes Nacht“, das im Original in F-Dur steht wie Schuberts Andante. Damit wird nachträglich auch der Ursprung des kreisenden Cellomotivs deutlich: Schubert hat den Mittelteil des Satzes wie ein „Wandeln durch des Todes Nacht“ aus Mozarts Motiv abgeleitet. Aus dem Mozart-Zitat entsteht mittels der Seufzermotive aus dem ersten Teil die Rückleitung zur Reprise. Dabei ziert der Geiger die Haydneseke Melodie des ersten Teils auf wunderbare Weise aus. Der Schluss des Satzes mutet in seinen Dur-Moll-Wechseln schon ganz „Schubertisch“ an.
Der Tanzsatz heißt zwar Menuett, ist in Wahrheit aber ein Ländler über eine liebliche Melodie, die sich über absteigenden Bässen gesanglich entfaltet. Im Trio geht es noch österreichischer zu: Der Bratschist spielt seinen Ländler so bodenständig, als würde ein Musikant in einem Beisl zum Tanz aufspielen, was sich erst im zweiten Teil in melancholische Molltöne verkehrt. Schubert hat sich dieses Solo selbst auf den Leib geschrieben.
Das Finale greift den volkstümlichen Ton des Trios auf: Sein Rondothema ist eine Polka im gemütlichen Allegretto und erinnert melodisch an Schuberts viel spätere Moments musicaux für Klavier. Nicht nur das Thema klingt wie österreichische Volksmusik, sondern auch die Episoden. Man hört, dass Schubert auf seinen Wanderungen durch Oberösterreich der Tanzmusik der einfachen Leute aufmerksam gelauscht hat. Freilich ist der Satz im wahrsten Sinn des Wortes „doppelbödig“: Die naive Unschuld des Tanzbodens verkehrt sich immer wieder in krasse Mollabgründe, besonders im langen g-Moll- Mittelteil. Er beginnt mit düster-romantischen Klangballungen, bis sich auf einmal wieder der „Volkston“ hören lässt, so als wäre nichts gewesen. Schubert hat diesen romantisch widersprüchlichen Satz mit einem ironischen Wiener Schlenker ausklingen lassen: erst plötzliches Forte, dann zartes Piano, und die Volksmusikanten ziehen von dannen.
-
FRANZ SCHUBERT hat in den Jahren 1816/17 zwei Streichtrios geschrieben, von denen das erste in B-Dur, D 471, unvollendet blieb: an seinen vollständigen ersten Satz, Allegro, schließen sich 39 Takte eines unvollendeten Andante an. Fragmente sind in Schuberts Gesamtwerk ja nichts Ungewöhnliches – die „Unvollendete“ Sinfonie und der Quartettsatz c-Moll sind nur die bekanntesten Beispiele neben einer Fülle unvollendeter Lieder, Klaviersonaten, Quartette etc. In den meisten Fällen handelt es sich um Zeugnisse von Schuberts rascher Kompositionsweise. Statt mit einem problematischen Werk gleichsam zu ringen, ging er lieber zum nächsten Stück über und ließ die Skizzen des alten unvollendet liegen, so weit sie auch immer ausgeführt sein mochten. Wie im Falle des Trios D 471 sind wir dadurch um manches wertvolle Werk betrogen werden, denn auch das Andante hätte eine Vollendung sehr wohl verdient. Der Allegro-Kopfsatz, der heute meist alleine gespielt wird, läßt nicht zufällig den Einfluß von Haydn und Mozart erkennen. Mozarts erwähntes Divertimento galt als klassisches Muster der gesamten Gattung, und Haydns sog. „Barytontrios“ wurden von Schubert und seiner Familie nachweislich in Streichtriobesetzung musiziert. Gerade zu diesen Stücken läßt der Triosatz B-Dur zahlreiche thematische Ähnlichkeiten erkennen.
Der zweite Ansatz zu einem Streichtrio führte dann im September 1817 zur Vollendung eines viersätzigen Trios in B, D 581. Schubert ließ ihm sogar die Ehre einer überarbeiteten zweiten Fassung zuteil werden, in der er zahlreiche Details verbesserte.
Das Werk ist ein typisches Zeugnis seines Entstehungsjahrs 1817. Den Sommer dieses Jahres empfand Schubert selbst als entscheidenden Wendepunkt in seinem künstlerischen Schaffen. Im Juni begann er stolz eine neue Folge von Klaviersonaten, im August setzte er mit der A-Dur-Sonate, D 574, den vorläufigen Schlußpunkt unter seine Beschäftigung mit der Violinsonate, im September folgte das Streichtrio und im Oktober die 6. Sinfonie, seine bislang größte.
In diesen Werken gipfelt Schuberts Auseinandersetzung mit der Tradition der Klassik und geht zugleich unmerklich in sein eigenes, romantisches Idiom über. So sind auch die vier Sätze des B-Dur-Trios äußerlich ganz klassizistisch angelegt: der Kopfsatz als Allegro in Sonatenform, das Andante als dreiteilige Liedform mit Siciliano-Thema, der Tanzsatz als Menuett und das Finale als Rondo. Die Hauptthemen wie die gesamte klar strukturierte Melodik zeigen noch unüberhörbar den Einfluß der Klassiker, in den durchführungsartigen Mittelteilen aber hört man reinsten Schubert. Besonders auffällig sind in dieser Hinsicht eine fis-Moll-Episode in der Durchführung des ersten Satzes und ein düsterer f-Moll-Kanon zwischen Violine und Viola über einem Cello-Ostinato im langsamen Satz. Schuberts ureigenste Melodik zeigt sich in dem Ländler, den die Bratsche im Trio des Menuetts anstimmt, und im Rondothema, das an die Moments musicaux für Klavier erinnert. Insgesamt ist dieses Rondo der längste und gewichtigste Satz des Werkes, da in ihm am deutlichsten die für Schubert später so typischen weit ausgreifenden Modulationsteile antizipiert sind.