Trio B-Dur für Klavier, Violine und Violoncello, op. 99 (D 898)
Werkverzeichnisnummer: 1747
1. Allegro moderato
2. Andante un poco mosso
3. Scherzo. Allegro – Trio
4. Rondo. Allegro vivace
1824 nahm Franz Schubert nach Jahren der Unsicherheit und Suche nach neuen Wegen dieSerie seiner großen, späten Kammermusikwerke in Angriff. Neben dem inneren Antrieb, sich über Streichquartett und Oktett “den Weg zur großen Sinfonie zu bahnen”, spielte die Anregung durch befreundete Musiker dabei eine entscheidende Rolle. Die Streichquartette von 1824 waren keinem Geringeren als Ignaz Schuppanzigh gewidmet, dem Freund Beethovens und prominentesten Wiener Quartettprimarius, der eben 1823 seiner berühmten Wiener Quartetttsoiréen erneut ins Leben gerufen hatte. Wie Beethovens späte Quartette waren auch die Schuberts Huldigungen an die Kunst und den Nimbus des Schuppanzigh-Quartetts.
Ähnliches gilt für die beiden Klaviertrios. Im Jahre 1827 gründete Schuppanzigh mit dem Cellisten Linke und dem Pianisten Carl Maria von Bocklet eine Art festes Trio. Alle drei waren enge Freunde Schuberts: Schuppanzigh und Linke hatten dessen a-Moll-Streichquartett und Oktett uraufgeführt, für Bocklet war die Klaviersonate D-Dur, D 850, komponiert worden. Nicht zufällig begann Schubert noch im selben Jahr 1827 mit der Komposition zweier neuer Trios.
Das Ergebnis waren zwei Grands Trios von solchen Ausmaßen, dass sie selbst die von Beethoven erweiterten Grenzen der Gattung sprengten. Der Zug zum Symphonischen ist hier ebenso unüberhörbar wie in Schuberts G-dur-Streichquartett, seinem Streichquintett und seinen späten Klaviersonaten. Er wird erreicht durch die Ausdehnung der einzelnen Themen zu Themenblöcken, die sich in ihrer um sich selbst kreisenden Melodik nicht zu Ende singen zu können scheinen, und durch eine die fremdesten Tonarten streifende Durchführungstechnik. Dieser Zug ins zeitlos Verströmende verbindet sich mit einem Instrumentalsatz, von dem Robert Schumann schrieb,:“Alles klingt, so recht vom Grunde, aus der Tiefe des Claviers heraus”, was ebenso für die Streicher gilt. Für sie entwickelte Schubert ein Reservoir von Klangfarben, besonders durch Akkordgriffe und Tremolo, das noch lange nach ihm unausgeschöpft blieb. Hinzu kommt die menschlich tief bewegende Dimension seiner Spätwerke als eines instrumentalen Schwanengesangs. All diese Faktoren machen Schuberts Trios zu erratischen Blöcken in der gesamten Literatur für diese Besetzung.
Das B-Dur-Trio, D 898, ist wahrscheinlich das frühere von beiden, komponiert im Oktober oder November 1827. Da alle originalen Manuskripte – Partitur und Skizzen – verloren sind, kann man diese Datierung nur aus Indizien folgern. Ein Jahr nach Schuberts Tod kündigte der Wiener Verlag Leidesdorf eine Ausgabe beider Trios an, in der das in B-Dur als Premier grand Trio bezeichnet wurde. Erst 1836 brachte Anton Diabelli diese Ausgabe auf den Markt, nachdem er den Verlag Leidesdorf und damit wahrscheinlich auch Schuberts Manuskript aufgekauft hatte; auch er nannte das Werk Premier Grand Trio. Die Vermutung, daß es kurz vor dem Es-Dur-Trio entstanden sein müsse, wird noch durch einen anderen Umstand gestützt: im Dezember 1827 fand in Wien mit dem Trio Schuppanzigh-Linke-Bocklet die Aufführung eines “neuen Trios” von Schubert statt. Da das Es-dur-Trio erst in diesem Monat fertig wurde und bei seiner Aufführung im folgenden März ebenfalls als “neues Trio” angekündigt wurde, muss es sich bei dem “neuen Trio” aus dem Dezemberkonzert um das in B-Dur gehandelt haben.
Es ist das lyrischere von beiden, wie bereits Robert Schumann bemerkte, indem er ihm Attribute wie “anmuthig, vertrauend, jungfräulich” zuschrieb. Unter der heiteren Oberfläche kommt es freilich zu Ausbrüchen von dramatischer Gewalt, wie man sie im gesamten Spätwerk des Komponisten finden kann. Auch formal scheint es weniger ambitioniert als sein Schwesterwerk, da sein Andante knapper gefaßt ist und sein Finale keine früheren Themen aufgreift. Der symphonische Anspruch wird jedoch gleich zu Beginn im kraftvollen Triolenthema des ersten Satzes deutlich. In starkem Kontrast dazu ist das zweite Thema eine Streicher-Kantilene von bezaubernder Anmut, aus der wiederum orchestrale Ballungen hervorgehen. Die Durchführung beschreibt eine für den späten Schubert typische Linie: dramatische Steigerung des Hauptthemas bis zu einem ersten Höhepunkt, dann Zusammensacken und Modulation des zweiten Themas in Medianten (As-Dur, E-Dur, C-Dur), neuerliche Klimax bis zu einem Stagnieren auf ff, das dann unvermittelt, wie entkräftet in die Reprise zurücksinkt. Letztere erfolgt ungewöhnlicherweise zuerst in Ges, dann in Des, bevor das Klavier nach B zurückleitet. Den absoluten Höhepunkt des Satzes, ein fff, enthält , wie öfters bei Schubert, die Coda. Er wird durch Umkehrung des Hauptthemas über absteigenden Terzen erreicht. Die resignierende Geste danach faßt die inneren Kämpfe des Werkes bewegend in vier Takten zusammen.
Das Andante un poco mosso – nach Schumann ein “seliges Träumen” – beruht auf einer Idee, die Schubert bereits in seinem Oktett entwickelt hatte: ein zehntaktiges Thema wird von einem der Instrumente (Cello) vorgestellt, vom zweiten (Violine) kanonisch aufgegriffen, während das erste melodisch umspielt, schließlich vom dritten (Klavier) modulierend fortgesponnen. Das Thema beruht auf einem Viernotenmotiv, das in Schuberts letztem Jahr in einer Mollvariante eine bedeutsame Rolle spielen sollte (Agnus dei der Es-Dur-Messe, Heine-Lied Der Doppelgänger). Ihm tritt im Mittelteil ein rhapsodisches Klavierthema in c-Moll gegenüber. Bei der Wiederholung des Hauptteils legt das erste Thema eine harmonische Wegstrecke zurück, die wir schon aus der Durchführung des ersten Satzes kennen (As,E,C).
Wie in diesem Satz, so verbirgt sich auch im Scherzo eine Fülle kanonischer Kontrapunkte, die dem Satz einen bissigen Charakter verleihen. Das Trio, ein schlichter Ländler, wird von den Streichern im Duett vorgetragen.
Das Rondo ist eines jener Schubert-Finali, in denen ein simples Tanzthema einen Satz von riesenhaften Ausmaßen nach sich zieht. Verantwortlich dafür ist weniger das Thema selbst als vielmehr eine energische Überleitungsfigur mit Terzsprung, die zu verarbeiten der Satz nicht müde wird. Zunächst erscheint sie als Auftakt zum marschartigen zweiten Thema, dann als akzentuierter Kanon der Streicher, schließlich als geheimnisvolles Tremoloweben. Später wird sie nach Des-Dur und in den Dreihalbe-Takt versetzt, woraus ein neuer, fast ländlerartiger Abschnitt mit Durchführungs-Charakter entsteht. Er wird als Coda des Satzes in Ges-Dur wiederholt, wobei das Motiv durch ein vorgeschriebenes Decrescendo poco a poco zunächst ausgeblendet und dann in eine Presto-Stretta verwandelt wird.
Es sei noch angefügt, dass auch der Mainzer Musikverlag B. Schott’s Söhne an der Entstehung des Trios nicht unbeteiligt war. Schott wandte sich am 9. Februar 1828 an den Komponisten mit der Bitte um Werke für eine eventuelle Drucklegung. An dem selben Tag traf eine gleichlautende Anfrage von dem Leipziger Musikverlag Probst ein. Beide Verleger hatten Schuberts Entwicklung seit Jahren aufmerksam verfolgt: “Ew. Wohlgeboren sind uns bereits durch Ihre vortrefflich gearbeitete Kompositionen seit mehreren Jahren bekannt”, so Schott. Man habe “immer mehr gesehen, wie vorteilhaft und immer klarer, seelenvoller” Schubert seine “Phantasien” wiedergab, so Probst. Einen materiellen Vorteil aus dieser “vorteilhaften” Kompositionsart versprachen sich die beiden Verlagshäuser primär von vierhändigen Klavierwerken und Liedern, doch Schott schien auch an dem Es-Dur-Klaviertrio, D 929, interessiert zu sein, das Schubert Ende 1827 komponiert hatte. Als die Verhandlungen mit Schott noch liefen, bekundete auf einmal auch Probst Interesse an dem Trio, obwohl ihm Schubert dieses Werk gar nicht angeboten hatte. Mit dem Leipziger Verlag kam es darüber zu einem schnellen Abschluss, was Schubert offenbar kurzfristig zwang, ein zweites Klaviertrio zu schreiben, um Schott nicht leer ausgehen zu lassen. Dies war das B-Dur-Trio, D 898.
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MIT DEM B-DUR-KLAVIERTRIO, op. 99, betreten wir den Kreis der letzten und reifsten Werke von Schubert, die so inkommensurabel sind, daß jedes Schreiben über sie schwerfällt. Schon für Robert Schumann gingen die beiden späten Klaviertrios von Schubert “wie eine zürnende Himmelserscheinung” über das damalige “Musiktreiben hinweg”. Die seit Beethovens “Erzherzog”- und “Geistertrio” in Letargie versunkene Gattung wurde urplötzlich wieder auf die Höhe klassischer Meisterschaft emporgehoben, wobei Schumann die beiden Werke auch in ihrem Ausdrucksgehalt als Schuberts “Eigenthümlichstes” empfand.
Die beiden Aspekte durchdringen sich im B-Dur-Trio: einerseits der hohe formale Anspruch einer Art Monumental-Klassik, andererseits das tief bewegende Bekenntnis zur lyrischen Gefühlssprache der Romantik. Der Kopfsatz greift die riesigen Dimensionen des “Erzherzog”-Trios von Beethoven auf und entfaltet im marschartigen Hauptthema durchaus heroischen Duktus, der aber schon in dessen Wiederholung einem geheimnisvollen lyrischen Klangzauber weicht. Das vom Cello angestimmte zweite Thema ist eine typische, in sich kreisende Schubert-Melodie, die in der Durchführung nach Moll gewendet und dem heroischen Marschcharakter angenähert wird. Der blockartige Wechsel der beiden Themencharaktere gipfelt in der Coda, die das Hauptthema über absteigenden Bässen zu einer dramatischen Klimax führt, dann aber im dreifachen Forte unversehens abbricht, um einer flehenden Geste und einem Klangspiel Platz zu machen.
Gegensätze wie diese, die unaufgelöst im Raum stehen, prägen auch die folgenden Teile.
Das Andante ist dem Et Incarnatus der wenig später komponierten Es-Dur-Messe verwandt, denn es ist ein Kanon, dessen einfaches, barcarolehaftes Thema vom Cello an die Violine und dann ans Klavier weitergereicht wird. Im scheinbar zeitlosen Dahinströmen des Themas wechselt mehrmals spektakulär die Tonart; in den Klang schleichen sich idealisierte Glockenklänge ein, wie man sie von Schuberts Liedern her kennt. Ein stark modulierender Mittelteil in Moll beschleunigt die Bewegung, die dennoch ihren wellenartigen Charakter beibehält. Der ganze Satz ist innerlich Schuberts Wasser- und Stromliedern verwandt.
Das Scherzo zieht aus seinem nonchalanten Anfang überraschend bissige Konsequenzen und ist einer von Schuberts intrikatesten Scherzosätzen, allerdings mit einem sehr einfachen Trio in Es. Das Finale sprengt, wie beim späten Schubert üblich, die Rondoform allein schon durch seine Dimensionen. Doch die Wiederkehr des Rondothemas bleibt für den Satz bestimmend. Ansonsten faszinieren hier vor allem die wechselnden Rhythmen (punktiert. Triolen, legato-Sechzehntel) und die Klangfarben, die von zart verschwebenden Klängen bis zu massiven Fortestellen ein ungewöhnlich großes Spektrum abdecken.